Bei einer Beerdigung in Altbach hatte er eine Handgranate geworfen. Wer ist der 24-jährige Täter und welche Rolle spielt er im Bandenstreit im Raum Stuttgart?
Nachdem ein 24-Jähriger vergangenen Sommer eine Handgranate auf eine Trauergemeinde in Altbach (Kreis Esslingen) geworfen hatte, hat das Landgericht Stuttgart ihn am Mittwoch zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Das Gericht hat den Angeklagten unter anderem wegen des 15-fachen versuchten Mordes schuldig gesprochen.
In seinem Abschlussplädoyer hatte Oberstaatsanwalt Peter Holzwarth die besondere Schwere der Tat betont: "So etwas ist im Großraum Stuttgart noch nie oder zumindest noch nicht oft da gewesen."
Opfer haben teilweise noch Kugeln der Handgranate im Körper
15 Menschen wurden verletzt, als der heute 24-jährige Mann im Juni 2023 bei einer Beerdigung in Altbach eine Handgranate in Richtung Trauergemeinde warf. Bei manchen der Verletzten verfehlten die Stahlkügelchen aus der Granate große Blutgefäße nur um Millimeter. Bei einem Mann zum Beispiel steckt die Stahlkugel noch immer im Knochen des Ellenbogens. So schilderte es ein medizinischer Gutachter vor Gericht. Andere Opfer leiden laut Staatsanwalt bis heute unter Panikattacken oder Schlafstörungen. Das Gericht sah unter anderem das Mordmerkmal Heimtücke erfüllt, weil die Opfer mit dem Rücken zum Täter standen, als er die Granate warf.
Außerdem hat derselbe Täter etwa ein halbes Jahr vor der Tat in Altbach in Göppingen mit einem Messer einen anderen Mann lebensgefährlich verletzt. Auch diese Tat war Gegenstand des Verfahrens. Der 24-Jährige hat beide Taten gestanden.
Richter: Geständnis lohnt sich
Dieses Geständnis sprach für ihn, sagte der vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung. "Es lohnt sich, ein Geständnis abzulegen. Ohne Geständnis wären Sie mindestens bei 15 Jahren rausgekommen", so der Richter zum Angeklagten am letzten Prozesstag. Gegen den Angeklagten sprach hingegen laut Gericht, dass er vor der Tat in Altbach zum Beispiel gegoogelt habe, welche Strafe auf versuchten Totschlag stehe. "Sie haben sich vorher damit auseinander gesetzt, was ein Mord und ein Totschlag ist und was da alles drohen kann", sagte der Richter.
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Angeklagter von Altbach hat gestanden
Wer ist der junge Mann, der in Altbach die Handgranate warf? Und welche Rolle spielt er in der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Banden junger Männer im Großraum Stuttgart, die seit Sommer 2022 auch bundesweit für Schlagzeilen sorgt?
Vom Angeklagten selbst erfuhr man in dem Prozess kaum etwas. Zwar hat er gestanden - im Gegensatz zu den anderen mutmaßlichen Tätern, die bislang in der sogenannten Schussserie vor Gericht stehen. Abgesehen davon aber herrschte beim Angeklagten von Altbach wie bei den anderen mutmaßlichen Tätern: Schweigen. Auf ein Gespräch mit einem Psychiater aus Böblingen, der im Prozess als Gutachter auftrat, hat sich der Angeklagte aber eingelassen. Die Ausführungen des Gutachters vor Gericht gaben zumindest bruchstückhafte Einblicke in das Leben des Handgranatenwerfers.
Flucht aus dem Iran
Der Angeklagte wurde demnach in einer Kleinstadt im Iran geboren. Die Familie seien Kurden, der Vater soll politisch aktiv gewesen sein. Deshalb flüchtete die Familie in den Irak, als der Angeklagte noch ein kleines Kind war. So hat es der psychiatrische Gutachter am vorletzten Prozesstag vorgetragen.
Ausgrenzung soll sich von Anfang an durch sein Leben gezogen haben. Im Irak sollen Mitschüler und Lehrer den Angeklagten wegen seiner kurdischen Herkunft beleidigt und geschlagen haben.
Gutachter: Angeklagter arbeitete erfolgreich
Aus Sorge vor Verfolgung und Inhaftierung im Irak flüchtete die Familie letztlich nach Deutschland, lebte in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften, zog schließlich nach Göppingen. Anfangs brachte sich der Angeklagte mit Comics Deutsch bei, später machte er den Hauptschulabschluss.
Der Angeklagte arbeitete zuerst ungelernt in einer Zinkerei. Später begann er eine Fortbildung zum Fahrzeugbaumechaniker. Er berichtete dem Gutachter von fremdenfeindlichem Mobbing bei der Ausbildung. Schließlich machte er eine Lehre zum Fahrer.
"Er arbeitete erfolgreich, brachte Geld für die Familie mit nach Hause", so der Gutachter. "Er hat seine Bemühungen, ein erfolgreiches und geachtetes Leben zu führen, betont. Er hat sich immer wieder missachtet und abgelehnt gefühlt, aber er hatte immer den Anspruch, nicht aufzugeben."
Gutachter schildert Bruch im Leben des Angeklagten
Irgendwann habe es im Leben des Angeklagten dann offenbar einen Bruch gegeben, so der Gutachter im Prozess. "Er wird aus der Kurve getragen", formulierte es sein Verteidiger. "Er begann Alkohol zu trinken wegen auftauchender Schlafstörungen", sagte der Gutachter.
Auch depressive Tendenzen hat der Gutachter beobachtet - und das Gefühl, "nicht so erfolgreich zu sein, wie er es möchte". Am Ende der Ausführungen wurde der Angeklagte gefragt, ob alles korrekt sei. Das bestätigte er und bedankte sich sogar kurz beim Gutachter.
Handgranaten-Prozess lässt viele Fragen offen
Als der Angeklagte letzten Sommer die Handgranate warf, hatte er keine Vorstrafen. Nur ein Fall stand in seinem Register, ein Diebstahl, das Verfahren wurde eingestellt. "Kleinstkriminalität", sagte der vorsitzende Richter Norbert Winkelmann - und fragte sich: Wie konnte es zu so einer Steigerung kommen? Zu den Ausführungen des Psychiaters sagte er: "Wenn ich das vergleiche mit dem, was ihm vorgeworfen wird, sind das zwei Menschen."
Viele Fragen, auf die das Gericht sich Antworten erhoffte, konnten im Prozess nicht geklärt werden. Der Granatenwurf gilt als bisheriger Höhepunkt in der gewalttätigen Auseinandersetzung zweier Gruppen im Großraum Stuttgart. Der Angeklagte wird der Gruppe aus dem Kreis Göppingen mit Verbindungen nach Zuffenhausen zugeordnet. Der junge Mann, der in Altbach beerdigt wurde, und einige Anwesende bei der Trauerfeier werden dagegen zur verfeindeten Gruppe mit Schwerpunkt im Kreis Esslingen gerechnet.
Der "Mann fürs Grobe"?
Doch welche Rolle hatte der Handgranatenwerfer in "seiner" Bande inne? War er ein vollwertiges Mitglied? Oder hat er sich von dem Anschlag vielmehr erhofft, bei der Gruppe stärker "ins Herz geschlossen zu werden", wie sein Verteidiger sagte? Oder war er "der Mann fürs Grobe", stellte der Verteidiger zur Debatte - sowohl in Altbach als auch bei dem Messerangriff in Göppingen? Bis heute sei ihm das nicht klar geworden, sagte der Verteidiger des Angeklagten am vorletzten Prozesstag.
"Man kann nahezu sicher sein, dass die Tat nicht seine eigene Idee war", so Staatsanwalt Peter Holzwarth, der in seinem Abschlussplädoyer zusammenfasst hat: "Wir tappen ein Stück weit im Dunkeln." Das liegt vor allem daran, dass in den Prozessen zu der Gewalt zwischen den beiden Gruppen bislang fast alle Beteiligten schweigen.
Innenminister: Urteil ist ein starkes Zeichen des Rechtsstaates
Nun hat das Landgericht Stuttgart den Handgranatenwerfer verurteilt. Das Innenministerium sieht das Urteil als wichtiges Zeichen des Rechtsstaates. Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigt an, "subkulturelle Gewaltkriminalität mit einem langen Atem und größter Entschiedenheit weiter erfolgreich bekämpfen" zu wollen.
Schussserie im Raum Stuttgart: Mehrere Urteile stehen bevor
Ob die weitere Aufarbeitung der Gerichte zur Schussserie mehr Erkenntnisse bringen wird als dieser Prozess, bleibt abzuwarten. Bereits einen Tag später, am Donnerstag, geht es weiter. Dann wird ein Urteil in dem Prozess um Schüsse auf eine Shisha-Bar in Plochingen, die im April 2023 gefallen sind, erwartet.
Fast 60 Personen wurden laut Landeskriminalamt inzwischen festgenommen, 118 Waffen beschlagnahmt, 147 Durchsuchungen durchgeführt. Erst vor rund zwei Wochen hatte die Polizei angekündigt, den Druck auf die rivalisierenden Gruppen erhöhen zu wollen. Außerdem soll es ein Präventionskonzept für junge Menschen geben.
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