Drei Wochen nach der Flutkatastrophe ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Es gebe ausreichend Hinweise, dass zu spät gewarnt wurde und dadurch Menschen zu Tode gekommen seien.
Der leitende Koblenzer Staatsanwalt Harald Kruse erläuterte am Freitag auf einer Pressekonferenz den aktuellen Stand des Verfahrens. Demnach wird wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung im Amt durch Unterlassen ermittelt.
Das Verfahren richtet sich gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und eine weitere Person des Krisenstabs. Der Name des zweiten Beschuldigten wurde nicht genannt, laut Kruse aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Der Betreffende stehe nicht in politischer Verantwortung.
"Warnungen und Evakuierung zu spät"
Kruse sagte, es gebe "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass "Warnungen verspätet und unzureichend waren und Evakuierungen möglicherweise zu spät und unzureichend angeordnet wurden." Dies begründe den Vorwurf fahrlässiger Unterlassung und "leider den Anfangsverdacht, dass durch Versäumnisse Menschen zu Tode gekommen sind".
"In Sinzig hätten Menschen gerettet werden können"
Kruse bezog sich dabei auch auf den Tod von zwölf Menschen in einem Haus der Lebenshilfe in Sinzig. Die Nachtwache, die dort vom 14. auf den 15. Juli Dienst hatte, habe ausgesagt, sie hätte noch eine Wohngruppe aus dem Haupthaus evakuieren und in den 2. Stock retten können. Die Menschen im Erdgeschoss des Hauses starben bei der Flutwelle. Zumindest für diese Personen, so Kruse, sei anzunehmen, "dass sie bei einer früheren Warnung hätten gerettet werden können."
"Einschätzung aus heutiger Sicht falsch"
Die Lage im Ahrtal sei in den ersten Tagen unübersichtlich gewesen, so Kruse. Zunächst seien die Verantwortlichen der Meinung gewesen, dass das Ausmaß nicht vorhersehbar gewesen sei und die Flutwelle sehr schnell die Ahr durchquert habe. "Beide Einschätzungen waren aus heutiger Sicht nicht richtig", sagte Kruse.
Zeitliche Rekonstruktion der Ereignisse entlang der Ahr
Beim zeitlichen Aufriss der Ereignisse an der Ahr habe sich ergeben, dass die Annahme der extrem steigenden Flutwelle falsch war, so Staatsanwalt Kruse. Bereits gegen 17 Uhr sei das Wasser im Eifelort Schuld angekommen und habe dort starke Sachschäden angerichtet. In Sinzig sei die Flutwelle gegen 2.30 Uhr angekommen. In diesen neun Stunden habe sich die Lage fortlaufend verschlechtert. Das werfe aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Frage auf, warum eine deutliche Warnung an die Bevölkerung erst nach 23 Uhr erfolgt sei.
Ermittlungen liegen beim LKA
Die polizeilichen Ermittlungen hat das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz übernommen. Das teilte die Staatsanwaltschaf mit. Am Freitag seien bereits Unterlagen und Daten des Krisenstabes des Landkreises Ahrweiler sowie die persönlichen Kommunikationsmittel beider Beschuldigter sichergestellt worden. Sie sollen nun ausgewertet werden.
Pföhler war nicht der Einsatzleiter
Bei der Durchsuchung habe Landrat Pföhler angegeben, dass er die gesamte Einsatzleitung delegiert habe. Er selbst habe sich während der Katastrophe überwiegend nicht in der Kreisverwaltung aufgehalten. Bekannt sei, dass Pföhler am Abend gegen 19.15 Uhr mit Innenminister Roger Lewentz (SPD) beim Krisenstab war. Wann Pföhler weg war, sei nicht bekannt.
Der Landrat habe nach eigener Aussage die Einsatzleitung für den Kreis schon vor Jahren an eine dritte Person übergeben, berichtete Kruse. Das sei auch gesetzlich möglich. Die dritte Person habe am Abend des 14. Juli um 23.09 Uhr den Katastrophenalarm ausgelöst.
"Alles vorläufige Überlegungen"
Kruse betonte, dass es sich um einen Anfangsverdacht handele. Alles seien vorläufige Überlegungen. "Wir nageln hier niemanden ans Kreuz", so Kruse wörtlich. Man wolle auch bei den Angehörigen und den Opfern "dieser schrecklichen Katastrophe nicht Erwartungen wecken, die wir womöglich nicht erfüllen können".
Mailadresse für Hinweise der Bevölkerung bleibt bestehen
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte eine Mail-Adresse für die Sammlung von Hinweisen zur Flutkatastrophe an der Ahr eingerichtet. Bisher seien zwischen 60 und 70 Hinweise eingegangen, so die Staatsanwaltschaft auf SWR-Nachfrage. Hinweise können weiter an "unwetter.stako@genstako.jm.rlp.de" gemeldet werden.
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