Gespräch

Colson Whitehead – Harlem Shuffle

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Interview
Alexander Wasner im Gespräch mit Frank Hertweck

„Eine Ratte, die sich unter der Tür durchquetscht“ – so beschreibt sich der Möbelhändler Ray Carney. Er ist schwarz und versucht, im Harlem der späten 50er Jahre eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Mit sauberen Mitteln gelingt das nicht.

Colson Whitehead, neuer Star der amerikanischen Literatur, erzählt ein weiteres Kapitel aus der schwarzen Geschichte Amerikas.

Alexander Wasner im Gespräch mit Frank Hertweck.

Harlem Shuffle - klingt bekannt. 1986 landeten die Rolling Stones einen Riesenhit mit diesem Titel. Aber das war nur eine Coverversion. Denn 1963 haben das Soul-Duo Bob & Earl das Original veröffentlicht. Und zu dieser Zeit spielt auch der neue Roman des zweifachen Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead.

Sein Held heißt Ray Carney. Er besitzt ein Möbelgeschäft auf der 125th Street. Was ihn aber vor allem antreibt: er will aufzusteigen. Sein Vater hatte sich an Gaunereien versucht, Gefängnis inbegriffen, die Mutter war verstorben. Nun hat er eine Frau geheiratet, die aus den wohlhabenderen Kreisen Harlems stammt, und Schwiegereltern, die ihn piesacken und verachten. Und denen er beweisen muss: Er ist ihre Tochter wert.

Drei Episoden schildern den vergeblichen Aufstiegskampf

Aber alleine mit Möbelverkauf ist das nicht zu schaffen. Darum ist auch einmal ein illegales Geschäft fällig, vor allem für den unzuverlässigen, aber geliebten Cousin Freddie. Colson Whitehead erzählt drei klar definierte Episoden, die den Aufstieg Carneys dokumentieren, 1959, da beteiligt er sich als Hehler an einem Überfall auf ein Hotel, der dramatische Konsequenzen hat: Niemand bestiehlt einfach den Gangsterboss Chink Montague, 1961 wird er auf demütigende Art und Weise um seine Aufnahme in den Dumas Club gebracht, DIE Adresse in Harlem für Schwarze, die es geschafft haben. Carney rächt sich. 1964 geht es noch einmal um einen Juwelendiebstahl, aber jetzt ist eine berühmte Familie New Yorks im Spiel, die van Wycks. Und die sind zu allem Unglück noch weiß.

Kann man als anständiger Mann Karriere machen?

Die große Frage in Colson Whiteheads Roman lautet: Kann man als anständiger Mann Karriere machen? Und seine Antwort lautet: NEIN. Entweder Striver, Streber, oder Crook, Gauner, das ist eine Alternative, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Whitehead hält Ray Carney auf der Sowohl-als-auch-Kippe dieses moralischen Urteils, das ist die Qualität des Romans.

Um Ray siedelt sich das Erzählpersonal an, es gibt die Gangster mit sprechenden Namen wie Miami Joe, gewalttätige Zuhälter wie Cheap Brucie, Prostituierte à la Miss Laura, den korrupten Polizisten Detective Munson. Keine Frage, es sind viele Figuren, die den Erzählkosmos bevölkern, aber ihre jeweilige Funktion ist doch überschaubar.

Harlem, New York, wird selbst zum Protagonisten

Der eigentliche Held ist Harlem selbst. Colson Whitehead hat diesen Roman mit dem Stadtplan in der Hand geschrieben, wir lernen jede Ecke, jede Straße kennen. Und jede markiert sofort, wohin man sozial gehört. Darum sind Ray Carneys Umzüge immer auch Aufstiege.

Erzählt wird der Roman zum großen Teil aus der Perspektive von Ray. Und darin steckt sein Problem. Wie schon in früheren Romanen wie „John Henry Days“, „Underground Railroad“ oder auch „Nickel Boys“ hat Colson Whitehead Schwierigkeiten damit, andere Blickwinkel zu integrieren. Sie tauchen salopp gesagt auf wie Kai aus der Kiste. Das führt zu einer dramaturgischen Unwucht.

Der Grund für die erzählerische Schieflage ist ganz einfach: Colson Whitehead kann sich nicht entscheiden zwischen einem Erzählen nah am Helden  und der Allwissenheit des Autors. Und auch das hat eine klare Ursache: Er liebt seine Recherche. Was wir über das Möbelgeschäft um 1960 erfahren ist wunderbar, aber das schafft eben nur Atmosphäre, noch keine Geschichte.

Eine perfekte Drehbuch-Vorlage

So wie es Ausstattungskino gibt, so gibt es auch Ausstattungsliteratur. Und Colson Whitehead ist ein wirklicher Meister darin. Mit allen negativen Konsequenzen. Seine Nebenfiguren sind oft kaum mehr als Klischees. Man kennt sie aus Filmen und Serien; und man würde sich nicht wundern, wenn auch Harlem Shuffle verfilmt würde.

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