Für den Landesverfassungsschutz ist die AfD Baden-Württemberg ein "Verdachtsfall". Was bedeutet das - und welche Folgen hat es für die Partei?
Seit Juli 2022 ist es offiziell: Für den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg besteht der Verdacht, dass die AfD rechtsextrem ist. Die AfD klagt dagegen.
- Was bedeutet die Einstufung als "Verdachtsfall"?
- Welche Einstufungen gibt es?
- Welche Bedeutung haben die Einstufungen für die Öffentlichkeit?
- Welche Hürden gibt es bei der Beobachtung der AfD und ihrer Mitglieder?
- Ist die ganze AfD ein Verdachtsfall?
Was bedeutet die Einstufung als "Verdachtsfall"?
Der Verfassungsschutz darf eine Partei, die unter Extremismusverdacht steht, offiziell beobachten - man liest deshalb auch von der AfD als "Beobachtungsobjekt" oder "Beobachtungsfall". In der Praxis bedeutet das: Der Verfassungsschutz darf auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. So kann die Behörde etwa V-Leute anwerben, also Informantinnen und Informanten aus dem Umfeld der Partei. Außerdem kann sie Personen observieren oder auch, sofern noch weitere Voraussetzungen erfüllt sind, die Telekommunikation überwachen.
Denkbar wäre auch, dass Abgeordnete der AfD von geheimdienstlichen Informationen abgeschnitten werden. Sowohl im Landtag als auch Bundestag ist die AfD Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das unter anderem die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrollieren soll - also des Inlandsgeheimdienstes, der nun auch sie selbst beobachtet.
Auch für einfache Mitglieder der AfD könnte die Einstufung Folgen haben: nämlich für Beamtinnen und Beamte. Als Staatsdiener haben diese schließlich einen Eid auf die Verfassung abgelegt. Ob sich ihr Beamtendasein mit der Mitgliedschaft in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei verträgt, ist daher eine offene Frage.
Bislang sind allerdings noch keine Konsequenzen bekannt, die über die Beobachtung der Partei hinausgehen. Das liegt wohl auch daran, dass die AfD mit juristischen Mitteln gegen ihre Einstufung als Verdachtsfall vorgeht - und diese damit noch nicht rechtskräftig ist.
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Welche Einstufungen gibt es?
Bevor der Verfassungsschutz die AfD zum Verdachtsfall beziehungsweise Beobachtungsobjekt erklärt hat, galt sie als Prüffall. Hierbei wird vorgeprüft, ob genügend Anhaltspunkte für eine Beobachtung vorliegen. Der Verfassungsschutz kann in diesem Stadium lediglich Informationen aus offen zugänglichen Quellen sammeln: Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge oder Internetauftritte etwa, aber auch öffentliche Äußerungen der beteiligten Personen, Vereinssatzungen oder Parteiprogramme.
Wenn dieser erste Schritt aus Sicht der Behörde ergeben hat, dass es bei einem Prüffall tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung gibt, dann stuft der Verfassungsschutz diesen Fall zum Verdachtsfall hoch.
Die dritte Stufe ist das Vorliegen einer gesicherten extremistischen Bestrebung. Hier hat sich der Verdacht schon so weit verfestigt, dass aus Sicht der Behörde keine Zweifel mehr am Vorliegen extremistischer Bestrebungen bestehen. Wie schon bei den Verdachtsfällen beobachtet der Verfassungsschutz auch hier die jeweilige Gruppierung oder Einzelperson. Der Inlandsgeheimdienst kann einen Prüffall auch direkt zur gesicherten Bestrebung hochstufen, ohne den "Umweg" Verdachtsfall.
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Welche Bedeutung haben die Einstufungen für die Öffentlichkeit?
Bei den Kategorien "Verdachtsfall" und "gesichert extremistisch" informiert der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit. Bei einem "Prüffall" darf er das noch nicht.
Gegen diese Regel hatten die Verfassungsschützer Anfang 2019 verstoßen: Damals erklärte der Bundesverfassungsschutz die Bundes-AfD öffentlich zum Prüffall, der Landesverfassungsschutz tat kurz darauf das Gleiche mit Bezug auf die AfD Baden-Württemberg. Per Eilantrag ging die AfD dagegen vor und bekam Recht. Das Gericht erklärte, dass die Bezeichnung in der Öffentlichkeit eine "negative Wirkung" habe, womit vom Verfassungsschutz in das Parteiengrundrecht der AfD und die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitglieder auf rechtswidrige und unverhältnismäßige Weise eingegriffen worden sei.
Das mit der "negativen Wirkung" gilt natürlich umso stärker bei der Einstufung als Verdachtsfall, die inzwischen sowohl für die Bundes-AfD als auch für die AfD Baden-Württemberg gilt. Dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird, ist aber unumstritten: Ihr Recht darauf zu erfahren, dass der Verdacht auf extremistische Bestrebungen besteht, wiegt höher als das Recht der Partei und ihrer Mitglieder. Die AfD klagt diesmal auch nicht gegen die Veröffentlichung dieser Information, sondern gegen die Einstufung als Verdachtsfall an sich.
Welche Hürden gibt es bei der Beobachtung der AfD und ihrer Mitglieder?
Eine Beobachtung greift in die Grundrechte der Beobachteten ein. Darum muss der Verfassungsschutz immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten: Jede Maßnahme muss erforderlich und angemessen sein. Es darf also kein milderes Mittel geben, das genauso effektiv wäre. Bei einer gesicherten extremistischen Bestrebung sind dabei tendenziell mehr Maßnahmen zulässig als bei einem Verdachtsfall. In beiden Fällen stehen also die gleichen "Werkzeuge" zur Verfügung, aber die Einzelfallentscheidung, wie genau beobachtet wird, kann unterschiedlich ausfallen.
Wenn sich die Beobachtung auch auf gewählte Parlamentarier erstrecken soll, gelten besonders hohe Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 entschieden, dass die Beobachtung eines Abgeordneten durch Behörden einen besonders schweren Eingriff in das freie Mandat darstellt. Das sei nur in Ausnahmefällen zulässig.
Ist die ganze AfD ein Verdachtsfall?
Für die Bundes-AfD und für ihre verschiedenen Landesverbände können unterschiedliche Einstufungen gelten. So wurde die Bundes-AfD bereits im März 2021 als Verdachtsfall eingestuft. Für die AfD Baden-Württemberg gilt das erst seit Juli 2022.
Außerdem ist es möglich, dass der Verfassungsschutz nur einzelne Parteiorganisationen oder -mitglieder als Verdachtsfälle einstuft, nicht aber den gesamten Landesverband. Auch das war mit Bezug auf die AfD der Fall: So gilt beispielsweise die Jugendorganisation der AfD, die "Junge Alternative Baden-Württemberg", schon seit 2018 als Verdachtsfall für den Landesverfassungsschutz.
Mittlerweile haben die Landesämter für Verfassungsschutz rund die Hälfte der AfD- Landesverbände als Verdachtsfälle eingestuft. Der Landesverfassungsschutz von Thüringen hat den dortigen AfD-Landesverband sogar als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Geführt wird die Thüringer AfD von Björn Höcke. Auch für Höcke persönlich gilt diese Einstufung.
So wie der baden-württembergische will auch der Thüringer AfD-Landesverband gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz klagen. Auch die Bundes-AfD hat Klage eingereicht. Bislang ohne Erfolg: Das Verwaltungsgericht Köln entschied, dass die Einstufung der Bundes-AfD als Verdachtsfall zulässig ist. Die AfD hat dagegen Berufung eingelegt, das Verfahren ist also noch nicht abgeschlossen.