Seit Jahresbeginn wird der 100. Todestag Franz Kafkas bis in die kleinsten thematischen Verästelungen zelebriert. Was bleibt am 3. Juni 2024, dem tatsächlichen Todestag des Schriftstellers, noch zu sagen? Literaturkritiker Carsten Otte findet die Situation ziemlich, nun ja, kafkaesk.
Was wohl Franz Kafka dazu sagen würde ...
Was wohl Franz Kafka dazu sagen würde, wenn er von der ausgiebigen und zuweilen – fast hätte ich das längst verfemte K-Namensadjektiv verwendet – also: bizarren Berichterstattung über sein Leben und Werk erfahren hätte, die schon Monate vor seinem 100. Todestag auf nahezu allen Bühnen, digitalen und papiernen Medien zu hören, zu sehen und zu erleben war?
Hätte er gelacht? Oder geweint? Hätte er sich posthum umbenannt? Wäre er in die Vergangenheit gereist, um seinen Nachlassverwalter Max Brod in einen Käfer zu verwandeln, auf dass er keinen Kafka-Text mehr gegen den ausdrücklichen Wunsch seines Erblassers veröffentlichen kann?
Es ist eine ziemlich kafka …
Es ist eine ziemlich kafka … ähm, ich wollte das Wort doch nicht mehr verwenden … also: groteske Gepflogenheit des Kulturbetriebs, ausgerechnet einen eher scheuen Schriftsteller damit zu feiern und zu ehren, indem läppische 100 Jahre nach seinem Ableben jedes Detail zu einem Thema gemacht wird. Kafka und die Frauen. Kafka und seine Urlaube. Kafkas Nahrungs- und … ja: Verdauungsgewohnheiten! Kafkas Beziehung zu Tieren, vor allem zu Ungeziefer, Sie wissen schon!
Heerscharen von Abiturienten mit Kafka gequält
Kafkas Glaube bzw. Unglaube. Kafka im Büro. Kafka als Jurist. Kafkas Vater, Kafkas Ärzte, Kafka als Spaziergänger. Kafka, der Rätselhafte, der Abgründige, der Sensible, der ewig unglückliche Junggeselle, der um sein Leben schrieb und der in einer Parabel, mit der später einmal Heerscharen von Abiturienten gequält werden, sogar den Wunsch formulierte, „Indianer zu werden“.
Spinatpudding und Grünkernschnitten Franz Kafka und das Essen: Ein Hungerkünstler?
Franz Kafka hatte einige eigensinnige Essgewohnheiten. SWR Kultur Literaturchef Frank Hertweck weiß: Das Essen spielt auch eine Rolle in Kafkas literarischem Werk.
Hat dieser Literaturgott wirklich das I-Wort verwendet?
Nein, hat er das wirklich getan? Hat unser Säulenheiliger derlei kulturelle Aneignung ernst gemeint? Hat dieser Literaturgott wirklich das I-Wort verwendet? Ist Kafka vielleicht gar nicht heilig? Das wäre nun echt … doch, jetzt nennen wir es beim Namen: kafkaesk. Himmel, hilf!
Werkausgabe zum 150. Geburtstag wird vom Sensitivity-Reader geprüft
Bis zu seinem, sagen wir mal: 150. Geburtstag im Jahre 2033 gibt es bestimmt eine Werkausgabe, die von einem Sensitivity-Reader durchgesehen und entsprechend den prospektiv anzunehmenden Sprachgesetzen umgeschrieben ist. Ansonsten gibt es dann eben mal keine Happy-Kafka-Gesänge im Feuilleton! Allerhöchstens eine kurze Abhandlung über Kafkas Sadomasochismus. Seine sozialistischen Schwärmereien in Jugendjahren.
Die Kommunisten wussten schon, warum sie Kafka verboten haben
Seine ohnehin schon mal von einem amerikanischen Schriftstellerkollegen attestierte Impotenz, seine wahrscheinlich auch geistig-moralische Ignoranz und literarische Unfähigkeit, erbauliche Geschichten zu erzählen: Wer quält auch eine traurige Figur vom Lande damit, bis zum Tode vor einem Tor zu stehen, dessen Zugang offen und verschlossen zugleich ist? Ja, die Kommunisten wussten schon, warum sie Kafka verboten haben, diesen bösen Bürgerlichen und heimlichen Fabrikbesitzer!
SWR2 Erzählung Franz Kafka: In der Strafkolonie
Die Erzählung "In der Strafkolonie" gehört zu den wenigen Werken, die Kafka ausdrücklich als gültig bezeichnete, während er seinen Freund Max Brod bat, die überwiegende Mehrheit seiner Texte nach seinem Tod zu vernichten. Es ist die Geschichte eines Reisenden, der in einem fernen Land in einer Strafkolonie zu Gast ist und eingeladen wird, einer Exekution beizuwohnen.
Sprecher: Jürgen Holtz
Kafka lesen – ungestört von den schamlosen Kafka-Erklärern
Wenn der Gedenktag endlich vorbei ist, wenn der Terminjournalismus gar eine halbwegs kafkaeske Kafka-Glosse hervorgebracht hat, spätestens dann kann das geneigte Publikum wieder – ungestört von den schamlosen Kafka-Erklärern – zum Lesen seiner Literatur übergehen: „Vor dem Gesetz“, „Der Heizer“, „In der Strafkolonie“, „Das Schloss“. Ob nun die längeren Erzählungen, die Kurzprosa, die Romanfragmente oder die unfassbar schönen Briefe. Man kann einsteigen, wo man will. Mit Franz Kafka verändert sich der Blick in die Welt.
Mehr zu Franz Kafka
lesenswert Feature Kafka-Kult – Das erstaunliche Nachleben des Franz K.
Kafka ist ein TikTok-Star mit über einer Milliarde Klicks, sein melancholisches Portrait prangt auf T-Shirts, Kaffeetassen und Krawatten. Kafkas Werk wird mittlerweile auf der ganzen Welt adaptiert, in allen Künsten. Nur wenige Autoren besitzen eine solche internationale Wirkung wie er.
Porträt zum 100. Todestag Der Schriftsteller Franz Kafka und die Faszination des Abgründigen
Kafkas Texte faszinieren durch das Abgründige, das in seinen Romanen und Erzählungen über das Individuum in einer immer komplexeren Welt aufscheint.
Forum Leben im Labyrinth – Wie wurde Franz Kafka zum Weltliteraten?
Alexander Wasner diskutiert mit
Prof. Dr. Vivian Liska, Literaturwissenschaftlerin, Antwerpen und Jerusalem
Prof. Dr. Roland Reuß, Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Schriften Franz Kafkas
Dr. Yoko Tawada, deutsch-japanische Schriftstellerin
Aktuelle Bücher zu Franz Kafka
Buchkritik Günter Karl Bose – Kafka im Ostseebad Müritz (1923)
„Franz Kafka im Ostseebad Müritz (1923)“ ist ebenso sorgsam recherchiertes Dokument der letzten großen Liebe Kafkas zu Dora Diamant wie liebevoll gestaltete Chronik eines Sommers an der See.
Eine Rezension von Ina Beyer
Buchkritik Sebastian Guggolz (Hg) – Kafka gelesen: Eine Anthologie
Die Anthologie „Kafka gelesen“ ist eine Einladung, fremden Lektüren zu folgen und mit 26 Autorinnen und Autoren in die Textwelt Kafkas aufzubrechen.
Eine Rezension von Holger Heimann
Buchkritik Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben
Vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka, einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Bis heute haben seine Texte nichts von ihrer Faszinationskraft verloren. In beeindruckenden und nicht leicht zu vergessenden Bildern schildert er das Erleben der Menschen in der modernen Gesellschaft mit ihrer Absurdität und Undurchschaubarkeit: Das Adjektiv „kafkaesk“ hat sogar in die deutsche Sprache Eingang gefunden. Der Biograph Rüdiger Safranski schildert Kafkas Leben ganz aus seinem Schreiben heraus und bietet eine gut lesbare Kafka-Biographie samt Werkdeutung für alle.
Hanser Verlag, 240 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-446-27972-8
Werke von Franz Kafka
SWR2 Erzählung Franz Kafka: In der Strafkolonie
Die Erzählung "In der Strafkolonie" gehört zu den wenigen Werken, die Kafka ausdrücklich als gültig bezeichnete, während er seinen Freund Max Brod bat, die überwiegende Mehrheit seiner Texte nach seinem Tod zu vernichten. Es ist die Geschichte eines Reisenden, der in einem fernen Land in einer Strafkolonie zu Gast ist und eingeladen wird, einer Exekution beizuwohnen.
Sprecher: Jürgen Holtz
Filme und Veranstaltungen zum Kafka-Jahr
Serie Überraschende Seiten einer Literatur-Ikone: ARD-Serie „Kafka“ von Daniel Kehlmann
Die ARD widmet Franz Kafka eine sechsteilige Serie, geschrieben von Besteller-Autor Daniel Kehlmann und inszeniert von David Schalko.
Ein vegetarischer Junggeselle Ausstellung „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum der Moderne Marbach
Die Ausstellung „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach zeigt mehr als Briefe, Originalfotos und Handschriften des Weltliteraten Kafka. In seinem Bücherregal entdeckt man auch ein vegetarisches Kochbuch und ein Buch mit gymnastischen Übungen.
Gespräch Franz Kafka als Zeichner: In einem Comic erzählt Nicolas Mahler über das Leben des Schriftstellers
Im Kafka-Jahr dreht sich vieles um die Literatur des Schriftstellers. Doch Kafka schrieb nicht nur, er konnte auch zeichnen. Nicolas Mahler hat eine Comic-Biographie über Franz Kafka veröffentlicht.