Demos machen ihnen Mut

"Ich nutze die Gelegenheit, was zu ändern": Warum junge Menschen in BW Politik machen

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Autor/in
Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild

Hunderttausende gingen zuletzt gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Nur ein Bruchteil hat ein politisches Amt. Hier erzählen junge Menschen, warum sie einen Großteil ihrer Freizeit mit Politik verbringen.

Auch an diesem Wochenende waren in Baden-Württemberg zahlreiche Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie angekündigt. Es ist nun das dritte Wochenende in Folge, an dem in ganz Deutschland Zehntausende auf die Straße gingen. Auslöser der Proteste waren die Enthüllungen der Rechercheplattform "CORRECT!V" über neurechte Vertreibungsfantasien.

Zunehmend stellt sich nun die Frage, was von den Demonstrationen bleiben wird. Der SWR hat mit jungen Menschen aus Baden-Württemberg darüber gesprochen, warum sie politisch aktiv geworden sind - und wie sie auf die Demonstrationen blicken.

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BW-Jugendgemeinderätin: "Jetzt bin ich auch cool und kann was bewirken"

Sie war immer die Lauteste in ihrer Klasse, die, die sich beschwert hat, wenn ihr etwas nicht gepasst hat, sagt Elif Aysu Karayagiz. "Aber ich hab nie irgendwas getan, um etwas zu verändern." Dann, vor sieben Jahren, fragt ihre Gemeinschaftskundelehrerin die heute 21-Jährige, ob sie sich nicht engagieren will. Wäre der Jugendgemeinderat nicht etwas für sie? Karayagiz lebt in der Kleinstadt Nagold (Kreis Calw) südwestlich von Stuttgart. Nagold ist eine von mehr als 70 Städten und Gemeinden im Land, in der junge Menschen zwischen 14 und 21 ihre Interessen in einem Jugendgemeinderat vertreten können - ohne Parteibindung.

Die Jugendgemeinderätin Elif Aysu Karayagiz aus Nagold (Kreis Calw).
Die Jugendgemeinderätin Elif Aysu Karayagiz aus Nagold (Kreis Calw).

Für Karayagiz ist die Wahl in den Jugendgemeinderat damals ein Glücksfall: "Das war halt so der erste Step, wo ich dachte: Okay, jetzt bin ich auch cool, jetzt kann ich wirklich was bewirken." In Nagold sorgt der Jugendgemeinderat dafür, ein in Verruf geratenes Jugendhaus wieder für alle attraktiv zu machen. In Ludwigsburg bekommen auf seine Initiative hin die Innenstadtschulen kostenlose Menstruationsprodukte für die Toiletten. Nicht immer sind es die großen Dinge, aber die politische Jugendbeteiligung wirkt. Heute studiert Karayagiz Jura und ist Teil des Vorstands im Dachverband der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg. Natürlich engagiere sich nicht jeder Jugendliche in so einem Gremium, oft müsse man das Gremium erst mal bekannt machen und mit dem Vorurteil aufräumen, dass dort nur Gymnasiasten seien. In Nagold etwa gibt es für jede Schulart Sitze im Jugendgemeinderat, ihre Zahl ist abhängig von der Zahl der Schülerinnen und Schüler.

Aber Karayagiz ist wichtig zu betonen, auch die aktuellen Demos seien politisches Engagement. "Wenn man sich die Demos anguckt, dann sind da ultra viele Jugendliche. Und diese Demos stärken gerade den Zusammenhalt der Gesellschaft unfassbar." Auch bei den Jugendorganisationen der im BW-Landtag vertretenen Parteien blickt man positiv auf die Demonstrationen.

Partei-Jugendorganisationen: Gestiegenes Interesse seit Demos

Auf SWR-Nachfrage berichten die Landesvorsitzenden der Jugendorganisationen von CDU, SPD, Grünen und FDP von einem in den vergangenen Wochen gestiegenen Interesse an einer Mitarbeit oder Mitgliedschaft. Inwieweit die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus dafür entscheidend sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, auch wird nicht jeder Interessent am Ende Mitglied. Trotzdem beschäftigt die Frage, was von dem Demos bleiben wird, auch die Jungpolitikerinnen und -politiker im Land.

Die aktuellen Demonstrationen und den Aufschrei gegen die "völlig irren" Vertreibungspläne finde er richtig, sagt der Junge-Union-Landesvorsitzende Florian Hummel (26). "Aber ich finde es wichtig, dass man dabei differenziert. Wenn sie 'Demos gegen rechts' genannt werden, habe ich damit ein Problem." Die Parteien der politischen Mitte sollten aus seiner Sicht nach links und rechts anschlussfähig sein, so Hummel. Er werfe es der SPD nicht vor, wenn sie sich links nenne, erwarte aber auch von der Gesellschaft, von Medien und Parteien, dass Menschen akzeptiert würden, die rechts der Mitte stünden. "Die Rechtsextremisten bekämpfen wir gemeinsam, aber ich finde es wichtig zu sagen, dass es auch Demokraten rechts der Mitte gibt." Für diese Menschen müsse die CDU anschlussfähig sein. Das schade am Ende auch der AfD.

Der Vorsitzende der Jungen Liberalen (Julis) Mark Hohensee sieht in den Demos vor allem einen Ansporn, "nochmal ein Pfund draufzulegen". "Ich bin im Landesverband unterwegs und werbe dafür, dass wir jungen Leute uns jetzt deutlich mehr einbringen müssen. Nicht bloß im Bundestag oder im Landtag, sondern auch auf den unteren Ebenen der Demokratie - auf Kreisebene oder im Gemeinderat."

Giuliana Ioannidis (25) von der SPD-Jugendorganisation (Jusos) machen die Demonstrationen Mut. "Seit Veröffentlichung der 'CORRECT!V'-Recherche gibt es keinen Gefühlszustand, den ich nicht durchgemacht habe", sagt sie. "Aber ich sehe, dass bei den Demos nicht nur Menschen wie ich sind, die den Großteil ihrer Zeit mit Politik verbringen. Da sind Leute wie meine Eltern zum Beispiel, die das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl hatten, es ist ihnen so wichtig, dass sie dafür auf die Straße gehen." Was den "Kampf gegen rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft" angehe, sei sie heute deutlich optimistischer als noch vor einigen Wochen.

Anne Mann und Elly Reich, die Landessprecherinnen der Grünen Jugend, begrüßen die Demos, fordern aber eine politische Analyse, warum die AfD überhaupt so stark werden konnte - und politische Konsequenzen. Menschen spürten, dass sie in ihrem Alltag weniger Geld zu Verfügung hätten, deshalb brauche es "eine gerechte Verteilungspolitik", um auch die Akzeptanz der Demokratie wieder zu erhöhen. Wenn wegen des Haushaltsstreits in der Ampel aber gerade im sozialen Bereich oder bei der Demokratieförderung gekürzt werden, sei das in der aktuellen Lage der falsche Weg.

Auch Giuliana Ioannidis von den Jusos erkennt eine verbreitete Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Insbesondere für die Parteien in Regierungsverantwortung sei es nun eine wichtige Aufgabe, positive Emotionen zu vermitteln. "Ich glaube, was die meisten Menschen gerade umtreibt, ist die Frage: Was springt am Ende für mich heraus?" Jetzt sei es Aufgabe der Politik zu definieren, wie man für soziale Absicherung, aber auch für innere Sicherheit sorgen wolle. "Diese beiden Themenkomplexe treffen aus meiner Sicht den politischen Zeitgeist, die müssen wir politisch angehen und unsere Forderungen auf emotionale Art und Weise erklären."

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"In ganz vielen Bereichen sehen wir, dass wir an der absoluten Belastungsgrenze sind", beschreibt es der JU-Landesvorsitzende Florian Hummel deutlich drastischer. "Mein Eindruck ist, dass die Menschen das Gefühl haben, dass der Staat nicht mehr leistungsfähig ist. Das ist brandgefährlich, denn dann verliert der Staat seine Legitimation." Hoffnung habe er dennoch, auch wenn es ein hartes Stück Arbeit für "alle demokratischen Parteien" werde. Politik müsse nun positive Beispiele setzen und zeigen, dass "es auch vorangeht in diesem Land".

Für Mark Hohensee von den Julis geht es im Nachgang der Demos nun auch darum, junge Menschen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten an Politik heranzuführen. Das Engagement bei den Julis soll ein Ehrenamt bleiben, aber mit mehr Geld vom Land beispielsweise könne man jungen Mitgliedern öfter auch mal eine Fahrt zu einem Termin bezahlen "Damit wir es eben auch jungen Menschen, die vielleicht nicht so viele Chancen haben, ermöglichen können, teilzuhaben. Das ist ein wichtiger Punkt, an den man ran müsste", so Hohensee.  

BW-Jugendgemeinderätin: "Ich nutze die Gelegenheit, was zu ändern."

Elif Aysu Karayagiz, die Jugendgemeinderätin aus Nagold, kann sich vorstellen, die Politik einmal zu ihrem Beruf zu machen. "Einfach aus dem Grund, dass ich keine Ausnahme mehr sein will. Ich will oben sein, damit die Leute auch sehen: Hey, das kann jeder machen, meine Eltern müssen nicht deutsch sein." Eine bestimmte Partei hat sie nicht im Kopf, vielleicht gründet sie einfach ihre eigene: "Ich finde frischen Wind eigentlich immer ganz cool."

Wie geht sie mit dem Gefühl um, dass vieles gerade härter wird, mit den verschiedenen Krisen? "Gerade kommt vieles auf einmal, aber die Probleme gab es immer schon", sagt Karayagiz. "Ich würde tatsächlich nicht sagen: Alles wird schlechter." Gerade zeigten die Demos, dass die Jugendlichen gehört werden wollen: "Wir wehren uns!" Natürlich sei sie auch mal verzweifelt und frage sich, wo sie anfangen solle, sagt die 21-Jährige. "Aber es ist ja schon wichtig anzufangen. Ich weiß, ich kann was ändern, ich bin gerade in der Position, etwas zu ändern und ich nutze auch die Gelegenheit, was zu ändern." 

Sie könne gar nicht anders als einzugreifen, sagt Karayagiz - ihr Temperament. Wenn sie erlebe, wie jemand im Bus oder in der Schlange an der Fitnessstudiokasse rassistisch beleidigt werde, dann koche sie fast über. "Es ist so wichtig, dass man etwas sagt. Sonst geht die Person zur nächsten Person und die zur nächsten Person und zur nächsten Person und irgendwann fühlt man sich in seiner eigenen Heimat nicht mehr wohl." Vielen Menschen gehe das gerade so, das mache sie sehr traurig, sagt Karayagiz. Angst aber habe sie nicht. "Das liegt vielleicht daran, dass ich mich einfach schon so daran gewöhnt habe." Egal, als was sie und andere Menschen mit Migrationshintergrund noch von der AfD bezeichnet würden, "das geht mir nicht mal nahe". Sie sehe ja gerade, wie die Menschen zusammenstehen, wie sie auf die Straße gehen. Das mache ihr Hoffnung. Und der Humor. Als sie neulich an die Uni kam, sei eine Kommilitonin auf sie zugekommen und habe gesagt: "Wir brauchen nicht mehr lernen, wir werden eh abgeschoben."

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