Gewalt in der Partnerschaft

"Das nächste Mal werde ich es nicht überleben"

Stand
Autor/in
Tim Kukral
Tim Kukral ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".
Katharina Fuß
SWR-Redakteurin Katharina Fuß

Sozialverbände fordern ein verbindliches Hilfesystem für Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt werden. Nur Anzeige zu erstatten, reicht oft nicht: So schildert es Dorothea L., eine mutmaßlich Betroffene.

Heute nennt sie ihn nur noch den "Täter": den Mann, mit dem Dorothea L. fast zwei Jahrzehnte lang verheiratet war, mit dem sie zwei Söhne hat. Die meisten Jahre ihrer Ehe waren von Gewalt geprägt, sagt sie: "psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt".

Doch juristisch ist nicht geklärt, ob ihr Ex-Mann wirklich ein Täter ist. Er bestreitet die ihm vorgeworfenen Taten, hat gegen die Schilderungen der Vorwürfe durch seine Ex-Frau eine Unterlassungsklage eingereicht. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Opfer sollten sich nicht schämen

Weil er über seine Ex-Frau identifiziert werden könnte, hat der SWR Dorothea L. in seiner Berichterstattung anonymisiert. Die 54-Jährige selbst hätte kein Problem damit, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen. "Die Täter müssen sich schämen", sagt sie: "Die Opfer müssen sich für gar nichts schämen."

Dorothea L. zufolge hat ihr Mann schon kurz nach der Hochzeit begonnen, sie zu beleidigen, psychisch abzuwerten. Als sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war, habe er sie immer wieder körperlich und auch sexualisiert angegriffen. "Am Ende der Schwangerschaft hatte ich einfach nur den Wunsch: Ich möchte bitte jetzt ein gesundes Kind auf die Welt bekommen", erzählt sie. Dorothea L.s zweiter Sohn ist 2006 geboren.

Ex-Mann sei wegen Nichtigkeiten ausgerastet

Dorothea L. sagt, vieles von dem, was ihr angetan worden sei, habe sie verdrängt: "Sonst kann man nicht existieren." Lange habe sie versucht sicherzustellen, dass ihre Kinder nichts mitbekommen. Doch ihr Mann sei immer wieder wegen Nichtigkeiten völlig ausgerastet. Später habe er auch die Söhne "körperlich misshandelt", sagt sie.

"Irgendwann ging es nicht mehr", sagt sie: "Irgendwann wollte ich nicht mehr." Sie begann, so sagt sie, "mehr Widerworte" zu geben. Das habe die Situation allerdings immer weiter zum Eskalieren gebracht, denn ihr Mann habe sie als seinen Besitz gesehen. "Der Besitz hat zu funktionieren, wie man will", erklärt sie: "Und wenn dieser Besitz das nicht mehr macht, dann wird das natürlich nicht einfach so hingenommen."

Mutmaßlicher Übergriff am Valentinstag

Über die sexualisierte Gewalt, die Dorothea L. ihren eigenen Angaben zufolge in ihrer Ehe erfahren hat, möchte sie nicht öffentlich sprechen. Mehrere körperliche Übergriffe hat sie dem SWR beschrieben. Der letzte geschah ihren Schilderungen zufolge am Valentinstag 2021. Danach habe sie sich gedacht: "Das nächste Mal wirst du es wahrscheinlich nicht überleben."

Doch anschließend habe ihr Mann sich erstmals einsichtig gezeigt, habe sich Hilfe gesucht, sei daraufhin sogar dem Rat gefolgt, aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen. Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Verhalten "deutliche Anzeichen einer Unrechtseinsicht", schreibt sie in einer Mail an den SWR.

"Ich brauche Schutz"

Allerdings: Die Hausschlüssel habe er nicht abgeben wollen, sagt Dorothea L. Eines Tages sei er in ihrer Abwesenheit wieder ins Haus gekommen. "In dem Moment war für mich klar: Ich brauche Schutz", sagt sie.

Dorothea L. erstattete Anzeige, machte eine Aussage bei der Polizei, legte mögliche Beweismittel vor: ärztliche Atteste, Fotos, schriftliche Aussagen ihres Ehemanns. Von der Polizeibeamtin fühlte sie sich ernstgenommen; sie vermittelte ihr noch am selben Tag einen Kontakt zur Diakonie. "Die Gespräche mit der Mitarbeiterin der Diakonie waren rückwirkend gesehen für mich überlebenswichtig", sagt sie heute: So habe sie Schritt für Schritt gelernt, über das zu sprechen, was ihr ihren Angaben zufolge widerfahren ist.

Staatsanwaltschaft sieht kein öffentliches Interesse

Doch dann, einige Monate später, erhielt sie die Info, dass die Staatsanwaltschaft nicht gegen ihren Mann ermitteln werde (siehe Infokasten oben). "Ich habe gedacht, der Boden öffnet sich unter mir", beschreibt sie ihr Gefühl in diesem Moment.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hat bei Dorothea L. Spuren hinterlassen: Sie fühlt sich dadurch erneut zum Opfer gemacht. Doch sie versucht, ihre Wut für etwas Positives zu nutzen: Sie unterstützt eine Initiative, die sich für die Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention in Deutschland stark macht - damit andere Frauen künftig besser gegen Gewalt geschützt sind.

Mehr zu Gewalt gegen Frauen

Stuttgart

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen Altenpflegerin statt Sexarbeiterin in Stuttgart: Wie Joy der Zwangsprostitution entkam

Mit falschen Versprechungen wurde Joy nach Europa gelockt. Dort erwarteten sie Gewalt und Zwangsprostitution. Jetzt lebt und arbeitet die Nigerianerin in Stuttgart.

SWR4 am Montag SWR4

Baden-Württemberg

Kein gesetzlicher Anspruch auf Schutz Flucht ins Frauenhaus: Ortung ausschalten und bloß keinem etwas erzählen

Mehr als 16.400 Frauen in Baden-Württemberg wurden im vergangenen Jahr Opfer von häuslicher Gewalt. Viele suchen in Frauenhäusern Schutz vor den Tätern. Doch es gibt zu wenig Plätze.

Heidelberg

Untersuchung unter anderem mit Datenbrillen Gewalt gegen Frauen: Wie die Heidelberger Gewaltambulanz hilft

Seit 13 Jahren gibt es in Heidelberg die Gewaltambulanz. Sie hilft vor allem Frauen und ist führend in Baden-Württemberg. Und weitet ihr Angebot stetig aus.

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent.