Laut einer aktuellen Umfrage stehen viele Menschen einer weiteren Aufnahme von Flüchtlingen skeptisch gegenüber. Das Vertrauen in das Krisenmanagement der Behörden ist gering.
Die Bedeutung von Migrationspolitik für die Menschen in Baden-Württemberg hat laut einer aktuellen Umfrage deutlich zugenommen (+14 Prozentpunkte). Im BW-Trend, einer im Auftrag des SWR und der Stuttgarter Zeitung vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap durchgeführten repräsentativen Umfrage, stufen 19 Prozent der Befragten die Zuwanderungspolitik als größte Herausforderung für die Landespolitik ein.
Größere Teile der Bevölkerung von Baden-Württembergs sind demnach skeptisch gegenüber Zuwanderung. Ähnlich wie schon 2016 äußert sich aktuell etwa jeder Zweite (48 Prozent) kritisch zur weiteren Aufnahme Geflüchteter im Bundesland. 42 Prozent der Befragten vertreten dagegen die Ansicht, Baden-Württemberg sollte deren Aufnahme fortsetzen.
Auch die Unterstützerinnen und Unterstützer der Parteien der grün-schwarzen Regierungskoalition sind in dieser Frage gespalten: Während sich Grünen-Anhänger mehrheitlich für eine weitere Aufnahme aussprechen (76 Prozent), halten sich bei den CDU-Anhängern Zustimmung und Ablehnung eher die Waage (43 Prozent dafür, 49 Prozent dagegen). In den Reihen der Landtagsopposition unterstützen allein die SPD-Wählerinnen und -Wähler (59 Prozent) mehrheitlich eine weitere Aufnahme Geflüchteter in Baden-Württemberg. Die Haltung der FDP-Anhänger ist gespalten (44 zu 47 Prozent), die AfD-Anhänger unterstützen einen Aufnahme-Stopp faktisch einstimmig (97 Prozent).
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Vertrauen in Krisenmanagement gering
Kritischer als zum Zeitpunkt der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 fällt gegenwärtig das Urteil darüber aus, wie die Aufnahme der Geflüchteten in Baden-Württemberg organisiert und gemanagt wird. Vertraten im Dezember 2015 42 Prozent der Wahlberechtigten die Meinung, dass Landesregierung und Verwaltung die Flüchtlingssituation eher gut im Griff haben, äußert sich aktuell nur jeder Dritte (33 Prozent) entsprechend. Sechs von zehn (62 Prozent) stellen dies dagegen in Frage.
Starker Flüchtlingsandrang aus der Ukraine
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 sind Millionen von Menschen aus dem Land geflohen. 146.000 Ukrainerinnen und Ukrainer flüchteten im vergangenen Jahr nach Baden-Württemberg, in diesem Jahr hat das Land weitere 10.700 von ihnen aufgenommen (Stand 12. März).
Waren Betroffenheit und Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung zu Beginn des Krieges noch groß, scheint sich allmählich Ernüchterung breit zu machen. Die Situation in der Ukraine wirkt festgefahren und Friedensverhandlungen sind nicht in Sicht - Militärexperten sprechen von einem "Abnutzungskrieg", der sich noch über Jahre hinziehen könnte. Angesichts dessen ist völlig ungewiss, wann - wenn überhaupt - die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer in ihr von der russischen Invasion zum Teil schwer zerstörtes Heimatland zurückkehren können. Auch Flüchtlingsströme aus anderen Ländern haben seit dem Ende der Corona-Pandemie wieder angezogen.
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Mehr als 150.000 Geflüchtete sind inzwischen aus der Ukraine nach Baden-Württemberg gekommen. Zwar sinken die Zugangszahlen, die zuständige Ministerin sieht aber keine Entspannung.
Kommunen sehen sich an der Belastungsgrenze
Die Kommunen in BW ächzen unter der Belastung durch den starken Flüchtlingszustrom. Sie sehen sich an der Belastungsgrenze. "Es fehlt an Wohnraum, Kitaplätzen und Lehrern an Schulen und für Sprachkurse", sagte Mitte Februar Joachim Walter, der Präsident des Landkreistags dem SWR mit Blick auf ein Gipfeltreffen zur Unterbringung von Geflüchteten, zu dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen eingeladen hatte. Der Bund müsse die flüchtlingsbedingten Mehrkosten komplett übernehmen, so seine Forderung. Bereits zuvor hatte die baden-württembergische Landesregierung die Standards für die Unterbringung minderjähriger Geflüchteter gesenkt.
"Die aktuelle Lage ist angespannter als 2015", sagte etwa Freiburgs Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach nach dem Treffen. Rein quantitativ betrachtet ist das richtig: 2015 hatte Baden-Württemberg insgesamt 101.000 und 2016 rund 34.000 Asylsuchende aufgenommen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 flohen allein aus der Ukraine 146.000 Menschen nach Baden-Württemberg. Weitere 27.800 Menschen aus anderen Herkunftsländern stellten einen Asylantrag. 2023 nahm Baden-Württemberg weitere 10.700 Ukrainerinnen und Ukrainer auf (Stand 12. März), des Weiteren wurden 5.850 Asylanträge von Menschen aus anderen Herkunftsländern registriert (Stand 21. März). Die Hauptherkunftsländer dieser Menschen (nur Erstanträge) waren Afghanistan (rund 25 Prozent), Syrien (rund 16 Prozent), Türkei (rund 15 Prozent) und Georgien (rund sieben Prozent).
Knapper Wohnraum: hohe soziale Sprengkraft
Der knapper werdende Wohnraum für die Anschlussunterbringung Geflüchteter führt nicht nur zu Frust auf allen Seiten - sondern birgt auch das Potenzial für größere soziale Zerwürfnisse, wie ein Fall aus Lörrach anschaulich zeigt. Dort hatte die Stadtverwaltung rund 40 Mieterinnen und Mietern eines Wohnkomplexes zum Auszug bewegen wollen, um Platz für die Unterbringung von rund 100 Geflüchteten zu schaffen. "Wir sollen ausziehen, damit Flüchtlinge untergebracht werden können?", fragten sich die Betroffenen und reagierten zunächst mit Unverständnis auf das Ansinnen der Stadt.
Der Fall schlug medial Wellen, bis selbst die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel, das Vorgehen der Stadt kritisierte. Lörrachs Oberbürgermeister Jörg Lutz (parteilos) verteidigte den umstrittenen Plan: Die betroffenen Wohnungen stammten aus den 1950er-Jahren und sollten aufgrund ihres Zustandes ohnehin in den kommenden Jahren abgerissen und neu gebaut werden. Dass der dadurch frei werdende, aber nur vorübergehend nutzbare Wohnraum zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt werde, sei zurzeit unumgänglich, führte ein Sprecher aus. Den Mieterinnen und Mietern sollten demnach neue Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Der Vorfall tauge nicht zum Skandal, versicherte Lörrachs OB Lutz. Mit Sicherheit führt er jedoch die soziale Sprengkraft vor Augen, die Verteilungskämpfe um zunehmend knappen Wohnraum entwickeln können.
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Land und Bund streiten über Abschiebungen
Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) streitet sich unterdessen fortwährend mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) um Abschiebungen. Während Gentges auf mehr Abschiebungen von Straftätern wie dem verurteilten Vergewaltiger von Illerkirchberg auch in Konfliktländer drängt, weigert sich der Bund und verweist darauf, dass Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund der Sicherheitslage seit August 2021 ausgesetzt seien.
Justizministerin Gentges hat sich am Donnerstagvormittag bei einem Besuch im Rhein-Neckar-Kreis über die Flüchtlingsunterbringung informiert. Mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Kommunalpolitik sowie Bundes- und Landtagsabgeordneten diskutierte sie in Sinsheim über die damit für die Kommunen verbundenen Herausforderungen.
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