Kunst kann Politik, aber anders. Wenn sie gesellschaftliche Problemzonen beleuchtet, entstehen oft neue Perspektiven – etwa auf Rechtsextremismus in Deutschland.
Krisen in Politik und Gesellschaft sind von jeher Stoff für die Kunst: Schon die alten Griechen verhandelten Mord und Totschlag auf der Bühne.
Auch heute reagieren viele Kunstschaffende auf gesellschaftliche Probleme, wie sie im Fahrwasser des grassierenden Rechtsrucks um sich greifen. So etwa Paula Markert, deren Fotoarbeiten zur Mordserie des NSU derzeit im Stadthaus Ulm zu sehen sind.
Wir stellen fünf weitere Beispiele zu künstlerischen Projekten über Rechtsextremismus in Deutschland vor:
- Ausstellung: „Three Doors“
- Literatur: „Der Tag, an dem ich sterben sollte“
- Aktionskunst: „SoKo Chemnitz“
- Film: „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“
- Theater: „Der Reichsbürger“
Ausstellung: „Three Doors“
Die multimediale Ausstellung „Three Doors“ im wkv Stuttgart nimmt den Anschlag von Hanau und den Tod von Oury Jalloh in Dessauer Polizeigewahrsam in den Blick und ist bis zum 1. September 2024 zu sehen.
Bürgerinitiativen, Angehörige der Opfer, Architekten und Künstler untersuchen gemeinsam die Vorgänge und die staatlichen Erklärungen dazu. Beteiligt ist Forensic Architecture, ein internationales Kollektiv, das Gewalttaten mit neuesten Technologien der Raum- und Architekturanalyse untersucht, unter anderem auf der Kunst-Biennale Venedig.
Literatur: „Der Tag, an dem ich sterben sollte“ von Said Etris Hashemi
Ein Buch als Manifest von Widerstand und Überleben: Said Etris Hashemi überlebte den Anschlag von Hanau schwer verletzt, während sein Bruder neben ihm starb.
Hashemi schildert seine Migrantenkind-Jugend in Deutschland und seziert den allgegenwärtigen Rassismus. Es ist eine glasklare Analyse und ein erschütterndes Dokument in einem. Der WDR nennt es ein Buch, das Pflichtlektüre im Schulunterricht werden sollte.
Die ausführliche Buchkritik:
Aktionskunst: Zentrum für politische Schönheit: „SoKo Chemnitz“
Im Sommer 2018 hatte ein rechter Mob in Chemnitz Menschen durch die Stadt gehetzt. Danach rief das Zentrum für politische Schönheit (ZfpS) zur „größten Entnazifizierung seit 1945“ auf: Mittels Bilderkennung sollten die Teilnehmer des Aufruhrs identifiziert und bei ihren Arbeitgebern denunziert werden, auch mit Fahndungsfotos online.
Die Aktion war, wie meist beim ZfpS, höchst umstritten. Im Dezember 2018 stürmte die Polizei das Projektbüro in Chemnitz und beendete die „SoKo Chemnitz“.
Film: „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“
Das Fernsehfilm-Dokudrama von Raymond Ley mit Joachim Król, Katja Bürkle, Robin Sondermann „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“ von 2020 kombiniert dokumentarisches Material mit Spielszenen.
Podcast-Folge „Sprechen wir über Mord?!“ über rechtsextreme Mörder:
Rechte Killer — Vom Fall Erzberger zum Fall Lübcke
„Sprechen wir über Mord“ erinnert an zwei denkwürdige politische Attentate von rechts. Den Morden an Matthias Erzberger und Walter Lübcke gingen jahrelange Hetzkampagnen voraus. Über Hintergründe, Zusammenhänge und Kontinuitäten rechter Gewalt diskutieren Thomas Fischer und Holger Schmidt mit Wolfgang Zimmermann vom Generallandesarchiv Karlsruhe und der Gerichtsreporterin Heike Borufka.
Es entsteht eine eindrucksvolle Collage, die tiefe Einblicke gibt in deutsche Wirklichkeiten: Fremdenfeinde gegen Demokraten, Angstmache gegen Vernunft, Mord gegen Menschlichkeit.
Theater: „Der Reichsbürger“, Monolog von Annalena und Konstantin Küspert
Ein vermeintlich sympathischer Protagonist spricht über Freiheit und autonomen Lebensstil. Er empfiehlt Unabhängigkeit mittels regionaler Produkte und driftet langsam ab in Verschwörungstheorien und Demokratiefeindlichkeit.
Ein Stresstest fürs Publikum, der die fiese Frage stellt: Wie viel Reichsbürger steckt in uns allen? Derzeit steht das Stück auf den Spielplänen der Badischen Landesbühne und des Pfalztheaters Kaiserslautern.
Theaterkritik zur Inszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern:
Mehr zum NSU
Fotoausstellung in Ulm Bilder des Terrors: Paula Markerts Deutschlandreise zeigt Tatorte des NSU
Die Fotografin Paula Markert hat Jahre lang zum Thema Rechtsterrorismus gearbeitet. Ihr Projekt „Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU“ ist im Stadthaus Ulm zu sehen.
ARD Radio Kulturnacht Saal 101 – Dokumentarhörspiel zum NSU-Prozess in 24 Teilen
Das Hörspiel basiert auf einer Sammlung von Protokollen der ARD-Gerichtsreporter und eröffnet ein facettenreiches und differenziertes Bild des NSU-Prozesses jenseits der Schlagzeilen.
11.11.2011 Die Entdeckung des NSU
11.11.2011 | Es war Anfang November 2011, als den deutschen Ermittlern die Augen aufgingen: Es gibt rechtsextremen Terrorismus im eigenen Land, einen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Plötzlich erschienen viele Ereignisse der zurückliegenden Jahre in neuem Licht: die sogenannten „Döner-Morde“ in verschiedenen deutschen Städten, der Mord an einer Polizistin in Heilbronn und jede Menge Raubüberfälle.
Nach dem jüngsten Überfall in Eisenach am 4. November 2011 hatten sich die Täter das Leben genommen. Nach ihrer Identifizierung durchsuchten die Ermittler zunächst deren Wohnmobil und eine Woche später deren Wohnung in Zwickau. Was sie dort fanden, brachte schließlich den Stein ins Rollen, der später zum zähen jahrelangen Prozess gegen Beate Zschäpe und andere führte. Für die ARD berichtete am 11. November 2011 Michael Reissenberger aus der ARD Rechtsredaktion in Karlsruhe.
Gespräch Über den Anschlag von Hanau – Die Politologin Naika Foroutan
Die rassistischen Morde von Hanau sind kein Ereignis, in dem irgendetwas kulminiert, sondern eines, das sich einschreibt in ein Kontinuum, so die Politologin Naika Foroutan.
Gedenken Ein Jahr nach dem Anschlag von Hanau: Erinnerung an die Opfer des Rassismus
Ein rechtsradikaler Attentäter erschoss am 19. Februar 2020 in der hessischen Stadt Hanau gezielt Menschen mit Migrationshintergrund. Er tötete neun Personen, verletzte sechs und erschoss anschließend seine Mutter und sich selbst. Ein Jahr später sind die Namen der Toten nicht vergessen. Wie wird in Deutschland den Opfern der rassistischen Gewalttat gedacht?
Mehr zum Mord an Walter Lübcke
Gespräch Die Wirklichkeit im Dokudrama nacherzählen - Regisseur Raymond Ley
Regisseur Raymond Ley befasst sich mit brisanten Stoffen der Gegenwart, wie dem Mord an Walter Lübcke oder dem Wirecard-Skandal. Seine Dokufiktion soll Hintergründe erhellen.
#Extremland: STRG_F über den Mordfall Walter Lübcke
Die Dokumentation basiert auf den Verhörprotokollen und Videodokumenten aus der Vernehmung von Stefan E., dem der Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke vorgeworfen wird. Ein besonderer Fokus ist E.s Radikalisierung zum Rechtsterroristen.