Kyrillisches Alphabet: auf dem Balkan für slawische Sprachen entwickelt
Das kyrillische Alphabet ist bis auf ein paar Ausnahmen die Schrift, in der slawische Sprachen geschrieben werden – von Montenegro bis Russland. Sie wurde extra für diese Sprachen mit ihren Besonderheiten entwickelt, und sie hat ihre Wurzeln auf dem Balkan.
Es ist unverkennbar, dass das kyrillische Alphabet Ähnlichkeiten mit dem griechischen hat, aber doch ganz anders ist. Es sind auch ein paar hebräische Schriftzeichen mit eingeflossen und dann gibt es für uns, die wir die lateinische Schrift gewohnt sind, so merkwürdige Buchstaben wie das kyrillische Я (gesprochen ähnlich wie ein deutsches j), das wie ein spiegelverkehrtes R aussieht.
Kyrill von Saloniki ging auf Besonderheiten der slawischen Sprachen ein
Im Namen "Kyrillisches Alphabet" steckt der Name Kyrill drin: Gemeint ist Kyrill von Saloniki. Das war im 9. Jahrhundert ein bedeutender Missionar. Geboren ist er in Thessaloniki, das heute zu Griechenland gehört. Damals war die Stadt die zweitgrößte im Byzantinischen Reich nach Konstantinopel. Kyrills Muttersprache war Griechisch, er studierte die klassischen Wissenschaften, aber auch viele weitere Sprachen wie Lateinisch, Gotisch und Hebräisch. Er hatte einen Bruder, Method. Die beiden Brüder reisten viel und missionierten. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass die slawischen Völker den christlichen Glauben annahmen; das war das Christentum in seiner griechisch-byzantinischen, also orthodoxen Prägung.
In Cherson lernte Kyrill Hebräisch
Eine seiner Reisen führte Kyrill ins Reich der Chasaren, dessen Oberschicht zum Judentum konvertiert war. Denn das Chasarenreich erstreckte sich über ein großes Gebiet nordöstlich des Schwarzen Meers, das heute teils zur Ukraine, teils zu Russland gehört. Geographisch war es in einer Zangenposition: Im Westen die byzantinischen Christen, im Süden der expandierende Islam, die Übernahme des Judentums war somit gleichbedeutend mit einem Neutralitätsstatus.
Um sich auf seine Mission bei den jüdischen Chasaren vorzubereiten, begab sich Kyrill für mehrere Monate nach Cherson nördlich der Halbinsel Krim (eine der im Ukraine-Krieg 2022 am heftigsten umkämpften Städte) und lernte dort Hebräisch.
Arbeit an einer neuen "slawischen" Schrift
Nach seiner Rückkehr von den Chasaren (die er nicht bekehren konnte) kehrte er nach Konstantinopel zurück und widmete sich wieder verstärkt der Sprachwissenschaft. Kyrill erkannte, dass die slawischen Sprachen ein paar Eigentümlichkeiten haben, denen weder die griechische noch die lateinische Schrift gerecht wird. So erfand er eine neue. Er wollte aber auch den slawischen Völkern eine eigene Schrift schenken, um deren Besonderheit herauszustellen.
Glagolitische Schrift war Vorläufer des kyrillischen Alphabets
Diese Schrift war noch nicht das kyrillische Alphabet, wie es heute verwendet wird, sondern ein Vorläufer, die glagolitische Schrift. Die war sehr umfangreich, mit über 40 Buchstaben, teilweise recht verschnörkelt. Diese Schrift wurde zunächst in Teilen des Balkans verwendet bis hin nach Mähren, also ins heutige Tschechien und die Slowakei.
Für die Entwicklung der glagolitischen Schrift verwendete Kyrill vor allem griechische Buchstaben. Wo er aber bei den slawischen Lauten nicht weiterkam, mischte er hebräische hinzu sowie einige aus den kaukasischen Schriftsystemen, dem georgischen und armenischen.
Die glagolitische Schrift war die Grundlage für die eigentliche kyrillische Schrift, die nach heutigem Stand erst hundert Jahre später entstanden ist, lange nach Kyrills Tod, aber ebenfalls auf dem Balkan, vermutlich in Bulgarien. Das kyrillische Alphabet hat mehr griechische Buchstaben übernommen, aber auch eine ganze Reihe von Buchstaben aus dem glagolitischen Alphabet. Unter dem russischen Kaiser Peter dem Großen wurde die Schrift noch einmal reformiert und etwas vereinfacht. Und einzelne Länder haben dann auch ihrerseits eigene Varianten entwickelt.
Diese Geschichte erklärt, warum das Alphabet so aussieht, wie es aussieht, warum es ans griechische erinnert, aber doch ganz anders ist, und warum sich bis heute in der kyrillischen Schrift Buchstaben finden, die aus dem hebräischen Alphabet stammen: nämlich das "Ze" (ц), das aus dem hebräischen "Zade" (צ) stammt oder das "Scha" (ш), das auf das hebräische Schin (ש) zurückgeht.
Scheinbar "spiegelverkehrte" Buchstaben sind Zufall
Als Westeuropäer fragt man sich auch manchmal, warum manche Buchstaben scheinbar spiegelverkehrt geschrieben werden. Aber das sind Zufälle. Zum Beispiel sieht das russische и (i) aus wie ein umgedrehtes N. Tatsächlich ist es aber im Grunde das alte griechische Eta (H), bei dem der Mittelbalken gekippt wurde.
Und das Я, das wie ein spiegelverkehrtes großes R aussieht, hat mit unserem R überhaupt nichts zu tun. Es entstand vielmehr aus zwei altkyrillischen Buchstaben, bei denen ein I und ein A überlagert waren – sozusagen ein A mit drei Beinen. Diesen Buchstaben hat Peter der Große bei seiner Schriftreform vereinfacht zu dem Buchstaben, der für uns aussieht wie ein umgedrehtes R.
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