Der VfB Stuttgart steht nach dem Umbruch im Sommer zwar ordentlich da, es wäre aber mehr möglich gewesen. Die anstehenden Spiele sind richtungsweisend, findet SWR-Sportredakteur Johann Schicklinski.
Wo steht der VfB Stuttgart aktuell? Wie ist die bisherige Saison einzuordnen? Haben die Schwaben angesichts der Dreifachbelastung bislang eher überzeugt - oder sind sie hinter den Erwartungen zurückgeblieben? Wohl wie immer alles eine Frage der Perspektive. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen verrät folgendes: 13 Punkte aus zehn Spielen in der Bundesliga - das finde ich eher enttäuschend. In der Champions League hat mich der VfB bislang weitgehend überzeugt. Highlight war der stark herausgespielte Sieg bei Juventus Turin (1:0). Im DFB-Pokal hat Stuttgart die zwei Pflichtaufgaben Preußen Münster (5:0) und 1. FC Kaiserslautern (2:1) souverän gemeistert.
Der VfB Stuttgart lässt zu viele Chancen liegen
Blickt man indes auf die Art und Weise, wie der VfB gespielt hat, so finde ich, dass durchaus mehr drin gewesen wäre. In der Bundesliga war Stuttgart zwar gegen Freiburg (1:3), Bayern München (0:4) und Leverkusen (0:0) teils deutlich unterlegen, ließ aber auf der anderen Seite gegen Mainz (3:3), Wolfsburg (2:2), Hoffenheim (1:1) oder Eintracht Frankfurt (2:3) wichtige Punkte liegen - und das trotz einer Vielzahl an Torchancen. Gerade im jüngsten Duell mit den Hessen bekamen die Schwaben von der SGE vorgemacht, was Effektivität bedeutet. 22:7 Torschüsse, ein viel höherer Expected-Goals-Wert als der Gegner - und doch belohnte sich die Mannschaft von Trainer Sebastian Hoeneß nicht und stand am Ende mit leeren Händen da.
Die Lücke von Serhou Guirassy ist noch nicht wieder gefüllt
Klar ist: Die Effizienz und Spielstärke von Serhou Guirassy fehlen und können von Neuzugang Ermedin Demirovic bislang noch nicht einmal im Ansatz eingebracht werden. Guirassys 28 Tore in 28 Spielen hatten für mich den Löwenanteil daran, dass die abgelaufene Spielzeit für den VfB Stuttgart wie ein nicht enden wollender Fiebertraum war - im positiven Sinne. Der Flow des Guineers übertrug sich aufs gesamte Team.
Neben Guirassy, der mittlerweile für den BVB stürmt, fehlen in der Stuttgarter Defensive der letztjährige Abwehrchef Waldemar Anton (ebenfalls Borussia Dortmund) sowie der polyvalente und ungemein wertvolle Defensivspieler Hiroki Ito (FC Bayern München). Auch das ist deutlich spürbar.
Die Bilanz ist der Champions League ist bislang in Ordnung
Weniger eigene Treffer, mehr Gegentore - auf mich wirkt der VfB, als sei er irgendwie immer noch in der Findungsphase. Auch nach mehr als einem Viertel der Saison. Die Erinnerung an mitreißenden Fußball, 73 Punkte (so viele wie nie zuvor), Vize-Meisterschaft und die Qualifikation für die Champions League verblasst so langsam. Stattdessen ist es grau und dunkel, der Herbst hat Einzug gehalten und die Schwaben bemühen sich, der Dreifachbelastung gerecht zu werden.
Trotzdem gibt es für mich keinen Grund, Trübsal zu blasen: In der Königsklasse steht der VfB mit vier Punkten aus vier Spielen ordentlich da, zumal es jetzt gegen vermeintlich "leichtere" Gegner geht. Und in der Bundesliga war es ohnehin klar, dass es in der neuen Spielzeit nicht darum gehen wird, den Sensationserfolg zu bestätigen, sondern darum, sich nach Jahren des Abstiegskampfes nachhaltig in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga zu etablieren. Trotzdem ärgern die liegen gelassenen Zähler, vor allem die jüngste Heimniederlage gegen Frankfurt schmerzt noch.
In der Bundesliga jetzt gegen vermeintlich leichtere Gegner
Will der VfB den Anschluss ans obere Tabellendrittel nicht verlieren, dann ist es in den nächsten Spielen Pflicht, kräftig zu punkten. Da hilft es, dass das Hoeneß-Team mit dem FC Bayern, Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen, dem BVB und Freiburg schon gegen zahlreiche Teams gespielt hat, die vor ihm stehen. Bis Weihnachten warten in der Bundesliga noch Bochum, Bremen, Union, Heidenheim und St. Pauli. Drei der Spiele finden in der Stuttgarter Arena statt, so dass eine zweistellige Punkteausbeute meiner Meinung nach der Anspruch sein muss.
In der Königsklasse liegen die Stuttgarter aktuell auf Rang 27. Eine Platzierung, die nicht für die nächste Runde reichen würde. Dafür hatte der VfB aber auch hier schon einige Hochkaräter. Das anstehende Programm dürfte den Schwaben deshalb Mut machen: Die kommenden Gegner Roter Stern Belgrad, Young Boys Bern und Slovan Bratislava belegen in der aktuellen Tabelle die letzten drei Plätze. Auch hier muss es heißen: Bitte etwas Zählbares einfahren.
Meistert Stuttgart sowohl in der Champions League als auch in der Bundesliga seine "Pflichtaufgaben" und setzt sich zudem im DFB-Pokal bei Zweitliga-Schlusslicht Jahn Regensburg durch, so darf für mich unterm Weihnachtsbaum erst einmal kräftig durchgeschnauft werden - denn dann hätte man ein Halbjahr mit enormen Herausforderungen (mehr als) ordentlich gemeistert.
Zwar ist auch dann das Einordnen des VfB-Abschneidens immer noch eine Frage der Perspektive. Aber wohl nur echte "Bruddler" dürften dann noch viel zu meckern haben.