Telemedizin

Das kann digitale Psychotherapie leisten

Stand
Moderator/in
Jochen Steiner
Interview
Prof. Dr. Tobias Renner, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Tübingen
Onlinefassung
Leila Boucheligua

Die Wartelisten für eine Psychotherapie sind oft sehr lang. Abhilfe schaffen könnten digitale Angebote. Die werden in der Gesundheitsversorgung immer wichtiger. SWR2-Impuls hat mit Tobias Renner, dem Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Tübingen über den Einsatz und die Chancen digitaler Psychotherapie gesprochen.

Ausreichende und schnelle Hilfe bei psychischen Erkrankungen - das bräuchte es- dringend, denn gerade während der Corona-Pandemie haben psychische Erkrankungen zugenommen, auch bei Kindern und Jugendlichen. Etwas Abhilfe schaffen könnte womöglich die Telemedizin, also digitale medizinische Angebote. Die spielen in der Gesundheitsversorgung in Deutschland eine immer größere Rolle.

SWR2-Impuls Moderator Jochen Steiner hat hierüber mit Professor Tobias Renner, dem Leiter der Kinder und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik in Tübingen, gesprochen.

SWR2: Kann eine Psychotherapie digital via Telemedizin überhaupt funktionieren?

Tobias Renner: Ja, das kann sie. Die Frage ist berechtigt, weil wir ja davon ausgehen, dass die persönliche Komponente eine große Rolle spielt, aber alle Studien – auch eigene Studien – zeigen, dass das wunderbar funktionieren kann.

Funktioniert das vielleicht auch besonders gut bei Kinder und Jugendlichen, weil die für digitale Geräte besonders aufgeschlossen sind?

Das ist sicher ein Punkt. Jugendliche lernen ja heute schon sehr früh den Umgang mit digitalen Medien und haben da durchaus eine hohe Affinität. Sie fühlen sich da wohl und sicher und nutzen den Kommunikationskanal ja auch in ihrer Freizeit. Insofern sind sie damit sehr vertraut und können auch mit Therapieangeboten erreicht werden.

Welche digitalen Behandlungsstools gibt es denn schon? Und wie funktionieren die?

Was sich während der Pandemie sehr etabliert hat, ist die Video-Psychotherapie. Das kann man sich vorstellen wie ein Videotelefonat, bei dem sich die Psychotherapeuten und die Patienten am Bildschirm gegenüber sitzen und so einen Austausch haben. Was zunehmen hinzukommt, sind die sogenannten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).

Das sind Apps, die zum Ziel haben, die Gesundheit zu fördern. Das gibt es insbesondere bei somatischen Erkrankungen, also bei körperlichen Erkrankungen, aber auch zunehmend auch im psychischen Bereich. Da ist es so, dass sehr viel Evidenz noch geschaffen werden muss, das muss gut untersucht werden und die Wirkweisen und eventuelle unerwünschte Wirkungen müssen geklärt werden. Aber das ist sicher ein Bereich, der in Zukunft deutlich an Bedeutung zunehmen wird.

Das sind also spezielle Apps für psychische Erkrankungen in der Erprobung? Fertige Apps, die man sich als Patient herunterladen kann, gibt es noch nicht?

Es werden solche Apps angeboten, allerdings ist bei den meisten dieser Apps und insbesondere bei Kindern und Jugendlichen der Wirknachweis nicht erbracht. Für Erwachsene gibt es bereits Apps, beispielsweise für die Behandlung von Depressionen, die schon Nachweise erbracht haben. Aber für Kinder und Jugendliche fehlt das noch komplett.

Für welche psychischen Erkrankungen – Sie haben gerade Depressionen bei Erwachsenen angesprochen – kommt denn eine digitale Psychotherapie überhaupt infrage und für welche eher nicht?

Wenn wir von einer digitalen Psychotherapie ausgehen, also von einem Psychotherapeuten, der mit einem Patienten über telemedizinische Verbindung arbeitet, dann ist es so, dass prinzipiell sehr viele Erkrankungen in Frage kommen. Die Depression haben wir bereits angesprochen, aber auch Angststörungen können sehr gut behandelt werden, ebenso wie Zwangsstörungen – das sind Störungen, die relativ häufig sind, obwohl man eher selten darüber spricht.

Eine Therapeuten spricht mit einer Patienten auf dem Laptop-Bildschirm
Die Wirksamkeit digitale Therapieangebote für Erwachsene ist teils schon nachgewiesen. Für Kinder und Jugendliche fehlen noch belastbare Daten.

Es gibt immer noch einen großen Mangel an Therapieplätzen; speziell für Kinder und Jugendliche. Da sind die Wartelisten immer noch sehr lang. Könnte man da mit digitalen Angeboten eine Entspannung schaffen oder eher nicht?

Das ist eine sehr spannende Frage. Das funktioniert, wenn wir eine videogestützte Behandlung machen und die Therapiestunde genauso lang dauert wie in der konventionellen Therapie auch. Was allerdings wegfällt, sind die Fahrtzeiten. Wir stellen fest – auch in den eigenen Studien – dass die Jugendlichen viel weniger oft die Stunden versäumen und dadurch die Therapie effektiver wird. Die Eltern haben die Fahrtwege nicht und auch die Jugendlichen eine Zeitersparnis.

Das kann in Regionen, die sehr weite Anfahrtswege haben von bis zu einer Stunde durchaus der entscheidende Faktor sein, dass eine Therapie sehr frühzeitig aufgenommen wird, dadurch effektiver wird und keine Chronifizierung der psychischen Erkrankung zum Greifen kommt. Die Daten sprechen da sehr dafür.

Und sicherlich wird auch in der digitalen Psychotherapie sehr interessant sein, wie man es schafft, die Patienten im Alltag so zu unterstützen, dass sie auch ohne den unmittelbaren Therapeutenkontakt, zum Beispiel mit einem persönlichen digitalen Assistenten, im Alltag schwierige Situation sehr gut bewältigen können.

Könnte es auch eine Entlastung geben für eine längere stationäre Behandlung in einer Klinik für Kinder und Jugendliche?

Das wäre noch zu weit gegriffen. Wir stellen uns das so vor, dass die Begleitmöglichkeiten nach einer Entlassung durch die digitalen Medien noch besser werden, dass also die Patienten früher entlassen werden können und sie trotzdem sehr gut weiter begleitet werden können, beispielsweise von der Klinik aus.

Das hätte den Vorteil, dass Therapeutinnen und Therapeuten, die eng mit Kinder gearbeitet haben, sie und ihre Problemstellung sehr gut kennen, durch ein digitales Medium, wie beispielsweise eine Tele-Psychotherapiestunde, auch über die Entfernung hinweg gut weiterarbeiten können, bis es möglich ist, dass die Kinder und Jugendlichen in die ambulante Versorgung gehen. Das ist ein interessanter Ansatz, wird allerdings so noch nicht ausgeübt. Das ist aber etwas, womit wir uns in Studien beschäftigen werden.

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Jochen Steiner
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Prof. Dr. Tobias Renner, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Tübingen
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Leila Boucheligua