Mehr als 150.000 Geflüchtete sind inzwischen aus der Ukraine nach Baden-Württemberg gekommen. Zwar sinken die Zugangszahlen, die zuständige Ministerin sieht aber keine Entspannung.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp einem Jahr hat Baden-Württemberg 150.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Das bestätigte Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) dem SWR. "Auch wenn die Zugangszahlen zuletzt etwas zurückgegangen sind, können wir nicht von einer Entspannung reden", sagte Gentges. "Die Situation kann sich sehr schnell wieder ändern. Aufgrund der immens unsicheren Lage in der Ukraine ist eine Prognose für die nächsten Monate nicht möglich."
Mehr Geflüchtete und Asylbewerber als 2015 und 2016
Baden-Württemberg hat im vergangenen Jahr deutlich mehr Geflüchtete und Asylbewerber aufgenommen als in den Jahren der Migrationskrise 2015 und 2016 zusammen. Anders als damals, als viele junge Männer aus Syrien in Deutschland Schutz suchten, kommen aus der Ukraine vor allem Frauen mit ihren Kindern. Knapp die Hälfte der ukrainischen Flüchtlinge seien Frauen, ein Drittel Kinder und Jugendliche und nur knapp ein Fünftel Männer, hieß es aus dem Justiz- und Migrationsministerium.
Kommunen fordern Hilfe vom Bund
Die Kommunen sehen sich an der Belastungsgrenze. "Es fehlt an Wohnraum, Kitaplätzen und Lehrern an Schulen und für Sprachkurse", sagte der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, dem SWR. Der Bund müsse die flüchtlingsbedingten Mehrkosten komplett übernehmen, forderte er.
Vor dem von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigten Flüchtlingsgipfel forderte Walter mehr Ergebnisse als beim letzten im Oktober. "Es geht um wirksame Grenzkontrollen, eine vertiefte Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten und eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb von Europa. Wir müssen aber etwa auch über abgesenkte Standards bei der Unterbringung von älteren unbegleiteten Minderjährigen und die vollständige Übernahme der flüchtlingsbedingten Mehrkosten durch den Bund sprechen."
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger ist skeptisch, ob ein weiteres Spitzengespräch ausreicht. "Vielmehr braucht es ressortübergreifende Krisenstrukturen, idealerweise angesiedelt beim Kanzleramt, da es um eine Querschnittsaufgabe von nationaler Bedeutung geht, die sich aber in erster Linie in den Kommunen auswirkt."
Gentges erwartet Fortschritte bei Abschiebungen von Straftätern
Gentges sagte, sie erwarte vom Gipfel Fortschritte beim Thema Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern. "Darauf habe ich Ministerin Faeser bereits mehrmals eindringlich hingewiesen. Berlin kennt die Probleme." Die Stuttgarter Ministerin verwies darauf, dass die Ampel-Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag eine Rückführungsoffensive angekündigt habe. "Das muss jetzt auch passieren. Erforderlich sind hierfür vor allem effektive Rückführungsabkommen mit wichtigen Herkunftsländern."
Gentges kritisierte, es könne nicht sein, "dass ausgerechnet die Bundesinnenministerin sich einem Vorschlag auf EU-Ebene entgegenstellt, über Visabedingungen Herkunftsländer zur Kooperation und Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen zu bewegen".
Gentges und Faeser streiten bereits seit längerem über den aktuellen Abschiebestopp in Konfliktländer. So versucht Gentges, einen verurteilten Vergewaltiger aus Illerkirchberg nach Afghanistan abschieben zu lassen. Der Bund weigert sich und verweist darauf, dass Abschiebungen nach Afghanistan seit August 2021 ausgesetzt seien. Grund dafür sei die Sicherheitslage vor Ort.
CDU-Landtagsfraktion: Flüchtlingspolitik soll Chefsache werden
Die CDU-Landtagsfraktion forderte deshalb Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf, die Flüchtlingspolitik zur Chefsache zu machen. Der zuständige Sprecher Andreas Deuschle drang ebenso darauf, die bislang gewährten sozialen Leistungen für ukrainische Flüchtlinge zu senken. Nur so könne verhindert werden, dass die Geflüchteten aus anderen Ländern wie etwa Polen weiter nach Deutschland zögen. Ukrainische Flüchtlinge erhalten in Deutschland Bürgergeld und können auch eine eigene Wohnung mieten und eine Arbeit aufnehmen.