Bundesweit haben auch am Wochenende wieder Zehntausende gegen rechts demonstriert. Viele sind vom Gemeinschaftsgefühl elektrisiert. Aber die Demos werden wahrscheinlich mit der Zeit abflauen. Wie könnte die Gegenbewegung dennoch langfristig wachsen? Der Journalist Mohamed Amjahid meint: Über Vereinsarbeit und Nachbarschaftsengagement im Kleinen, und über antifaschistische Politik.
„Eine der größten Bürgerbewegungen in der Geschichte der BRD“
„Alle zusammen gegen den Faschismus“, rufen Menschen in ganz Deutschland bei den Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus. Nach den Enthüllungen um rechte Deportationspläne war das Erschrecken in breiten Teilen der Bevölkerung so groß, dass mehr als eine Million Menschen spontan auf die Straße gegangen sind.
Das sei schon jetzt „eine der größten Bürgerbewegungen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat”, meint der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke. „Ein kleines demokratisches Wunder” nennt es die Autorin und Journalistin Jana Hensel.
„Beide haben Recht“, sagt der Journalist Mohamed Amjahid, der im SWR Kultur Podcast „Was geht – was bleibt“ zu Gast ist.
Podcast: Wie macht man Antifaschismus nachhaltig?
Vor allem weiße Menschen auf der Straße
Es sei für deutsche Verhältnisse erstaunlich, dass Leute überhaupt auf die Straße gehen, besonders in kleinen Städten in Ostdeutschland, aber auch in Baden-Württemberg. Er warnt aber: „Es ist ein ongoing process“. Und er stellt auch fest: „Ich würde nicht sagen: Es ist fünf vor 12. Es ist viertel nach drei, um auf die Straße zu gehen. Es kommt alles ein bisschen spät.“
Dass aber gerade vor allem weiße Menschen auf die Demos gehen, sei gut: „Weil weiße Menschen beim Problem Rechtsextremismus zu einem großen Teil Verantwortung tragen.“
Correctiv-Recherche im Kontext rechter Gewalt sehen
Die Arbeit von Correctiv sei „eine wichtige und richtige Recherche“. Es sei Amjahid aber ein kleines Rätsel, warum sie einige Leute nun so triggere. Es sei schließlich in der Medienöffentlichkeit kein Geheimnis, dass sich AfD-Politiker und andere Rechtsextremisten regelmäßig vernetzen.
Der Einzug der AfD in den Bundestag und in den Landtag, die Anschläge des NSU, in Hanau, in Halle, die Angriffe auf Geflüchtetenheime in den 1990er-Jahren: „Man sollte die Recherche jetzt nicht ahistorisch sehen und sagen: Das war der Kipppunkt.“ Die Hoffnung, dass die Gesellschaft immun gegen Rechtsextremismus sei, könne er nicht verstehen.
Linke antirassistische Kreise vereinen
Das Problem: „Linke progressive antirassistische Kreise sind nicht so gut organisiert wie rechtsextreme Kreise“, sagt der Journalist. „Man mäkelt und nörgelt sehr gerne. Aber hier ist es die Aufgabe, alle zu vereinen.“
Eine wirklich breite Bewegung sei auch deshalb so schwierig auf die Beine zu stellen, weil rechtes Gedankengut mittlerweile normalisiert sei, unterstreicht Amjahid.
Wie lautet die Botschaft, auf die man sich einigt?
Amjahid ist skeptisch, ob es eine charismatische Person an der Spitze der Bewegung geben müsste. „Wir können uns hoffentlich alle, die die Menschenwürde wahren wollen, darauf verständigen, dass Menschen nicht zwangsdeportiert werden. Dann müssten wir aber auch über die Abschiebungspläne der Ampel sprechen.“
Parteien müssten erkennen, dass Menschen dezidiert antifaschistische Politik nachfragen. Dafür müsse ein politischer Markt entstehen. „Da sind diese Bilder von Massendemos dann doch gut. Vielleicht setzen sich einige Parteistrateg*innen in ihren Parteizentralen zusammen und machen Programm in diese Richtung.“
Was kann jede und jeder Einzelne tun?
Schon im Kleinen könne man sich gegen rechts engagieren – auch ganz lose. Das müsse nicht immer in einem Verein oder in der Schule organisiert sein. „Man kann auch einfach sagen: Hey, wir passen aufeinander auf!“
In der Nachbarschaft oder beim Einkaufen könne man sich gegenseitig zum Beispiel fragen: „Wie geht es dir, brauchst du etwas? Das sind informelle Möglichkeiten, Solidarität zu zeigen und zu leben. Dann kann daraus etwas Größeres wachsen.“
Antifaschismus als politische DNA Deutschlands
Bei den Demos dürfe es nicht nur darum gehen, „einfach zusammenzukommen und sich gegenseitig Mut zuzusprechen“. Man müsse gemeinsam politische Forderungen formulieren, etwa ein AfD-Verbot oder einen Finanzierungsentzug. Ein Ansatz, um die Demos nachhaltig zu machen, könnte so lauten: „Dieser Antifaschismus muss in der politischen DNA dieses Landes liegen, allein schon wegen der deutschen Geschichte.“
Mit Blick auf das Superwahljahr 2024 sagt Amjahid: „Meine Hoffnung ist, dass jetzt dieses Aufrütteln nachhaltig bis September wirkt. Dass Leute aus ihrer Lethargie rauskommen.“ Aber: „Ich bin der Party Pooper. Wenn man denkt, die AfD wird auf null Prozent gedrückt, das ist nicht in Reichweite.“
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Die Bilder aus München, Berlin, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, Bonn, Köln, Erfurt und vielen, vielen anderen Städten waren beeindruckend. Nach den Enthüllungen um rechte Deportationspläne war das Erschrecken in breiten Teilen der Bevölkerung so groß, dass mehr als eine Million Menschen spontan auf die Straße gegangen sind. Was wird davon bleiben, wenn die erste Welle der Demonstrationen abgeflaut ist?
Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid ist skeptisch: “Für deutsche Verhältnisse ist es erstaunlich, dass überhaupt so viele Menschen auf die Straße gehen." Gerade in Cottbus, in Luckenwalde, aber auch in Baden-Württemberg, wo die AfD auch sehr stark ist, ist das gut. Aber ich würde nicht sagen, es ist fünf vor zwölf, sondern eher viertel nach drei.”
Gut, dass es diese Protestwelle gibt, sagt Amjahid. “Aber wir müssen auch mal abwarten, was in den nächsten Wochen passiert.” Denn im Gegensatz zu rechtsextremen Gruppen seien progressive Bevölkerungsschichten schlecht organisiert. Eine wirklich breite Bewegung sei auch deshalb so schwierig auf die Beine zu stellen, weil rechtes Gedankengut mittlerweile normalisiert sei, unterstreicht der Journalist.
“Ich bin jetzt der Party Pooper: Die AfD auf null Prozent zu drücken, wird nicht klappen.” Aber eine Sache hätten die Großdemonstrationen: Es gebe eine Nachfrage nach antifaschistischer Politik. “Das Potenzial dafür zu erkennen, ist eine politische Aufgabe.”
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Hosts: Kristine Harthauer und Philine Sauvageot
Showrunner: Pia Masurczak