Schlagabtausch zwischen Stadt und Land

Juli Zeh, Simon Urban – Zwischen Welten

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Juli Zeh und Simon Urban möbeln das alte Genre des Briefromans auf und machen daraus ein Forum für erregte Zeitgeist-Debatten. Ein Hamburger Top-Journalist und eine Brandenburger Milchbäuerin tauschen Mails und Messages aus. „Zwischen Welten“ nimmt aber vor allem eine Welt aufs Korn: die des „woken“ missionarisch-aktivistischen Journalismus.

Erfolgsrezept, jetzt noch schärfer gewürzt

Mit der Schützenhilfe von Simon Urban lässt Juli Zeh den Gegensatz von Stadt und Land in „Zwischen Welten“ eskalieren. Die Arroganz der Urbanen trifft auf die Mühen der Marginalisierten. Verkörpert werden die Gegensätze von Stefan Jordan und Theresa Kallis, beide Mitte vierzig.

Während ihres Studiums haben sie in einer Wohngemeinschaft gelebt und eine geschwisterliche Freundschaft gepflegt. Zufällig treffen sie sich nach zwanzig Jahren wieder und beginnen einen intensiven Austausch über Mail und soziale Medien.

Stefan ist inzwischen bei der maßgeblichen Hamburger Wochenzeitung „Der Bote“ Kulturchef und bald stellvertretender Chefredakteur. Theresa hat den ehemaligen LPG-Bauernhof ihres Vaters in Brandenburg weitergeführt.

„Ich beschäftige mich schon lange mit strukturellem Rassismus… Ich glaube, dir fehlt einfach der Horizont für solche Diskussionen. Ukraine, Gender-Problematik, Klima – du bist zu lange raus. Ich beschäftige mich beruflich mit diesen Themen. Du nicht. Wie soll da ein Gespräch auf Augenhöhe gelingen.“

Während sich Stefan auf der Kommandobrücke des Zeitgeists wähnt, fühlt Theresa sich schikaniert von der Agrarbürokratie und ins gesellschaftliche Abseits gedrängt:

„Die Gesellschaft hat uns vergessen. Sie denkt, Essen gebe es überall, Essen sei eine Selbstverständlichkeit. Man muss ja nur in den Supermarkt gehen… Aus dieser Perspektive sind Bauern ein lästiger Anachronismus. Wir sind eine nörgelnde Berufsgruppe am Rand der Wahrnehmungsschwelle.“ 

Die Sympathien sind nicht gleichmäßig verteilt. Während Theresa durch eine schwere Ehekrise geht und wacker den Brandenburger Hofalltag bewältigt, mit 100 Stunden-Wochen und Melken ab vier Uhr morgens, profiliert sich Stefan in seinen Mails und Messages als Karikatur der politischen Korrektheit, oft herablassend besserwisserisch:

Alltägliche mediale Debatten in Romanform

Die Handlung spielt im Jahr 2022. Solche Nähe zu den Problemen der Gegenwart mag man brisant empfinden. Allerdings könnte man auch die Frage stellen, warum man einen Roman lesen soll, der all die aktuellen Debattenthemen noch einmal aufbereitet, mit denen wir täglich in den Medien bis zum Überdruss eingedeckt werden. Interessant sind aber weniger die Themen selbst als die mit diesem Material geleistete Darstellung der Gegenwelten und der Schlagabtausch zweier immerhin Verständigungswilliger.

Bei Theresa waren es vor allem die treuen Blicke der 200 Kühe, die sonst notgeschlachtet worden wären, die sie damals dazu brachten, ihr Germanistikstudium abzubrechen und den Hof ihres verstorbenen Vaters weiterzuführen. Stefan hat natürlich ganz andere Gedanken beim Stichwort Kuh: 

„Für dich sind Kühe richtig, aber fürs Klima sind sie falsch. Du weißt genau, dass jede Kuh hundert Kilo Methan im Jahr in die Atmosphäre bläst.“

Beinahe höhnisch erwidert Theresa auf solche journalistische Pädagogik:

„In deinen Augen gibt es ein richtiges Richtig und ein falsches Richtig, und du entscheidest, was richtig richtig oder falsch richtig oder sogar richtig falsch ist… So machen es Kolonialisten und Missionare.“

Der Briefroman ist ein altes Genre, das hohe fiktive Authentizität bietet. Die Subjektivität und die Emotionen der Figuren prägen den Stil. Von besonderem Reiz ist der regelmäßige Perspektivenwechsel, den Zeh und Urban geschickt nutzen. Im Briefroman fanden in der Epoche der Empfindsamkeit die Herzen zueinander. Aber auch misslingende Kommunikation kann in dieser Form gut zur Darstellung kommen. Man schreibt und fühlt aneinander vorbei.

Der Städter ist arrogant, die Ländlerin verzweifelt

Theresa hat buchstäblich einen Misthaufen an praktischen Problemen abzuarbeiten; Stefan jubelt über seine Klima-Sonderausgabe und widmet sich dem Kampf gegen „toxische Männlichkeit“. Natürlich gendert er demonstrativ in seinen privaten Mails an Theresa und schreibt zum Beispiel statt von „Künstlerfreunden“ von „Künstler*innenfreund*innen“. Und dann weist er Theresa, die Mutter zweier Söhne, auch noch auf die Fahrlässigkeit heutiger Elternschaft hin.

„Was Kinder betrifft… ehrlich gesagt, glaube ich, dass man heute keine bekommen sollte. Nicht solange wir die globalen Probleme nicht gelöst haben.“

Seine moralische Hybris bekommt jedoch plötzlich Schlagseite. Für seine Klima-Sonderausgabe werden zwei junge Klimaaktivisten engagiert, die die Redaktion Furcht und Zittern lehren mit ihrem Sendungsbewusstsein und ihrem geradezu leninistischen Kontrollwillen. Apokalyptiker haben keine Zeit für demokratische Prozesse. Und dann geht es beim „Boten“ drunter und drüber: digitales Denunziantentum und ein gewaltiger Shitstorm gegen den Chefredakteur; schließlich auch gegen Stefan selbst. Als Zündstoff dienen vermeintlicher Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Äußerungen werden aus dem Zusammenhang gerissen oder aus privaten Korrespondenzen entwendet. Die Angst geht um beim „Boten“. Toxische Kommunikation in den sozialen Medien ist ein Hauptthema des Romans.

Angesichts des Twitter-Hetzmobs schwört Stefan dem schreibenden Aktivismus ab, bewegt sich auf Theresa zu. Immer zärtlicher klingen die Anreden und Grußformeln. Aus der Brief- scheint eine Liebesbeziehung zu werden:

„Jetzt muss ich wissen, ob du es ernst gemeint hast. Ob du mich wirklich in Hamburg haben willst. Kein digitales Traumbild, sondern die echte Theresa, mit allen Macken.“

Da aber ereilt Stefan ein unverhoffter Karriereschub, der sich dem Druck der sozialen Medien verdankt. Der Chefredakteur fällt in Ungnade, Stefan soll seinen Platz einnehmen beim Boten, der sich fortan Bot*in mit Genderstern nennt und die Ressorts Wirtschaft und Klima miteinander verschmilzt. Die Satire des Romans kommt auf den Gipfel, wenn sich am Ende der woke Journalismus bei der rauschenden Relaunch-Party selbst feiert.

Satire, die Ressentiments bedient

Stefan steht als Karrierist und Opportunist da, während Theresa nach dem Selbstmord eines befreundeten Landwirts immer mehr verzweifelt. Sie driftet in radikale Kreise ab, die eine Art Gelbwestenrebellion betreiben, mit Gülle gefüllte Konservendosen in den Lebensmittelhandel schmuggeln und sich schließlich zu einem buchstäblich blutigen Protest nach Berlin aufmachen.

Dass der Roman bei der Darstellung des Journalismus plakativ übertreibt, gehört zur Satire und ist durchaus unterhaltsam. Problematischer ist, dass die Satire nur in eine Richtung zielt und unfreiwillig auch manche Ressentiments gegen die sogenannten Mainstream-Medien bedient. „Zwischen Welten“ erkundet die Möglichkeiten der Verständigung in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft – um im Finale die Brücke krachend einstürzen zu lassen. Nicht gerade ein Signal der Hoffnung.

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