Zum 50. Geburtstag von Juli Zeh stellen wir drei unbekanntere Bücher der Bestsellerautorin vor: Über Pferde, Menschen, Literatur und das Leben einer streitbaren Intellektuellen.
Mit Juli Zeh gibt es eine Bestsellergarantie
Steht der Name Juli Zeh auf einem Buchrücken, dann gilt die Bestsellergarantie: Die Schriftstellerin gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Geboren wurde sie 1974 in Bonn. Zeh wuchs in einer akademischen Familie auf, studierte Rechtswissenschaften in Passau und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
Sie debütierte 2001 mit dem Roman „Adler und Engel“, ein tiefgründiger Thriller, der ihr gleich den schriftstellerischen Durchbruch einbrachte, ein Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Seitdem hat sie eine Vielzahl von Werken veröffentlicht, die sich durch ihre scharfsinnige Gesellschaftskritik und tiefgehende Charakterstudien auszeichnen.
Die literarische Karriere
Nach ihrem Karrierekickstart mit „Adler und Engel“ folgten weitere erfolgreiche Romane wie „Spieltrieb“ (2004), „Corpus Delicti“ (2009) und „Leere Herzen“ (2017). Zehs Bücher zeichnen sich durch eine präzise Sprache und komplexe, oft kontroverse Themen aus. Ihre Fähigkeit, politische und soziale Fragestellungen in ihre Erzählungen zu integrieren, machen ihre Werke besonders relevant und zeitgemäß.
In „Corpus Delicti“ entwirft die Autorin zum Beispiel eine Dystopie einer Gesundheitsdiktatur im 21. Jahrhundert. Stoff von dem man lernen kann: Der Roman steht in vielen Bundesländern auf dem Lehrplan der Deutsch-Leistungskurse und ist Thema im Abitur.
Die promovierte Juristin Juli Zeh ist eine Figur des öffentlichen Lebens, die mit ihren Büchern und Essays Denkanstöße liefern möchte. Sie hat es geschafft, eine breite Leserschaft zu erreichen und gleichzeitig anspruchsvolle und herausfordernde Literatur zu schreiben.
Juli Zeh über „Corpus Delicti“: Im Gespräch mit SWR Kultur Redakteurin Anja Brockert im Literaturhaus Stuttgart
Sternchenthemen im Deutsch-Abitur "Corpus Delicti – Ein Prozess" von Juli Zeh
Bestseller-Autorin Juli Zeh erzählt in dieser Dystopie von einer Frau, die gegen die Regeln eines totalitären Gesundheitsstaats verstößt. Es beginnt eine moderne Hexenjagd.
Juli Zeh als politische Kommentatorin
Juli Zeh ist aber nicht nur für ihr literarisches Werk bekannt, sondern auch die Allzweckwaffe der Expert*innen-Runden in der deutschen TV Landschaft. Dort zeigt sie sich engagiert: Ihre juristische Expertise nutzt Zeh, um öffentlich über Bürgerrechte zu sprechen und sie nahm in der Vergangenheit mehrfach Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen.
Zeh ist bekannt für ihre kritischen Ansichten zur Überwachung und zum Datenschutz, ein Thema mit dem sie sich auch literarisch in „Corpus Delicti“ auseinandersetzt. Einige Maßnahmen der Corona-Politik kritisierte Zeh scharf.
Die streitbare Intellektuelle mauserte sich so zu einer wichtigen Stimme im öffentlichen Diskurs. Doch sie ist auch eine Figur, die polarisiert: Kritiker und Kritikerinnen werfen ihr häufig vor, dass ihre Aussagen oft undifferenziert und populistisch seien.
Stadt vs. Land
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet Juli Zeh auch als Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Mit ihrer Familie lebt sie in Brandenburg, abseits der Großstadt. Stadt vs. Land, ein Thema über das sie häufig schreibt und spricht.
Der Erfolgsroman „Über Menschen“ dreht sich um Dora, die in einem brandenburgischen Dorf mit den Herausforderungen des Landlebens konfrontiert wird. Das Stadt-Land Themenfeld bespielt Zeh auch in ihrem aktuellsten Roman „Zwischen Welten“, den sie gemeinschaftlich mit Simon Urban verfasste.
Buchtipps jenseits der Kassenschlager
„Über Menschen“ war laut „Börsenblatt“ das meistverkaufte Buch im ersten Halbjahr 2021, über „Corpus Delicti“ brüten die Abiturienten und Abiturientinnen des Landes, Theater adaptieren Zehs Texte, „Zwischen Welten“ sicherte sich im Erscheinungsmonat Januar 2023 den ersten Platz auf der Liste der meistverkauften Belletristik-Titel.
Wirklich unbekannt ist nichts aus Juli Zehs Feder, trotzdem haben wir drei Bücher der Schriftstellerin, die etwas weniger bekannt sind, zusammengetragen, die sich auch zu lesen lohnen.
Ein eindringlicher Roman über die Suche nach Identität: „Neujahr“
Im Mittelpunkt von „Neujahr“ steht Henning. Er ist ein emanzipierter Familienvater, Sachbuchlektor und lebt in Göttingen. Am Neujahresmorgen 2018 auf der Kanareninsel Lanzarote bricht er zu einer Fahrradtour auf. Henning kämpft mit wiederkehrenden Panikattacken und dem Gefühl der Überforderung, das ihn in seinem Alltag zunehmend lähmt.
Auch die Beziehung zu seiner Frau ist eher abgekühlt. Die Tour soll ihm Klarheit verschaffen und eine Möglichkeit bieten, seinen inneren Konflikten zu entfliehen. Doch während der anstrengenden Fahrt wird Henning von Erinnerungen an seine Kindheit und traumatischen Erlebnissen eingeholt.
Der Roman aus dem Jahr 2018 gewinnt heute gelesen an der ein oder anderen Stelle sogar mehr Fahrt, denn er liest sich wie ein Beitrag zu aktuellen Debatten um den Zusammenhang zwischen mentaler Gesundheit und toxischer Männlichkeit. Vertraut Henning sich wegen seine Panikattacken seiner Ehefrau Theresa an, sagt sie:
„Neujahr“ ist ein eindringlicher Roman über die Suche nach Identität, das Bewältigen von Traumata und die Herausforderung, als Erwachsener seinen Weg zu finden. Psychothriller trifft Gesellschaftsanalyse!
Nicht nur für Pferdemädchen und Pferdejungs: „Gebrauchsanweisung für Pferde“
Die Autorin ist passionierte Reiterin, Pferdefan und -besitzerin. Bei den SWR „Reitgesprächen“ philosophierte und diskutierte sie gemeinsam mit Literaturkritiker Denis Scheck über aktuelle Neuerscheinungen – und das hoch zu Ross.
„Gebrauchsanweisung für Pferde“ ist eine Reise in die Welt der Pferde mit Pferdetipps und praktischem Wissen über den Umgang mit den Tieren.
Das Buch ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht, Ratgeber, Essay und philosophischen Betrachtungen. Zeh schildert ihre eigenen Erlebnisse und die Herausforderungen des Reiterlebens, vom täglichen Training bis hin zu den besonderen Momenten der Verbundenheit mit dem Pferd.
Juli Zeh geht auch auf die historischen und kulturellen Hintergründe des Pferdes als Begleiter des Menschen ein und beschreibt die tiefgreifenden Veränderungen in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd im Laufe der Zeit. Sie hinterfragt die moderne Pferdehaltung und plädiert für einen respektvollen und achtsamen Umgang mit den Vierbeinern.
Egal ob Expert*in oder Laie im Pferdestall: Die Faszination für die Tiere ist ansteckend und die Lektüre lehrreich. Woran das liegt? An Zehs klarer und eindringlicher Sprache, mit der sie es schafft, ihre Faszination zu vermitteln und mit ihrer Pferdeverrücktheit anzustecken.
Ein Freiburger Physikkrimi: „Schilf“
Krimi, Entführung, Mord und Physik verbastelt zu einem Psychothriller mit philosophischem Gedankenspiel. Im Roman „Schilf“ geht es heiß her. Die Freundschaft und die wissenschaftliche Zusammenarbeit der theoretischen Physiker Oskar und Sebastian kühlt sich immer mehr ab, denn ihre Ansichten zu Leben und Naturgesetzen ist völlig gegensätzlich.
Oskar ist ein Rationalist und Anhänger der klassischen Physik, während Sebastian an die Multiversentheorie und die Möglichkeit von Parallelwelten glaubt. Als Sebastians kleiner Sohn Liam entführt wird, gerät die Welt der beiden Freunde aus den Fugen.
Kommissar Schilf, ein unkonventioneller und scharfsinniger Ermittler, wird mit dem Fall betraut. Die Ermittlungen führen ihn in die komplexe Welt der Physik und zu den dunklen Geheimnissen, die Oskar und Sebastian verbergen.
Juli Zeh verwebt in „Schilf“ wissenschaftliche Konzepte mit einer spannenden Kriminalhandlung. Der Roman thematisiert die moralischen Dilemmata der Wissenschaft und die Abgründe menschlicher Beziehungen. Ort des Geschehens ist Freiburg im Breisgau. Juli Zehs Beschreibung der Universitätsstadt dürften Freiburger und Freiburgerinnen verzücken:
„Es liegt da, als wäre es eines Tages vom Himmel gefallen und den angrenzenden Bergen bis vor die Füße gespritzt. Belchen, Schauinsland und Feldberg sitzen im Kreis und überschauen eine Stadt, die nach Zeitrechnung der Berge vor etwa sechs Minuten entstanden ist und trotzdem so tut, als hätte sie schon immer da unten am Fluss mit dem komischen Namen gelegen. ‚Dreisam‘. Wie Einsamkeit zu dritt.“
aus: Juli Zeh: Schilf
2012 war die Verfilmung von „Schilf“ im Kino zu sehen, Mark Waschke und Stipe Erceg in den Hauptrollen. Eine Verfilmung und eine Lektüre, die Fans von nachdenklichen Krimis oder komplexen Serien à la Netflixs „Dark“ begeistern kann.
Mehr zu Juli Zehs Romanen
Buchkritik Juli Zeh, Simon Urban – Zwischen Welten
Juli Zeh und Simon Urban möbeln das alte Genre des Briefromans auf und machen daraus ein Forum für erregte Zeitgeist-Debatten. Ein Hamburger Top-Journalist und eine Brandenburger Milchbäuerin tauschen Mails und Messages aus. „Zwischen Welten“ nimmt aber vor allem eine Welt aufs Korn: die des „woken“ missionarisch-aktivistischen Journalismus. | Rezension von Wolfgang Schneider | Luchterhand Verlag, 448 Seiten, 24 Euro | ISBN 978-3-630-87741-9
Gespräch Juli Zeh – Über Menschen
Eine Frau im Corona-Exil und ein Neonazi als Nachbar: In ihrem neuen Roman führt uns Juli Zeh in eine spezielle Dorfgemeinschaft in Brandenburg. Eine Geschichte über vermeintliche Gewissheiten, das Aushalten von Widersprüchen und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Hochaktuell und packend erzählt.
Luchterhand Verlag, 416 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-630-87667-2