Auf den Spuren des Weltliteraten

Franz Kafka im Literaturmuseum der Moderne Marbach

Stand
Autor/in
Silke Arning
Moderatorin Silke Arning

Zum 100. Todestag von Franz Kafka hat das Deutsche Literaturarchiv in Marbach seinen Bestand nach Spuren des Schriftstellers in der Literaturgeschichte durchsucht. Die Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne zeigt über 100 Briefe, Originalfotos und Handschriften Kafkas, darunter auch „Der Prozess“. Texte von Hannah Arendt, Peter Handke oder Martin Walser spiegeln seine Wirkung auf nachfolgende Generationen wider. Auch kann man einen Blick ins Kafkas Bücherregal werfen. Dort finden sich ein vegetarisches Kochbuch und auch ein Buch mit gymnastischen Übungen.

Ausstellung Franz Kafka „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach
Blick in die Ausstellung „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum der Moderne Marbach

Blick in Kafkas rekonstruierte Bibliothek

Wirkmächtig, eine gewaltige Literatur – Kafka gilt als Gigant unter den Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Doch selbst solche Superhelden fangen einmal klein an, lassen sich inspirieren. In der Marbacher Ausstellung kann man daher einen Blick in Kafkas rekonstruierte Bibliothek werfen. Mit sehr erstaunlichen Erkenntnissen. 

Ausstellung Franz Kafka „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach
Der Schriftsteller Franz Kafka 1906

Kafkas Erzählung „Strafkolonie“ inspiriert durch SM-Roman

So findet sich dort unter anderem ein Roman des französischen Autors Octave Mirbeau: „Der Garten der Qualen“, eine pornografische Geschichte, erzählt Mitkurator Lorenz Wesemann von der Bibliothek im Deutschen Literaturarchiv:  

„Ein SM-Roman, der auch sofort in Teilen von der Zensur eingezogen wurde. Kafka liest ihn, und seine Erzählung in der ‚Strafkolonie‘ legt sich wirklich über diesen Roman drüber, man kann bis auf kleine Beschreibungen das enge Verhältnis dieser beiden Texte zueinander nachvollziehen.“

Kafka achtete auf Fitness und Gesundheit

Schwimmen, rudern – Kafka achtete auf seine Fitness und auf seine Ernährung. In seinem Bücherregal steht daher auch ein schmaler roter Band: „Kleines vegetarisches Kochbuch für Junggesellen und andere einzelstehende Personen.“ Kafka hatte sich den Band auf Kur von einer Mitpatientin empfehlen lassen und ihn gekauft. „Ein konkreter essender, sich ethisch und gesundheitlich mit Ernährung auseinandersetzender Kafka – auch den gibt es da.“ betont Mitkurator Lorenz Wesemann.

Ausstellung Franz Kafka „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach
Carlotto Schulz: Kleines vegetarisches Kochbuch für Junggesellen und andere einzelnstehende Personen. Mit einem Anhange: Gesundheitsregeln. Berlin 1897.

Kafkas Handschrift zu „Der Prozess“, für rund 1,7 Millionen erworben

Aber vor allem gibt es da den schreibenden Kafka. Und hier kann die Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne mit echten Glanzstücken punkten: mit Originalmanuskripten und Briefen, mit der Handschrift zu Kafkas Romanfragment „Der Prozess“, die einst für rund 1,7 Millionen Euro nach Marbach kam. 

Ein 103 Seiten langer Brief an den Vater wurde nie abgeschickt

„Wir sind ganz besonders glücklich darüber, dass wir „den Brief an den Vater“ zeigen können, den vielleicht wichtigsten Brief der Literaturgeschichte. Und einen der umfangreichsten, in dem sich Kafka mit dem Vater, dem schwierigen Vater, wie er erscheint im Brief, auseinandersetzt und in dem er versucht, sich selbst zu finden aus dieser Auseinandersetzung heraus.“

Peter Handke: „Ich hasse Franz Kafka, den ewigen Sohn“

Kafka – das ist der rätselhafte, ambivalente Autor, der bis heute die Menschen beschäftigt, weshalb die Marbacher Ausstellung sich sehr intensiv Kafkas spannenden Spuren in der Literaturwelt nachgeht. „Ich hasse Franz Kafka, den ewigen Sohn“, vermerkt Peter Handke 1983 in seinem Notizbuch und drückt damit auf eigenwillige Weise seine Bewunderung aus. 

Ausstellung Franz Kafka „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach
1965 veröffentlicht Peter Handke in seinem Band „Begrüßung des Aufsichtsrats“ das Prosastück „Der Prozeß“ (für Franz K.), in dem er Kafkas Roman auf 18 Seiten nacherzählt. Auch in seinen Notizbüchern zitiert und kommentiert er immer wieder Kafka. 1983 notiert Handke: „Ich hasse Franz Kafka, den ewigen Sohn (den „Söhnling“)“.

Text von Martin Walser sah „zu sehr nach Kafka aus“

Martin Walser überschwemmt Kafkas Text „Beim Bau der chinesischen Mauer“ mit Anmerkungen und Interpretationen, was nicht ohne Folgen bleibt. Denn als Walser 1953 mit einer eigenen Kurzgeschichte beim Suhrkamp Verlag anklopft, lehnte Peter Suhrkamp den Druck ab, da der Text „zu sehr nach Kafka aussieht".

Der Antwortbrief Walsers ist in der Marbacher Ausstellung zu sehen, so Mitkurator Ulrich von Bülow: „Und Martin Walser schreibt dann zurück. Er stimmt Peter Suhrkamp vollkommen zu und hat eigentlich auch schon gemerkt, dass man Kafka eigentlich überhaupt nicht nachahmen kann. Und jetzt macht er erst einmal eine Pause, schreibt er. Und wenn er weiß, wer er als Schriftsteller ist, dann wird er sich mit neuen Manuskripten melden.“ 

 

Ausstellung Franz Kafka „Kafkas Echo“ im Literaturmuseum Marbach
Martin Walser erwirbt 1949 Kafkas Nachlassband „Beim Bau der Chinesischen Mauer“, für seine Kommentare nutzt er Formulare der väterlichen Bahnhofrestauration. Walsers Dissertation „Beschreibung einer Form. Versuch über Franz Kafka“ (1951) gilt als Meilenstein der Forschung.

H.G. Adler tippte 1943 im KZ Theresienstadt einen Vortrag über Kafka

Und dann ist da noch eine kleine, unscheinbare Karteikarte. „Wer ist K?“ steht darauf. „Dichter Denker Träumer“.  Notizen des Schriftstellers H.G. Adler, der 1943  – zum 60. Geburtstag Kafkas – einen Vortrag im Konzentrationslager Theresienstadt vorbereitet und getippt hat. Die Nazis haben Kafkas Werke verboten. Doch im KZ, in dem auch der jüdische Autor H.G. Adler inhaftiert ist, wird er gefeiert. 

Unter den Mithäftlingen sei auch Ottla Kafka, Kafkas Schwester, gewesen, die wenig später in Auschwitz ermordet worden sei, sagt Mitkurator Ulrich von Bülow: „Und auf dieser Karteikarte kann man sehen, dass Adler auf die große Bedeutung von Kafkas hinweist und speziell auf den Roman „Der Prozess“. Adler sieht dort eine ausweglose Lage geschildert eines Menschen. Das sei exemplarisch, das sagt er dort in Theresienstadt vor den Mithäftlingen.“

„Versöhnung nur durch den Tod“ lautet der letzte Satz auf dieser Karteikarte, die bezeugt: Kafkas alptraumhafte, surreale Szenarien wurden von der Wirklichkeit längst überholt. 

Zum 100. Todestag von Franz Kafka

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