Geschichte

Was war der Holodomor in der Ukraine?

Stand
Autor/in
Christiane Seiler
Onlinefassung
Candy Sauer

Große Hungersnot durch stalinistische Politik – rund 4 Millionen Opfer

Bei Kiew, auf den Höhenzügen über dem Fluss Dnjepr, befindet sich einer der zentralen Erinnerungsorte der heutigen Ukraine – die Holodomor-Gedenkstätte. Sie erinnert an die verheerende, von der stalinistischen Politik herbeigeführte Hungersnot in der Sowjetukraine. Das ukrainische Wort Holodomor bedeutet: „Mord durch Hunger“. Zwischen 1931 und 1933 verhungerten rund 4 Millionen Ukrainer. Die Bronzestatue eines abgezehrten Kindes und ein hoher Turm in Form einer Kerze erinnern an das Massensterben. Der Holodomor betraf die ganze Sowjetukraine in den Grenzen vor dem Zweiten Weltkrieg.

Diese Katastrophe, die hereinbrach vor allem 1932 bis Sommer Herbst 1933, deren Ursache liegt darin, dass Stalin nach 1929 entschied: „Wir haben zwar jetzt eine Sowjetunion, aber sozial-ökonomisch ist noch vieles beim Alten. Wir müssen die Gesellschaft, die Ökonomie transformieren.“ – Und dazu gehörte die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Und gerade die Ukraine, die ein unabhängiges Bauerntum hatten, traf das doppelt. Zum einen: Die Zwangskollektivierung nach 1929 bedeutete, dass viele, auch die wohlhabenderen Bauern, die Kulaken, Leidtragende waren. Aber dass eben gleichzeitig auch das Rückgrat der ukrainischen Nation gebrochen wurde.

Bauern wurden damals mit Waffengewalt von ihren Feldern vertrieben, sowjetische Politkommissare beschlagnahmten die Lebensmittel. Die Menschen verhungerten auf den Straßen, Bahndämme waren mit Leichen übersät.

Holodomor: in der Sowjetunion ein Tabu

Bis zur Spätzeit der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre durfte an den Holodomor in der Ukraine nicht erinnert werden, öffentliche Äußerungen darüber waren verboten. Erst seit Anfang der 1990er-Jahre wissenschaftliche Archive geöffnet wurden, ist historische Forschung zum Holodomor möglich. Heute setzt sich die ukrainische Regierung dafür ein, dass der Holodomor als Genozid anerkannt wird.

Er ist sicher aus ukrainischer Sicht das zentrale Verbrechen der Sowjetherrschaft an den Ukrainern und soll als solches gesehen und gewürdigt werden. Schließlich ist es auch die Erinnerung daran, dass dieses Verbrechen nur möglich war in einem sehr repressiven Regime. Insofern ist das Gedenken daran eben auch ein politisches Gedenken daran, was repressive politische Ordnung bedeutet und sich gegen die sowjetische Vergangenheit abzugrenzen.

Tausende Intellektuelle in den 1930ern verhaftet und ermordet

Etwa zeitgleich mit dem Holodomor wurden in den 1930er-Jahren ukrainische Intellektuelle, Menschen aus Kunst und Politik zu Tausenden verhaftet und meist nach kurzem Prozess erschossen.

SWR 2021

Politik Russland und die Ukraine – Geschichte eines Krieges

Für Putin ist die Ukraine ein sowjetisches Konstrukt, den Einmarsch begründet er historisch. Der Konflikt um die ukrainische Unabhängigkeit reicht bis ins Mittelalter zurück.

SWR2 Wissen SWR2

Länderwissen

Ukraine: aktuelle Beiträge

Karl Schlögel erhält Gerda-Henkel-Preis Deutschland muss Klarheit gewinnen: Putin meint es wirklich ernst

Osteuropa-Historiker Karl Schlögel erhält den mit 100.000 Euro dotierten Gerda-Henkel-Preis. Das Thema seiner Preisrede: „Wie man lernt, sein Russlandbild neu zusammenzusetzen.“

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

Buchkritik Francesca Melandri – Kalte Füße

Kann Geschichte sich wiederholen? In ihrem Buch „Kalte Füße“ beantwortet Francesca Melandri diese Frage mit „Ja“. Melandris Buch ist ein dramatisches Zwiegespräch mit dem Vater und eine kluge Abrechnung mit der russlandfreundlichen Linken in Italien.
Rezension von Brigitte Neumann

SWR Kultur am Abend SWR Kultur

Buchkritik Serhij Zhadan – Chronik des eigenen Atems

Zhadans neuer Gedichtband versammelt Texte aus den Monaten vor und nach dem 24. Februar 2022, als der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine begann.

SWR Kultur am Samstagnachmittag SWR Kultur

Leben & Gesellschaft Der ukrainische Winok

Blumenkränze und Trachtenhemden boomen in einem Land, das sich gegen die Invasion russischer Aggressoren wehrt. Der Winok, entstanden in vorchristlichen Zeiten, ist heute mehr als altes Brauchtum. Von Eva Gaeding.

Matinee SWR Kultur

Stand
Autor/in
Christiane Seiler
Onlinefassung
Candy Sauer

Derzeit gefragt

Architektur Gab es Sounddesign schon in frühen Hochkulturen?

Von Klangarchitektur in Theatern bis hin zu künstlicher Erzeugung von Geräuscheffekten – die gezielte Raumakustik gibt es bereits seit der Steinzeit. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Redewendung "Passt wie die Faust aufs Auge" – Woher kommt das und ist es positiv oder negativ gemeint?

Diese Redewendung ist schon sehr alt; sie ist spätestens im 15. Jahrhundert gebräuchlich. Im Lauf der Zeit erlebte sie einen Bedeutungswandel. Von Rolf-Bernhard Essig

Gesundheit Mit dem Rauchen aufhören: Wann ist der Körper wieder auf Nichtraucherniveau?

Das Rauchen hat viele Auswirkungen auf den Körper. Manche verschwinden, wenn man aufhört, schneller, andere brauchen länger. Recht schnell verschwinden die unmittelbaren Symptome, also der Raucherhusten und die Kurzatmigkeit. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitgeschichte Gab es Zusagen an Moskau, die NATO nicht nach Osten zu erweitern?

Wurde in den Verhandlungen 1990 eine entsprechende Zusage getroffen? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Aberglaube Warum gilt die 13 als Unglückszahl?

Freitag, der 13.! Viele Leute sind an diesem Tag besonders vorsichtig unterwegs und meiden schwarze Katzen und Leitern. In anderen Kulturen bringt die 13 sogar Glück. Und anderswo stehen ganz andere Zahlen für Glück und Pech. Von Petra Pfeiffer

Botanik Gibt es Bäume ohne Jahresringe?

Früher dachte man das von Tropenbäumen, da die Jahresringe durch den Wechsel der Jahreszeiten entstehen. Wie entwickeln sich die Bäume in Zonen ohne echte Wachstumspause? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Holocaust 6 Millionen ermordete Juden – Woher stammt diese Zahl?

6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten ermordet. Rund 4 Millionen Menschen starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 2 Millionen durch Massaker. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. | http://swr.li/holocaust