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Mona Chollet – Wir müssen die Liebe neu erfinden. Wie das Patriarchat heterosexuelle Beziehungen sabotiert

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AUTOR/IN
Martina Wehlte

Mona Chollet schildert das Scheitern der Liebe an den patriarchal geprägten, nicht kompatiblen Rollenbildern heterosexueller Partnerschaften.

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Schon wieder ein Beitrag zur Debatte um die gesellschaftliche Benachteiligung und notorische Unterdrückung der Frau? Der x-te Aufguss vom Schwarz-Weiß-Bild der Geschlechter, von männlicher Dominanz und Gewalt gegenüber der untergeordneten, ausgebeuteten Frau?

Nein - die in Paris lebende Journalistin Mona Chollet bedient in ihrem neuen Buch nicht plakativ das Klischee der Täter-Opfer-Rollen, sondern zeigt auf bemerkenswert reflektierte und durchaus ungewöhnliche Weise die umfassende und subtile Konditionierung von Männern und Frauen in der modernen westlichen Gesellschaft.

Dabei nimmt sie einen sehr persönlichen Einstieg ins Thema, gibt eine Fülle gut recherchierter Fallbeispiele und Fakten zu prekären Paarbeziehungen anonymer und prominenter Personen und ordnet ihre - vorgeblich - eigenen erotischen Phantasien in das prägende kulturgeschichtliche Gender-Muster ein, dem sich kaum eine Frau, kaum ein Mann entziehen kann.

Die romantische, monogame Liebe braucht ein neues Fundament

Zugegeben, der sperrige Titel Wir müssen die Liebe neu erfinden. Wie das Patriarchat heterosexuelle Beziehungen sabotiert birgt nicht gerade das Potential zum Kassenschlager, wohl aber der Inhalt des Buches, der nicht im Duktus des erhobenen Zeigefingers, gar der Anklage daherkommt, sondern als scharfsichtige Analyse mit psychologischem und nicht etwa pathologischem Interesse und mit dem Mut zur eigenen Meinung.

Die Autorin hält an dem Ideal von der romantischen, monogamen Liebe fest, die „ein neues, schöneres und stabileres Fundament“ brauche, als es die unterschiedliche Erziehung und Sozialisierung der Männer und Frauen für eine heterosexuelle Partnerschaft ermöglichen.

Die Frau, das ewige Opfer

Die Gesellschaft, so Chollet, pflege das Bild von der untergeordneten, sich aufopfernden Frau und Mutter, das Objekthafte einer schwachen, zarten Fee. Sie dulde und begünstige sogar männliche Gewalt gegenüber Frauen, wie ein Blick in die Geschichte der Malerei, der Literatur sowie des Films mit ihren Helden und echten Kerlen erweist.

Auch ein Blick auf den ungerechtfertigten Toleranz-Bonus für die als Genies verehrten Künstler, die ihre Frauen ausgebeutet und missbraucht haben – Edvard Munch, Pablo Picasso, Ingmar Bergman, Marlon Brando oder Steve McQueen –, bestätigt das, schreibt die Autorin. Die Medien, so meint Chollet, förderten eine solche verkehrte Einfühlung und noch bei Femiziden richteten sie um des Sensationseffekts willen ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Täter als Werkzeug unkontrollierbarer Leidenschaft statt auf die schicksalhaften Folgen für die Betroffenen.

Dass manche Frauen die skrupellose Brutalität, egomanische Begierde und Misogynie von Mördern anziehend finden, sei pervers, aber entbehre nicht einer psychologischen Konsequenz aus weiblichen Prägungen.

Präziser Blick auf eine brisante Thematik

Mona Chollet leitet im Rekurs auf zahlreiche Studien und anhand aufschlussreicher Fallbeispiele kenntnisreich und mit präzisem Blick durch die brisante Thematik ihrer vier Kapitel. Sie macht deutlich, dass die strukturelle Problematik der Ungleichheit zwischen Mann und Frau tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und letztlich eine Geißel für beide Geschlechter ist.

Sich davon zu befreien, so das Fazit der Autorin, kann gelingen, wenn wir die Gleichwertigkeit nicht nur als berechtigten Anspruch einfordern und spröde konstatieren, sondern lustvoll als neuen Gestaltungsraum für Liebe und Partnerschaft nutzen: „Eroticize Equality - Gleichheit erotisieren“, wie es die amerikanische Frauenrechtlerin Gloria Steinem formuliert hat.

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Martina Wehlte