Mit falschen Versprechungen wurde Joy nach Europa gelockt. Dort erwarteten sie Gewalt und Zwangsprostitution. Jetzt lebt und arbeitet die Nigerianerin in Stuttgart.
Mehrere Hundert Frauen schaffen täglich in Stuttgart an, schätzt Sabine Kopal von der Stuttgarter Anlaufstelle für Prostituierte Café La Strada anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am Montag. Genaue Zahlen gibt es nicht. Ein Großteil der Frauen ist nicht angemeldet. Mehr als 80 Prozent der Frauen kommen laut Sabine Kopal aus dem Ausland. Gewalt, Drohungen und häufige Ortswechsel machten einen Ausstieg für Frauen aus der Zwangsprostitution schwierig. Doch es gibt Beispiele für Frauen, die es geschafft haben und die mittlerweile ein anderes, ein geregeltes Berufsleben führen - so wie die heute 44-Jährige Joy, die in einem Pflegeheim in Stuttgart arbeitet.
- Wie Joy in die Prostitution gelockt wurde
- Nach Gewalt durch Freier flieht Joy
- Ankunft in Stuttgart: Hilfe durchs FIZ
- Frauen als Menschenhändlerinnen
- Hilfsangebote für Frauen in BW
- Wie erfolgreich ist die Hilfe?
Der Weg in die Prostitution: Wie Joy nach Europa gelockt wurde
Angefangen hat es in einem Friseursalon in Nigeria, erzählt Joy. Eine Kundin habe ihr erzählt, dass sie einen Friseursalon in Italien habe und ob sie - Joy - nicht dort arbeiten wolle. "Ich habe ihr wirklich geglaubt. Sie war so nett und liebenswert. Und sie meinte, komm nach Italien: Du kannst dort mehr Geld verdienen als Friseurin - für dich und deinen Vater und deine Tochter." Joy, die sich verantwortlich für ihren verwitweten Vater fühlte, glaubte der Frau, von der sie immer als "Madame" spricht, und ließ ihr Zuhause in Westafrika hinter sich.
Erst als die Unterkunft in Italien so gar nicht nach einem Friseursalon aussah, "Madame" ihr kurze Röcke kaufte und Kondome gab, begann die damals 26-jährige Joy zu verstehen. Anfangs wehrte sie sich noch, argumentierte mit ihrem christlichen Glauben, der ihr die Prostitution verbiete. Doch die "Madame" wollte Geld sehen, denn Joy habe ihr Kosten bereitet, schulde ihr 40.000 Euro. Es folgten Schläge und Drohungen, der in Nigeria zurückgebliebene Vater sei nicht mehr sicher, auch der Tochter drohe Schlimmes.
Nach Gewalt durch Freier flieht Joy zum ersten Mal
Joy fügte sich und ging mit anderen Mädchen und Frauen auf den Straßenstrich. Dort ging die Gewalt weiter. "Einmal wurde ich von drei Männern gleichzeitig verprügelt und einmal hat mich ein Mann mit einer Waffe bedroht und mich ausgeraubt. Ich habe ihn angefleht, mich am Leben zu lassen." Sie habe das nicht ausgehalten, sei geflohen, berichtet Joy weiter. Sie schlägt sich nach Rom durch, lernt dort einen Mann kennen. Auch er kommt aus Nigeria, auch ihm ist der christliche Glaube wichtig.
Für einen Moment scheint Joys Leben in Ordnung. Sie arbeitet wieder als Friseurin, verdient ihr Geld, zahlt sogar weiter ihre "Schulden" bei "Madame" ab - aus Angst um ihren Vater und ihre Tochter in Nigeria. Als der Mann aber die gemeinsame Tochter beschneiden lassen will, flieht Joy zum zweiten Mal - dieses Mal mit der Tochter und einem weiteren Kind in ihrem Bauch. So kommt sie auf Umwegen nach Deutschland und später nach Stuttgart.
Ankunft in Deutschland - Hilfe durch das FIZ
Joy bittet in Deutschland um Asyl. Doch die Mitarbeitenden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge glauben ihr zunächst nicht, schließlich kann Joy keine schriftlichen Beweise vorlegen. Das Schicksal von Frauen, die aus Afrika gelockt werden und in Europa zur Prostitution gezwungen werden, ist von Hilfsorganisationen dokumentiert.
Hilfe bekommt Joy beim Stuttgarter Fraueninformationszentrum FIZ. Sie lernt Deutsch, macht eine Fortbildung zur Pflegehelferin und arbeitet nun seit mehreren Jahren in einem Stuttgarter Pflegeheim. Wegen guter Integration und weil sie ihren Lebensunterhalt selbst verdient, wird sie in Deutschland nicht nur "geduldet", sondern hat erst einmal einen befristeten Aufenthaltstitel. An "Madame" zahlt sie kein Geld mehr.
FIZ Stuttgart: Frauen locken Frauen in Zwangsprostitution
Doris Köhncke, die Leiterin des Stuttgarter Fraueninformationszentrums, sagt: "Menschenhandel aus Nigeria hat eine 'lange Tradition' - eine Kriminalitätsform, die es schon seit den 1970er Jahren gibt." Sehr viele Frauen seien davon betroffen und suchten im FIZ nach Hilfe. Meist werde eine persönliche Notlage im Herkunftsland ausgenützt und die jungen Frauen unter Vortäuschung falscher Angebote nach Europa gelockt. Oft sind es Frauen, die andere Frauen anwerben und die teils zuvor selbst ausgebeutet wurden - und sich durch das Anwerben im System des kriminellen Menschenhandels hochgearbeitet haben.
170 bis 180 Frauen berät und unterstützt das Stuttgarter FIZ im Jahr. Gut 80 Prozent der Frauen kommen nicht aus der EU, sondern vor allem aus Südostasien, Afrika und Lateinamerika. Zwangsprostitution finde in Baden-Württemberg nicht nur in Bordellen statt, sagt die FIZ-Leiterin. Von Mannheim bis zum Bodensee, von Stuttgart bis ins kleinste Dorf, auf dem Straßenstrich wie in Ferienwohnungen.
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Mehr als 3.800 Prostituierte waren laut Statistischem Landesamt Ende 2023 in Baden-Württemberg gemeldet. Die tatsächliche Zahl der in der Prostitution Beschäftigten dürfte deutlich höher sein. Schätzungen gehen davon aus, dass nicht einmal jede zehnte Prostituierte offiziell gemeldet ist.
Wie wird geholfen und wie erfolgreich ist die Hilfe für ehemalige Prostituierte?
Wenn Frauen akut aus der Ausbeutung kommen, dann benötigten sie meist erst einmal eine Unterkunft und Essen, erläutert die FIZ-Leiterin Doris Köhncke. Unterstützt werden die Frauen aber auch mit medizinischer und psychosozialer Hilfe, anwaltlicher Unterstützung, wenn sie eine Strafanzeige stellen wollten, Deutschkursen sowie der Beratung, wie sie selbst Geld verdienen können. "Bei der Mehrheit können wir etwas bewirken, die Frauen stärken, sodass die Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können", sagt Doris Köhncke, die aber auch weiß, dass nicht alle Frauen, die aussteigen wollen, dem System der Ausbeutung und Gewalt entkommen.
Was Doris Köhncke und ihr FIZ-Team besonders freut, ist, wenn sich einstige Opfer aus der Zwangsprostitution selbst in der Frauenarbeit engagieren. "Joy ist so eine Aktivistin, die zeigt, sie hat es geschafft." Das mache Mut. Das helfe anderen Frauen.
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