Die Menschen im Kylltal haben nicht erst seit der Flut 2021 mit extremen Hochwassern zu kämpfen. Eine Studie zeigt nun, welche Lehren aus diesen Katastrophen gezogen werden können.
Hans-Christoph Richarts hat im Laufe seines Lebens schon einige Hochwasser erlebt. Seit 80 Jahren wohnt er in der Speicherer Mühle, seinem Elternhaus direkt neben der Kyll. "Doch wir hatten das Wasser nie im Haus stehen", sagt Richarts, " bis zur Flutkatastrophe 2021."
Damals schoss der Fluss in die Höhe und das Wasser stieg bis knapp unter die Decke im Erdgeschoss. "Der Schaden war riesig. Möbel, die mir viel bedeutet haben, wurden zerstört. Porzellan ging zu Bruch, der Putz hat sich vollgesogen", sagt Richarts.
Flutkatastrophe im Jahr 1804 an der Kyll
Eine Markierung an der Fassade, auf der Höhe von etwa zwei Metern dreißig, erinnert an diesen Tag. Knapp 45 Zentimer darunter findet sich aber noch ein weiterer Strich. Die Hochwassermarke stammt aus dem Jahr 1804. Und auch damals muss die Mühle unter Wasser gestanden haben.
Als Kind hat Richarts immer gescherzt, dass die Kyll niemals so hoch steigen kann: "Ich hab das nicht für möglich gehalten. Und immer gesagt, derjenige, der die Markierung gemacht hat, war nur zu faul sich zu bücken." Doch seit der Flut macht der 80-Jährige darüber keine Witze mehr.
Kaum Daten zu historischen Hochwassern
Auch in jenem Sommer 1804 waren es extreme Unwetter, die eine Sturmflut auslösten. "Das Ereignis war von der Größenordnung her durchaus vergleichbar mit 2021", sagt der Wissenschaftler Jürgen Herget: "Extreme Hochwasser hat es also auch schon vor dem Klimawandel im Kylltal gegeben."
Es ist eine Erkenntnis einer Studie, die das Landesumweltamt Rheinland-Pfalz bei dem Bonner Geographen in Auftrag gegeben hat. Das Ziel des Pilotprojektes war es, Daten über die historischen Hochwasser der Kyll zu gewinnen. Denn die wurden bislang kaum erforscht, geschweige denn bei der Vorhersage von Hochwassern berücksichtigt.
Unrealistisches Bild der Gefahr durch Hochwasser
Derzeit greifen Katastrophenschützer vor allem auf die Aufzeichnungen der Pegel zurück. Um ältere Informationen zu sammeln, hat Jürgen Herget deshalb die Dorfchroniken aus der Gegend nach Anhaltspunkten durchsucht. Dann hat er den längsten Fluss der Eifel erkundet und Orte wie etwa Gerolstein, Stadtkyll oder Kyllburg besucht - immer auf der Suche nach historischen Hochwassermarkern.
Kaum historische Häuser in der Nähe der Kyll
Doch selbst in den historischen Städten fand Herget kaum Markierungen. Und das hat einen Grund, sagt der Forscher: "Die Menschen haben das Kylltal wegen der Hochwasser gemieden." Am Fluss standen über Jahrhunderte nur wenige Häuser. "Mich hat das überrascht, wie selbstverständlich die Leute damals mit den Hochwassern umgegangen sind", sagt der Geograph.
Manchmal wurden sogar Gebäude umgesiedelt, erzählt Herget, zum Beispiel die Abtei Himmerod. Bis ins 13. Jahrhundert stand das Kloster noch in der Nähe von Kordel an der Kyll. Weil der Ort aber immer wieder überflutet wurde, sind die Mönche schließlich nach Großlittgen gezogen. Dort haben sie Himmerod dann wieder aufgebaut.
Forscher: "Menschen haben verlernt, mit der Natur zu leben"
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Siedlungen immer dichter an die Kyll herangerückt und somit näher in die Gefahrenzone. Deswegen sind die Schäden durch Hochwasser heute größer als in früheren Zeiten, sagt Herget. Die Menschen hätten verlernt, mit der Natur zu leben. Und das sei umso dramatischer, weil uns Flutkatastrophen in Zukunft womöglich häufiger ereilen werden, als in der Vergangenheit. Durch den Klimawandel nehmen nämlich auch extreme Unwetter zu.
Landesumweltamt will weitere Flüsse untersuchen lassen
Daher sei es umso wichtiger die historischen Hochwasser zu untersuchen, um bessere Daten zu gewinnen, heißt es beim Landesumweltamt: "Ohne diese Informationen kann ein unrealistisches Bild von der tatsächlichen Gefahr entstehen." Wie hoch ein Fluss also im Extremfall anschwellen kann - darüber liegen zu wenige Daten vor. Diese Lücke hat die neue Studie nun für die Kyll geschlossen. Die Behörde plant aber in den nächsten Jahren, noch weitere Flüsse in Rheinland-Pfalz untersuchen zu lassen.
Hans-Christoph Richarts hält das für sinnvoll, auch wegen der Flutkatastrophe 2021. Er blickt seitdem trotzdem nicht anders auf das Gewässer, fühlt sich ihm weiter verbunden: "Ich bin hier aufgewachsen. Die Kyll ist und bleibt mein Fluss."