2.097 Seiten Abschlussbericht

Ignoranz und Staatsversagen - Scharfe Worte der Opposition im Bericht des Flut-Ausschusses

Stand
Autor/in
Andrea Lohmann
Andrea Lohmann, Online-Redakteurin bei SWR Rheinland-Pfalz Aktuell
Mathias Zahn

Auf 2.097 Seiten ist jetzt für jeden nachlesbar, was der U-Ausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal herausgearbeitet hat. In der Bewertung der Erkenntnisse liegen die Fraktionen weit auseinander.

Seit Freitagmorgen ist der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe online zugänglich. Bereits im Juli hatte das Gremium seinen Abschlussbericht beschlossen. Jeder und jede kann nun auf fast 2.100 Seiten detailliert nachlesen, welche Beweise und Erkenntnisse der U-Ausschuss gesammelt hat. Hier können Sie den Bericht lesen. Ein Zugang ist auch möglich über das Offene Parlamentarische Auskunftssystem des Landtags (OPAL). Hier muss nach dem Stichwort "10000" gesucht werden.

Der Bericht bildet zunächst die umfangreiche Beweisaufnahme ab. Es wurden 226 Zeugen vernommen und 23 Sachverständige angehört, manche mehrfach - immer mit dem Ziel herauszufinden, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 gab und wer dafür verantwortlich ist.

Darüber hinaus enthält das Dokument aber auch die politischen Bewertungen der Beweise und Erkenntnisse durch die Fraktionen. Die Stellungnahmen durch die Fraktionen der Ampel und die Fraktionen der Opposition liegen weit auseinander. Dabei geht es auch immer wieder um diese Fragen: Welche Verantwortung trägt die Landesregierung, insbesondere in den Personen des Umweltstaatssekretärs Erwin Manz (Grüne) und des ADD-Präsidenten Thomas Linnertz und welche Verantwortung trägt Landrat Jürgen Pföhler? Beide Seiten finden für ihre Einschätzung sehr deutliche Worte.

Ahrweiler

Reaktion auf Abschlussbericht Untersuchungsausschuss So blickt das Ahrtal auf den Abschlussbericht zur Flutkatastrophe

Auf kanpp 2.100 Seiten fasst der U-Ausschuss zur Flutkatastrophe die Erkenntnisse aus der Flutnacht zusammen. Politiker aus dem Ahrtal reagieren verhalten auf den Bericht.

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"Gruselig, wie die Ampelfraktionen Realität ausblenden"

Für die Oppositionsfraktionen von CDU, Freien Wählern und AfD steht fest: Die Landesregierung habe dabei versagt, die Menschen rechtzeitig vor der Flut zu warnen und das Katastrophenmanagement an sich zu ziehen.

Die CDU-Fraktion spricht im Abschlussbericht von Staatsversagen: Die vielen Fehler auf Landesebene hätten zu den Folgen der Katastrophe beigetragen. Dirk Herber, CDU-Obmann im Ausschuss, sagte dem SWR, es sei gruselig, wie die regierungstragenden Ampelfraktionen die Realität völlig ausblendeten:

"Wir konnten durch die Arbeit des Ausschusses aufdecken, was die Landesregierung versucht hat, an eigenen Fehlern zu vertuschen und allein auf den Landrat zielen wollte, der natürlich auch unentschuldbar dort sich fehlverhalten hat. Der Aufklärungswille der Ampel-Fraktionen wurde getriggert von der Landesregierung und ihrem Bild, das sie schaffen wollten, dass nur andere schuld sind und man selbst überhaupt nicht. In der ganzen Aufklärung ist dieses Kartenhaus zusammengefallen."

"Schwer zu ertragende Ignoranz"

Herber verweist im SWR-Gespräch darauf, dass Landrat Pföhler (CDU) nicht mehr im Amt sei - anders als andere Verantwortliche: "Wir haben aber in der Landesregierung noch Menschen im Amt sitzen, die eben auch in der Katastrophe versagt haben. Und die werden weiter gedeckt, geschützt, aus welchen Gründen auch immer. Aber die sind aus unserer Sicht auch nicht mehr tragbar."

Die CDU-Fraktion äußert in ihrer Stellungnahme Unverständnis dafür, dass Umweltstaatssekretär Manz und ADD-Präsident Linnertz weiter im Amt sind. Das sei "eine schwer zu ertragende Ignoranz gegenüber den Menschen unseres Landes und insbesondere den Opfern".

CDU, Freie Wähler (FW) und AfD fordern den Rücktritt der beiden. Diese Forderung stieß bisher in Kreisen der Ampelfraktionen nicht auf Gehör.

"Landrat Pföhler trägt politische und moralische Verantwortung"

Auch die Fraktion der Freien Wähler weist in ihrer Stellungnahme mit Nachdruck auf die Verantwortung von Pföhler, Manz und Linnertz hin. Pföhler habe auf dramatische Weise seine Pflichten verletzt, er habe sich über geltende Vorschriften hinweggesetzt und ein Führungssystem eingerichtet, bei dem ein Verwaltungsstab als zentrale Komponente gefehlt habe.

Die Fraktion geht davon aus, dass Menschen in der Nacht vor den Fluten hätten gerettet werden können, wenn es ein vorgehaltenes und ausgestattetes Führungssystem gegeben hätte. Diesen klaren Schluss hätten die Experten gezogen. Im Votum der Freien Wähler heißt es: "Die politische und moralische Verantwortung für seine Untätigkeit, aufgrund derer sehr wahrscheinlich Menschen im Ahrtal zu Tode gekommen sind, hat Landrat Jürgen Pföhler somit dennoch zu tragen. "

Stephan Wefelscheid von den FW kritisiert im Abschlussbericht auch ein Versagen bei der Flutwarnung durch das Land. Entsprechendes Wissen sei verfügbar gewesen. Prognosen und Messdaten hätte dem Landesamt für Umwelt und dem Umweltministerium vorgelegen: "Ebenso waren dort Fachleute zugegen, welche diese interpretieren konnten. Dass dieses Wissen keine Anwendung fand und nahezu alle Beteiligten im Blindflug dieser Flut begegnen mussten, dafür tragen Ministerin Anne Spiegel und Staatssekretär Erwin Manz die politische Verantwortung."

Die AfD schreibt in ihrem Votum von staatlichem Organisationsversagen. Die meisten Menschen hätten durch eine wirksame Warnung gerettet werden können. Die gesamt-politische Verantwortung liege bei der Landesregierung. AfD-Obmann Jan Bollinger sagte dem SWR, das Organisationsversagen habe sich wie eine Kettenreaktion nach unten fortgesetzt und maßgeblich zu den verhängnisvollen Auswirkungen der Flutkatastrophe beigetragen.

Fehlende Entschuldigung von Dreyer "beschämend"

In den Reaktionen der Oppositionsfraktionen wird der Blick auch nochmal auf die frühere Ministerpäsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihre nicht erfolgte Entschuldigung bei den Betroffenen der Ahrflut gelenkt. Die Freien Wähler betonen, dass eine solche Entschuldigung für viele Menschen wichtig und bedeutend wäre. Die AfD findet es "beschämend", dass sich Dreyer zu einer Entschuldigung nicht durchringen konnte.

Kein Verwaltungsstab, kein Alarmplan - und der Kapitän nicht an Bord

Die Sicht der Ampelfraktionen auf Versäumnisse und Verantwortlichkeiten in und nach der Flutnacht ist eine andere. Sie sehen durch die Erkenntnisse der Ausschussarbeit den damaligen Landrat von der CDU als Hauptverantwortlichen. Der SPD-Abgeordnete Nico Steinbach sagte dem SWR, die politische Verantwortung liege klar bei Pföhler - er sei am Flutabend nur sporadisch in der Einsatzleitung gewesen und habe schon in der Vergangenheit den Katastrophenschutz in seinem Landkreis vernachlässigt. So habe es beispielsweise keinen Alarm- und Einsatzplan gegeben und auch keinen Verwaltungsstab.

Wörtlich sagte Steinbach: "Wenn das alles unterlassen wird und der Kapitän, der Steuermann selbst gar nicht an Bord ist, sondern nur zum kurzen Pressetermin kommt, dann können sie in der Chronologie im Abschlussbericht sehr gut nach- und herauslesen, dass das der Grund und auch der Ausgangspunkt für eine sehr verheerende Situation war. Was nicht heißt, dass das Unwetter hätte verhindert werden können. Aber die Bewältigung war leider unter diesen Ausgangsvoraussetzungen nicht professionell möglich", so Steinbach.

"Der Staatssekretär hat sehr gut gehandelt"

Der Obmann der Grünen im Flut-Untersuchungsausschuss, Carl-Bernhard von Heusinger, weist die Rücktrittsforderung der Opposition an den grünen Umweltstaatssekretär Erwin Manz zurück. Dem SWR sagte von Heusinger, das sei von den Erkenntnissen nicht gedeckt:

"Wenn man die Feststellung im Untersuchungsausschuss mal mit sich nimmt, dann sieht man, dass der Staatssekretär sehr gut gehandelt hat und auch am Abend noch sehr viel kommuniziert hat, in alle Richtungen." Es ergebe sich überhaupt keine Veranlassung für einen Rücktritt des Staatssekretärs.

Das Umweltministerium ist für die Hochwasserwarnungen zuständig. Die Opposition wirft Manz vor, er habe es am Tag der Flut nicht geschafft, dass die dramatischen Pegelprognosen und Warnungen die Menschen im Ahrtal auch erreichten.

Auch von Heusinger betonte im Zuge des Abschlussberichtes die politische Verantwortung, die allein bei Pföhler liege. "Er hat sich um seine privaten Dinge gekümmert, anstatt Leib und Leben der Bürgerinnen vor Ort zu schützen, anstatt Handlungen in die Wege zu leiten und deswegen trägt er die politische Verantwortung."

Auszüge aus den Stellungnahmen zum Nachlesen

Im Folgenden haben wir weitere Auszüge aus dem Abschlussbericht zusammengestellt. Zum einen sind es Auszüge aus der Bewertung des Ausschusses, die mit der Mehrheit der Ampelfraktionen beschlossen wurde. Insofern spiegeln sich hier die Standpunkte der Landesregierung. Zum anderen sind es Auszüge aus den drei Sondervoten der Oppositionsfraktionen - CDU, FW und AfD. Darin legen diese dar, inwiefern ihre Bewertungen von denen der Ampelfraktionen und damit der Gesamtbewertung abweichen.

Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses

Der Ausschuss hat 294 Stunden lang getagt, manchmal bis zu 16 Stunden an einem Stück. Seine Aufgabe war es herauszufinden, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 gab und wer dafür verantwortlich ist. Damals kamen im Ahrtal mindestens 135 Menschen ums Leben und das Wasser zerstörte hunderte Gebäude und viel Infrastruktur.

2.100 Seiten - und wer liest das noch?

Der Bericht ist jetzt jedem zugänglich und in der ersten Landtagssitzung nach der Sommerpause soll er diskutiert werden. Die findet am 18./19. September statt, bis dahin sollten die Abgeordneten also genug Zeit haben, sich gründlich einzulesen.

So sehen die Menschen im Ahrtal die Verantwortlichkeiten

In einer SWR-Umfrage Anfang Juli zeigte sich, dass die Befragten die Verantwortung für mögliche Versäumnisse hauptsächlich bei der Landesregierung sehen - 39 Prozent der Befragten äußerten sich entsprechend. Mit 31 Prozent gaben die Befragten an, die Landkreise in der Verantwortung zu sehen. Allerdings: Im Landkreis Ahrweiler verorten die Menschen die Verantwortung stärker auf der regionalen Ebene: Fast jeder Zweite (48 Prozent) meint, dass insbesondere die Kreisverwaltung für Versäumnisse verantwortlich sei.

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