Geopolitik

Wie entstand der Gazastreifen als politisches Gebilde?

Stand
Autor/in
Gábor Paál
Gábor Paál

Gaza: schmaler Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten

Schon beim Blick auf die Landkarte wirkt der Gazastreifen merkwürdig. Ein kleiner schmaler Küstenstreifen, eingekapselt zwischen Israel und Ägypten. Der Gazastreifen ist 40 km lang – das ist weniger als die Strecke von Heidelberg bis Karlsruhe. Im Norden ist er nur 6 km breit, im Süden 14 km. Doch in diesem schmalen Streifen leben 2 Millionen Menschen – er ist somit dichter bevölkert als eine deutsche Großstadt.

Balfour-Erklärung 1917: "Heimstätte" für das jüdische Volk soll in Palästina errichtet werden

Die Geschichte im Schnelldurchlauf: Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte Palästina zum Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich gehörte aber zu den Kriegs-Verlierern und hat sich aufgelöst. Palästina wurde Mandatsgebiet von Großbritannien. In dieser Zeit, aber auch schon vorher, wanderten viele Juden nach Palästina aus. Großbritannien hatte schließlich den Juden schon 1917 versprochen, in Palästina eine Heimstätte für das jüdische Volk zu schaffen. Das war die berühmte Balfour-Erklärung.

Das führte allerdings zu schweren Konflikten mit den dort ebenfalls lebenden Arabern und führte auch zu Aufständen. Speziell aus Gaza zum Beispiel wurden 1929 alle Juden vertrieben. Großbritannien war mit den wachsenden Spannungen überfordert und stand unter Druck, das Mandat für Palästina an die Bevölkerung zurückzugeben, also Palästina in die Unabhängigkeit zu entlassen. Aber die Bevölkerung bestand zu diesem Zeitpunkt aus Arabern und Juden, und die hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen. Also übergab Großbritannien das Problem an die Vereinten Nationen; diese verabschiedeten einen Teilungsplan.

Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat

Palästina wurde also auf dem Papier in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt. In diesem Teilungsplan zerfiel übrigens auch der jüdische Staat in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Jerusalem gehörte in diesem Plan nicht zum jüdischen Staatsgebiet, sondern sollte unter internationale Kontrolle gestellt werden. Bei diesem Teilungsplan wurde auch berücksichtigt, wo die Juden damals hauptsächlich lebten. In Gaza lebten sie nicht, denn von dort waren sie ja 1929 bei arabischen Aufständen vertrieben worden. Deshalb wurde das Gebiet des heutigen Gazastreifens dem palästinensischen Staat zugeschlagen – aber der Gazastreifen war in diesem Teilungsplan noch nicht isoliert, sondern Teil eines etwas größeren zusammenhängenden Gebietes, das zu einem künftigen arabischen Staat gehören sollte.

Israel wird 1948 unabhängig

1948 erklärte Israel seine Unabhängigkeit. Kurz darauf wurde es von seinen Nachbarn angegriffen und konnte sich behaupten. Das war der israelische Unabhängigkeitskrieg oder auch Palästinakrieg. In der Folge dieses ersten Krieges wurde die Landkarte nochmal neu gezeichnet – und der Gazastreifen ist ein Ergebnis davon. Denn Israel vereinbarte einen Waffenstillstand mit Ägypten. Israel konnte sein Gebiet zwar ausdehnen, aber Ägypten bekam die Kontrolle über den Gazastreifen. Das bedeutet nicht, dass die Menschen im Gazastreifen dort zu Ägyptern wurden. Sie wurden zwar von Ägypten verwaltet, hatten aber keine staatsbürgerlichen Rechte. Ebenfalls infolge des Palästinakriegs flohen Hunderttausende Palästinenser aus dem Staatsgebiet Israels oder wurden vertrieben ("Nakba"). Etwa ein Drittel von ihnen ging in dieses kleine, von Ägypten verwaltete Gebiet, das seitdem auch als "Gazastreifen" bezeichnet wird.

Palästinensische Autonomiegebiete nach Osloer Friedensabkommen

Aber er blieb nicht bei Ägypten: Im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt Israel den Sinai, den Gazastreifen und das Westjordanland. 1979 schließen Ägypten und Israel Frieden, der Sinai geht an Ägypten zurück, der Gazastreifen bleibt unter israelischer Besatzung, die dort auch jüdische Siedlungen zulässt. Mitte der 1990er schließen Israel und die Palästinenser einen formalen Frieden im Osloer Friedensabkommen. Dabei entsteht das, was heute als "palästinensische Autonomiegebiete"  bekannt ist. Der größte Teil des Gazastreifens und Teile des Westjordanlands kommen unter die Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörde.

Der Gazastreifen ist zwar das kleinere der beiden Gebiete, besteht aber aus einer zusammenhängenden Fläche – im Gegensatz zum administrativ zersplitterten Westjordanland. Im Westjordanland bleiben die israelischen Sicherheitskräfte und Verwaltung präsent. Dort entstehen immer neue illegale israelische Siedlungen.

Aus dem Gazastreifen dagegen zieht sich Israel bis 2005 zurück und räumt dort auch die jüdischen Siedlungen. Auch politisch entwickeln sich beide Gebiete auseinander. Im Westjordanland dominiert die gemäßigte Fatah, im Gazastreifen wächst die Macht der radikalislamischen Hamas.

2006 fanden in den palästinensischen Gebieten Wahlen statt. Die Hamas gewann diese Wahlen. Weil sie aber Israel nicht anerkennt und bekämpft, wird sie international isoliert. Kurzfristig gibt es eine gemeinsame Regierung mit der gemäßigten Fatah, die im Westjordanland stark ist. Aber die scheitert, die Hamas wirft die Fatah aus dem Gazastreifen raus, herrscht seitdem faktisch alleine, beschießt Israel mit Raketen und erntet Gegenschläge.

Das alles hat dazu geführt, dass der Gazastreifen weitgehend abgeschnitten ist, sowohl nach Israel als auch nach Ägypten. Entsprecht kritisch ist die Versorgungslage. Die Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfslieferungen angewiesen.

Wenn man also fragt, wann das alles begonnen hat, ist die Antworten: Mit den Ereignissen nach der Staatsgründung und dem Palästinakrieg. Seitdem ist der Gazastreifen das, was er bei allem politischen Hin und Her heute noch ist: Ein kleiner, schmaler, eingekastelter Flecken Erde mit misstrauischen Nachbarn, von denen er aber gleichzeitig extrem abhängig ist.

Geschichte Exodus: Gab es den Auszug aus Ägypten wirklich?

Die Archäologen Finkelstein und Silberman bezweifeln, dass der Auszug aus Ägypten, wie in der Bibel geschildert, stattgefunden hat. Was ist da dran? Von Wolfgang Zwickel

Stereotype Wann ist Israelkritik antisemitisch?

Kritik an konkreten Handlungen ist legitim. Mithilfe der 3-D-Regel lässt sich prüfen, unter welchen Bedingungen Israelkritik antisemitisch ist. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

75 Jahre Staatsgründung Israel – Ein Land sucht seine Identität

Israel zählt zu den weltweit am höchsten entwickelten Ländern mit innovativen Start-ups. Doch die aktuelle rechts-religiöse Regierung und der Palästinenser-Konflikt bedrohen die Demokratie.

SWR2 Wissen SWR2

Nahostkonflikt Zweite Intifada 2002 – Eskalation zwischen Israel und Palästina

Nach einem Attentat mit 30 Toten startete Israel eine Militäroffensive im Westjordanland. Auch 20 Jahre später dauert das Trauma an – auf beiden Seiten.

SWR2 Wissen SWR2

Derzeit gefragt

Gedächtnis Warum erinnern sich Mütter schlecht an die Kindheit der eigenen Kinder?

Wie waren die Kinder, als sie noch klein waren? Warum können sich Mütter an die Kindheit der eigenen Babys meist schlecht erinnern? Von Martin Korte

Erinnerung Warum denkt man im Alter öfter an Ereignisse von früher?

Die rechte Großhirnhemisphäre altert etwas schneller als die linke, sodass wir etwas weniger neugierig werden. Wie wirkt sich das noch aus? Von Martin Korte

Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika Was ist der Unterschied zwischen Senat und Repräsentantenhaus in den USA?

Das amerikanischen Parlament – genannt Kongress – hat zwei Kammern: den Senat und das Repräsentantenhaus. Sitz des Kongresses ist das Kapitol in Washington D.C. Von Claudia Sarre | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Körper Warum jucken Wunden, wenn sie heilen?

Menschliche Zellen kommunizieren miteinander, und das Jucken ist das "Rauschen" in dieser Kommunikation – gerade, wenn sich Zellen neu bilden. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Gesundheit Mit dem Rauchen aufhören: Wann ist der Körper wieder auf Nichtraucherniveau?

Das Rauchen hat viele Auswirkungen auf den Körper. Manche verschwinden, wenn man aufhört, schneller, andere brauchen länger. Recht schnell verschwinden die unmittelbaren Symptome, also der Raucherhusten und die Kurzatmigkeit. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitgeschichte Gab es Zusagen an Moskau, die NATO nicht nach Osten zu erweitern?

Wurde in den Verhandlungen 1990 eine entsprechende Zusage getroffen? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Holocaust 6 Millionen ermordete Juden – Woher stammt diese Zahl?

6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten ermordet. Rund 4 Millionen Menschen starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 2 Millionen durch Massaker. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. | http://swr.li/holocaust

Astronomie Wie lautet der Merkspruch für die Reihenfolge der Planeten?

Früher hieß er "Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten." Seit Pluto weggefallen ist kann man sagen: "Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unseren Nachthimmel." Von Tilman Spohn