Wie einige andere Bundesligavereine hat jetzt auch der SC Freiburg seine Rolle während des Nationalsozialismus untersuchen lassen. Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft.
Der SC Freiburg hat ein dunkles Kapitel seiner Vergangenheit aufgearbeitet. Zwei Jahre lang haben Historiker und weitere Experten dazu in den Archiven geforscht. Herausgekommen ist das 288-seitige Buch "Spielball der Ideologie? Der SC Freiburg in der Zeit des Nationalsozialismus" (Herder-Verlag). Bei einem gut besuchten Mitgliederforum hat es der Sportclub am Donnerstag im Europa-Park-Stadion vorgestellt. Die Studie, die auch die Zeit vor und nach der Nazi-Diktatur in den Blick nimmt, dürfte das Selbstbild des Vereins verändern.
Spieler mit unterschiedlicher Haltung zum NS-Regime
Das Cover-Bild des Buches ist womöglich eine Art Sinnbild für den SC Freiburg während der NS-Zeit: Spieler der Altherrenmannschaft stehen da aufgereiht auf einem zerpflügten Acker. Einige haben den Arm zum Hitlergruß erhoben. Manche eher pflichtschuldig, so scheint es; einer stramm und zackig, andere haben ihn schon wieder gesenkt. Die Buchautoren haben dieses Foto nicht zufällig ausgesucht: Die unterschiedlichen Körperhaltungen symbolisieren aus ihrer Sicht gut die unterschiedlich starke Identifikation der SC-Mitglieder mit dem Regime.
SC Freiburg: Weder Arbeiter- noch oppositioneller Club
Es habe ihn überrascht, sagt der Freiburger Historiker Robert Neisen, "dass es schon vor 1933 einige Nationalsozialisten innerhalb des Vereins gab, die dann eine wichtige Funktion bei der Gleichschaltung hatten". Die Erzählung vom Sportclub als rebellischem Arbeiterverein haben er und Co-Autor Andreas Lehmann nicht bestätigt gefunden. Eher das Gegenteil: "Die Funktionäre waren bürgerlich und viele von ihnen waren empfänglich für nationalsozialistisches Gedankengut."
Gleichwohl gab es unter den Mitgliedern auch Regimegegner wie den Kommunisten Willy Knobloch. Der erzählte später gerne, er habe den Konvoi Hitlers bei dessen Besuch 1932 in Freiburg mit Steinen beworfen. Das sei aber wohl eher eine Einzelaktion gewesen, sagt Andreas Lehmann: "Kollektiven Widerstand gegen die Nazis gab es nicht".
So berichtete SWR Aktuell BW 2023 über die historische Studie des SC Freiburg:
Sportclub machte Kriegsverbrecher zum Ehrenmitglied
Und es gab eben auch überzeugte NS-Schergen in den Reihen des Sportclubs wie den Mittelstürmer Hans Baumgart. Der war nicht nur auf dem Spielfeld ein "gefürchteter Vollstrecker", sondern später auch als KZ-Aufseher im Außenlager Karlshagen auf Usedom. Dort ließ Baumgart zwei französische Widerstandskämpfer hinrichten. Für ungläubiges Kopfschütteln sorgte es bei den SC-Anhängern zu hören, dass der verurteilte Kriegsverbrecher Baumgart bei seiner Rückkehr in den 1950er-Jahren beim Sportclub "wie ein verlorener Sohn empfangen" und zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Der Zusammenhalt im Verein ließ offenbar über politische Differenzen hinwegsehen - im Guten wie im Schlechten.
Über das Schicksal jüdischer SC-Mitglieder ist wenig bekannt
Der Sportclub, so das Fazit der beiden Historiker, war im "Dritten Reich" alles in allem eher ein aktiver Mitspieler denn ein "Spielball der Ideologie". Allerdings ist die Quellenlage für diese Zeit relativ überschaubar. Denn das Vereinsarchiv des SC ist bei der Freiburger Bombennacht größtenteils abgebrannt. Auch Zeitzeugen haben die Autoren kaum gefunden. Weitgehend unklar bleibt daher auch das Schicksal der jüdischen Vereinsmitglieder nach 1933. Belegt ist das des SC-Vizepräsidenten Sigmund Günzburger, der von den Nazis zuerst ins Lager Gurs und dann nach Auschwitz deportiert wurde, wo er 1942 in den Gaskammern ums Leben kam.
SC will seine Werte glaubwürdig vertreten
Für den SC Freiburg ist das Buch ein wichtiger Meilenstein und der vorläufige Schlusspunkt des Aufarbeitungsprozesses, der bereits 2020 angestoßen wurde. Damit folgt der Sportclub dem Beispiel von Bundesligisten wie dem VfB Stuttgart, Bayern München, Borussia Dortmund oder Eintracht Frankfurt, die sich ihrer Geschichte in den letzten Jahren gestellt hatten. Dabei, sagt Marketingleiter Hanno Franke, gehe es dem SC auch darum, die in der Vereinssatzung verankerten Werte ernst zu nehmen. Nicht zuletzt mit Blick auf die Gegenwart sei es wichtig "wenn es gesellschaftliche Tendenzen gibt, auch Flagge zu zeigen. Und wir richten uns explizit gegen Diskriminierung von Minderheiten".
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