Die sozialen Medien sind voll mit psychologischen Tipps, welche Verhaltensweisen auf welche psychischen Krankheiten hindeuten könnten. Das hört sich gefährlich an - bietet aber auch Chancen.
In sozialen Medien wie beispielsweise TikTok oder Instagram finden sich zahlreiche Angebote, bei denen psychische Erkrankungen thematisiert werden. Da geht es zum Beispiel um ADHS, Depression, Narzissmus, toxische Beziehungen und Ängste oder Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum. Fachleute sehen das einerseits positiv, weil so ein größeres Bewusstsein für diese Krankheiten entstehen kann. Andererseits mahnen sie aber auch zur Vorsicht, weil sich in den sozialen Medien zu diesen Themen natürlich nicht nur Fachleute äußern.
Internet-Tipps müssen nicht immer negativ sein
Der Medienpsychologe Joachim Schmidt findet, es sei "eine großartige Sache, dass auch in den sozialen Medien mehr über psychische Krankheiten gesprochen wird, und vor allem junge Menschen für diese Themen sensibilisiert werden." Auch die Psychologin Angelina Hahn findet es gut, dass das Thema auf diese Weise den Menschen zugänglich gemacht wird.
Bei der älteren Generation wäre das vielleicht noch ein Tabu. Das würde den Menschen auch das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind. Solche Angebote reduzierten ihrer Meinung nach auch die Hemmschwelle, sich echte Hilfe zu suchen.
Keine Patentlösung für psychische Leiden
Der Psychologe Joachim Schmidt gibt allerdings zu bedenken, das diese Angebote in den sozialen Medien die Leute oft auch ein bisschen alleine lassen: "Die sagen okay, wenn du das das mitbringst, dann hast du eine Depression." Allein diese Erkenntnis würde allerdings natürlich relativ wenig nutzen. Betroffene müssten auch Wege aufgezeigt bekommen, wie sie aus dieser depressiven Episode, aus dieser depressiven Phase wieder herauskommen.
Grundsätzlich bestehe hier nämlich eine ganz große Gefahr, wie auch bei allen Ratgebern im medizinischen Bereich, dass man auf allzu leichte Erklärungsmuster hereinfalle.
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) oder auch Depression, Narzissmus, Ängste sind, so Schmidt, Diagnosen, die in solchen Beiträgen in Sozialen Medien oft vorkommen.
Viele der Beiträge würden der Komplexität eines Krankheitsbildes allerdings nicht gerecht. Es gibt nach der Einschätzung von Schmidt auch keine Patentrezepte, da sich gerade psychische Krankheiten auch sehr individuell ausprägen können.
Seriösität der Anbieter von Psycho-Tipps sollten überprüft werden
So rät der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, die Profile solcher Psycho-Angebote genau zu überprüfen: "Wer gibt die Informationen heraus, welche Interessen können damit verbunden sein, wie seriös und vertraulich ist die Quelle und wie vollständig wird informiert?", so Verbandspräsidentin Thordis Bethlehem. Sie mahnt zur Vorsicht: Gerade in Krisenzeiten würden Betroffene kaum eigene Stärken, Ressourcen und Chancen sehen. Der Fokus liege auf Belastungen, Problemen und Defiziten. Aber gerade das mache sie aber auch empfänglich für Selbstdiagnosen. Therapie "aus der Gießkanne" werde dem, was Menschen brauchen, so Bethlehem, eben nicht wirklich gerecht.
Auch der der Medienpsychologe Joachim Schmidt gibt daher den Tipp, immer genau zu überprüfen, von wem dieser Rat komme. Auf der anderen Seite sollte man das dann wirklich als einen ersten Impuls sehen, sich dann wirklich Hilfe bei Fachleuten im direkten Gespräch zu holen.
Hier finden Betroffene Hilfe
Im Zweifelsfall helfe dann der Fachmann oder die Psychotherapeutin besser als die Community auf TikTok. Es gebe, so Schmidt verschiedene Anlaufstellen. Man könne sich im Netz über die unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen und Probleme informieren, auch auf seriösen Seiten, zum Beispiel bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Oder man ruft die 116 117 an. Das ist der bundesweite Teleärztliche Bereitschaftsdienst, der auch Hilfe vermitteln kann.
Aktionswoche und Aktionstag für Seelische Gesundheit
Während der Aktionswoche "Woche der Seelischen Gesundheit vom 10. bis 20. Oktober macht ein Aktionsbündnis auf die Bedeutung des Themas aufmerksam. Die Themenwoche sei ein Aufruf, psychische Belastungen bei sich selbst und bei den Menschen im eigenen Umfeld ernstzunehmen, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Schirmherr der Aktionswoche, in einem Grußwort. Rund 500 Präsenz- und Onlineveranstaltungen im Rahmen der Themenwoche machen auf bestehende Hilfsangebote aufmerksam.
Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit will mit der Woche unter dem Motto "Zusammen der Angst das Gewicht nehmen"vor allem auf Ängste in Krisenzeiten eingehen. In der Aktionswoche solle die Hemmschwelle gesenkt werden, "bei Ängsten in Krisenzeiten Hilfe und Unterstützung zu suchen und anzunehmen" so Lauterbach. Am 10. Oktober ist zudem Internationaler Tag der seelischen Gesundheit.
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