Stereotype

Wann ist Israelkritik antisemitisch?

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Autor/in
Gábor Paál
Gábor Paál

Kritik an konkreten Handlungen ist legitim

Wie jede Regierung, so muss sich die israelische Regierung Kritik gefallen lassen – von der Opposition im eigenen Land und ebenso vom Ausland. Auch die Bundesregierung kritisiert die israelische Politik immer wieder mal, trotz des, historisch bedingt, besonderen Verhältnisses zum jüdischen Staat.

Der entscheidende Punkt ist: Diese Kritik bezieht sich auf konkrete Entscheidungen oder Handlungen der israelischen Regierung. Etwa auf den jüdischen Siedlungsbau in der Westbank, der auch aus deutscher Sicht völkerrechtswidrig ist. Oder wenn es Pläne gibt, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschränken. Solche konkrete Kritik ist völlig legitim. Auch wenn sich Israel gegen Terror aus dem Gazastreifen mit massiven Gegenangriffen wehrt, ist es legitim, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen – egal, wie man sie dann für sich beantwortet.

3-D-Regel zur Überprüfung: Wann ist Israelkritik antisemitisch?

Doch es gibt bestimmte Argumentationsmuster, bei denen Israelkritik antisemitische Züge bekommt. Als Faustregel gilt dabei die sogenannte 3-D-Regel. Der israelische Politiker Natan Scharanski hat sie entwickelt. Die drei D stehen für Doppelstandards, Dämonisierung und Delegitimierung. Wenn Israelkritik eins dieser drei Merkmale enthält, dann gilt sie nach dieser Regel als antisemitisch.

Doppelstandards: Von Israel mehr erwarten als von anderen

Doppelstandards bedeutet, dass Israel politisch-moralisch mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere Staaten. Wenn Israel in der Kritik viel schlimmer erscheint als andere Regierungen, denen man ihre Menschenrechtsverletzungen durchgehen lässt. Schlimmer als Diktaturen, die Oppositionelle umbringen lassen. Schlimmer als ein Terrorregime, das wahllos Zivilisten ermordet oder Frauen ein selbstbestimmtes Leben verweigert. Kurz: Wenn man von Israel Dinge erwartet, die man von anderen nicht erwartet, dann ist das nach der 3-D-Regel ein guter Anhaltspunkt zu sagen: Die Kritik ist antisemitisch, denn sie wendet doppelte Standards an. Dafür steht das erste D.

Dämonisierung: Israel als "teuflische Macht" und "Grundübel"

Das zweite D steht für Dämonisierung. Wenn Israel als teuflische Macht dargestellt wird, als das Grundübel schlechthin, dann ist das keine Kritik mehr, die sich auf konkrete Politik bezieht. Auch wenn Israel mit dem NS-Regime gleichgesetzt wird, ist nicht nur der Vergleich historisch absurd (zur Erinnerung: Die Nazis haben in Vernichtungslagern Millionen Menschen systematisch ermordet, haben den 2. Weltkrieg angefangen und duldeten keinerlei Opposition). Ein solcher Vergleich zielt ausschließlich darauf ab, das Land zu dämonisieren (und nebenbei den Holocaust zu relativieren).

Manchmal erscheint Israel auch als böser Akteur in irgendwelchen Verschwörungserzählungen. Das ist dann immer ein Hinweis darauf, dass sich Leute auf Israel als Hassobjekt fixieren – was dann eben Hass ist und keine Kritik.

Natürlich könnten sich Menschen, die diesen Verschwörungserzählungen anhängen, auf den Standpunkt stellen, sie haben nichts gegen Juden, aber sie dürften doch wohl die angebliche Wahrheit über Israel sagen. Die Frage, die sich diese Leute meist nicht stellen: Warum glauben sie oder beschäftigen sie sich mit solchen Verschwörungstheorien genau dann, wenn sie mit Israel zu tun haben? Warum hört man nie Verschwörungstheorien über Österreich oder Island? Diese Fixierung auf Israel als jüdischem Staat gilt deshalb als starkes Indiz für antisemitische Prägung, auch wenn sie den Betroffenen selbst nicht bewusst sein mag.

Delegitimierung: Existenzberechtigung Israels infrage stellen

Das dritte D steht für Delegitimierung. Dazu ein Vergleich: Viele kritisieren die Politik der Bundesregierung – aber kaum jemand stellt deshalb Deutschland als Staat infrage oder sieht sich als "Deutschland-Kritiker". Manche Israelkritik läuft aber darauf hinaus, Israel als Staat die Legitimation abzusprechen – als hätte das Land keine Existenzberechtigung. Dies ist aber historisch und völkerrechtlich schlicht falsch. Und tatsächlich gibt es Formen von Israelkritik, die vielleicht nicht explizit sagen, dass Israel kein Existenzrecht hat, die aber im Ergebnis darauf hinauslaufen. Wenn Israel Ziele der Hamas oder der Hisbollah angreift, kann man immer diskutieren, ob das im konkreten Fall zielführend und verhältnismäßig ist. Aber wer Israel grundsätzlich dafür verurteilt, dass es versucht, sich gegen Angriffe  wirksam zu verteidigen, stellt indirekt das Existenzrecht des jüdischen Staats infrage.

Das sind also die drei D: Doppelstandards, Dämonisierung und Delegitimierung. – Viele offizielle Stellen haben diese Kriterien übernommen, als Anhaltspunkte dafür, wo hinter vermeintlicher Israelkritik eine antisemitische Einstellung erkennbar ist.

Antisemitismus: Einstellung, die alles Jüdische negativ bewertet

Antisemitismus, verstanden als eine Einstellung, die alles Jüdische negativ bewertet oder zumindest mit einem Vorbehalt versieht. Seien es die Juden als Kollektiv oder auch jüdische Einrichtungen von der Synagoge bis zum Staat Israel. Nach diesem Verständnis ist es deshalb auch antisemitisch, wenn Juden in Deutschland für die Politik Israels verantwortlich gemacht werden. Auch an diesem Punkt handelt es sich nicht mehr um normale Israelkritik, sondern um eine antisemitische Gleichsetzung völlig verschiedener Gruppen, deren Gemeinsamkeit primär im Jüdischsein besteht.

Ob ein Mensch Antisemit ist, ist schwer zu belegen

In öffentlichen Debatten geht es oft heiß her und da wird schnell mal jemandem nach einer bestimmten Äußerung Antisemitismus vorgeworfen. Dabei empfiehlt es sich jedoch, zu unterscheiden zwischen der Äußerung und der Person. Ob jemand als Mensch ein Antisemit ist oder eine Antisemitin, ist ein sehr weitgehender Vorwurf und meist schwer zu belegen. Zum einen ist es immer schwierig, in die Köpfe von Menschen hineinzuschauen und zu erkennen, was sie wirklich denken. Zum anderen gibt es Menschen, die sich wirklich nicht als Antisemiten sehen. Doch plötzlich rutscht ihnen eine Bemerkung heraus, die einen antisemitischen Inhalt transportiert, weil sie das vielleicht selbst irgendwo aufgeschnappt haben. Zu diskutieren, ob jemand in Wahrheit Antisemit ist oder nicht, hilft in der Diskussion oft nicht weiter, zumal die Diskussion dann schnell sehr persönlich wird. Aber festzustellen, dass eine Äußerung antisemitisch ist – dafür gibt es klare Indizien wie eben die 3-D-Regel.

Grenzen der 3-D-Regel

Aber auch bei dieser Regel bleiben manchmal Unsicherheiten: Nehmen wir eine gebürtigen Palästinenserin, die von der israelischen Politik unmittelbar betroffen ist – die vielleicht im Westjordanland den israelischen Siedlungsbau erlebt oder deren Angehörige in Gaza bei einem israelischen Angriff ums Leben kamen. Aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit ist sie auf Israel schlecht zu sprechen, während sie sich für die Menschenrechtsverletzungen Chinas, Russlands oder der Taliban weniger interessiert. Von außen betrachtet, wendet sie also doppelte Standards an und so könnte man ihr streng nach der 3-D-Regel Antisemitismus vorwerfen. Nur wird damit ihr Verhalten nicht angemessen eingeordnet. Eindeutiger wird es dagegen, wenn sie in Deutschland vor einer Synagoge demonstriert, eine israelische Fahne verbrennt oder Morde an jüdischen Zivilisten bejubelt – das ist dann Antisemitismus in Reinkultur.

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