Die Wartezeit für einen Therapieplatz ist lang. Das soll durch Chatbots verbessert werden. Aber können sie eine echte Therapie ersetzen?
In Deutschland sind mehrere Millionen Menschen von psychischen Krankheiten betroffen - Tendenz steigend. Vor allem durch die Pandemie hat der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen in Deutschland nochmal stark zugenommen, weshalb viele Praxen an ihre Belastungsgrenze stoßen. Die Wartelisten sind lang. Können Chatbots - Künstliche Intelligenzen, die Betroffene beraten - die Versorgungslage verbessern?
Digitale Gesundheitsanwendungen in Deutschland
Es gibt in Deutschland schon einige Onlineangebote, sogenannte "Digitale Gesundheitsanwendungen". Sie dienen der Prävention oder Behandlung von psychischen Krankheiten. In vielen Fällen werden die Kosten sogar von der Krankenkasse übernommen. Die Apps bieten beispielsweise Anleitungen für mehr Achtsamkeit oder regelmäßige Entspannungsübungen an. Eines erfüllen sie jedoch noch nicht: individuelle Gespräche und Beratungen.
In manchen Fällen, etwa bei der Rauchentwöhnung, können solche Apps bei der Unterstützung von Patientinnen und Patienten ausreichen, sagt Prof. Dr. Meyer-Lindenberg. Doch der Leiter des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim betont auch: Je höher jedoch der Schweregrad einer Erkrankung ist, desto individueller sollte auch die Beratung sein.
Rauchentwöhnung: Diese Strategien sind erfolgsversprechend
Studie zeigt gutes Abschneiden von Onlinebehandlungen
In Großbritannien gehen etablierte Online-Verfahren sogar noch einen Schritt weiter. In regelmäßigen digitalen Sitzungen werden richtige Beratungen durchgeführt - eine Art Therapiechat.
Eine neue Studie hat gezeigt, dass diese Art von Online-Therapie günstiger, aber trotzdem ähnlich wirksam wie eine Standardtherapie in Präsenz ist. Die Forschenden führen dies darauf zurück, dass die Patientinnen und Patienten aufgrund des geringeren Aufwands und einer höheren Flexibilität im Schnitt früher behandelt werden können, wodurch insgesamt der Behandlungszeitraum verkürzt werden kann. Ausschlaggebend ist eine schnelle Behandlung insbesondere bei schweren Fällen.
Das kann digitale Psychotherapie leisten
Ersetzen Chatbots in Zukunft klassische Gesprächstherapien?
Chatbots könnten Gesundheits-Apps und Gesprächstherapie miteinander vereinen - durch Therapiechats, die ohne eine Therapeutin oder einen Therapeuten auskommen. Einen Anfang macht der Chatbot Mina, der Herstellerangaben zufolge der erste Therapie-Chatbot ist, welcher auf Grundlage von ChatGPT entwickelt wurde. Momentan befindet er sich noch in der Testphase und dient vor allem der Minderung von Prüfungsängsten bei Studierenden. Die Behandlung von weiteren psychischen Beschwerden wie leichten Depressionen soll allerdings folgen.
KI - Eine mögliche Bereicherung für Therapien
Prof. Meyer-Lindenberg betont, dass Chatbots einige Vorteile für die Psychotherapie mit sich bringen. Ein sinnvoller Einsatz dieser stelle - genau wie Gesundheitsapps - zunächst eine Entzerrung der Warteliste auf begehrte Therapieplätze dar.
Eine weitere Stärke künstlicher Intelligenz ist die Emotionserkennung: Wie ist die Stimmung, die in einem Text ausgedrückt wird? Hat die Person eine Essstörung? Oder ist sie möglicherweise suizidgefährdet? All das kann in Textnachrichten von einer KI systematisch nach möglichen Hinweisen abgesucht werden - sogar präziser als von Menschen.
Chatbots können auch für sensible Formulierungen hilfreich sein, wie in einer aktuellen Publikation gezeigt wird. Werden GPT-Systeme in Online-Selbsthilfegruppen eingesetzt, können sie menschliche Kommentare und Beratungen so überarbeiten, dass diese wohlwollender und sympathischer klingen - wodurch sich Betroffene besser verstanden fühlen.
Künstliche Intelligenz birgt auch Risiken
Chatbots haben allerdings einen großen Nachteil. Sie sind nicht in der Lage, Inhalte wirklich zu verstehen, sie analysieren lediglich Daten. ChatGPT beispielsweise basiert auf maschinellem Lernen, wodurch künstliche neuronale Netzwerke entstehen, die menschliche Gespräche nachahmen. Eine empathische, individuelle Beratung ist nicht möglich. Eine klassische Psychotherapie ist mit den momentanen Anwendungen deshalb erstmal ausgeschlossen und auch in der näheren Zukunft nur schwer vorstellbar.
Und der Einsatz von Chatbots bringt auch Risiken mit sich. Erst kürzlich hat ein Programm einen suizidalen Patienten dabei unterstützen wollen, Selbstmord zu begehen. Ein weiterer, auf Angsterkrankungen spezialisierter Chatbot, warb bei jeder möglichen Gelegenheit mit einem pflanzlichen Präparat gegen Ängste - bei näherem Hinschauen stellte sich heraus: Er wurde von der Herstellerfirma entwickelt.
Die Qualität von Programmen wie Chatbots ist zudem auch von der Datenmenge abhängig, die ihnen zum Lernen zur Verfügung gestellt wird. Prof. Meyer-Lindenberg betont, dass in dem Bereich noch ein großer Forschungsbedarf bestehe.
Gespräche führen mit ChatGPT: So lernt die KI des Chatbots von uns
Chatbots als Unterstützung statt Ersatz professioneller Psychotherapie
KI-basierte-Anwendungen können für psychische Beschwerden eine Behandlung zwar ergänzen, aber nicht ersetzen. Helfen können diese momentan vor allem bei der Überbrückung von Wartezeiten und bei weniger schweren Krankheitsverläufen. Doch wegen der Risiken sollte bei einem Einsatz von Chatbots auch Vorsicht geboten sein. Neue Psychotherapeuten sind Chatbots also nicht.
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