Für Putin ist die Ukraine ein sowjetisches Konstrukt, den Einmarsch begründet er historisch. Der Konflikt um die ukrainische Unabhängigkeit reicht bis ins Mittelalter zurück.
Ein Jahr ist es her, dass Wladmir Putin seine Panzer in Richtung Kiew schickte – am 24. Februar 2022 war das. Der Plan, die ganze Ukraine einzunehmen, ist vorerst gescheitert – auch dank der Unterstützung aus dem Westen. So kam etwa US-Präsident Joe Biden kurz vor dem Jahrestag des Angriffs überraschend in die ukrainische Hauptstadt Kiew: Am 20. Februar 2023 traf er Präsident Wolodymyr Selenskyj und versprach der Ukraine weitere Waffenlieferungen.
Für Wladimir Putin gehört die Ukraine zu Russland
Eine unabhängige Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin nie akzeptiert. Für den ehemaligen KGB-Offizier ist der Zerfall der Sowjetunion die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Die Ukraine selbst sei erst durch die Sowjetunion geschaffen worden. Das betonte Putin immer wieder, etwa am 21. Februar 2022 in einer Fernsehansprache – wenige Tage vor dem russischen Angriff:
24. Februar 2022: Putin befiehlt Angriff auf die Ukraine
Diese Aufteilung sowjetischen Territoriums sei ein Fehler gewesen. Für Putin gehört die Ukraine nach wie vor zu Russland. Am 24. Februar 2022 befiehlt Russlands Präsident den Angriff auf die Ukraine.
Es wurde allerdings nicht die kurze, triumphale "Spezialoperation", die sich Wladimir Putin offenbar gewünscht hatte. Der Krieg in der Ukraine hat sich zu einem Stellungskrieg entwickelt mit tausenden zivilen Opfern; die russische Militärstrategie ist, wie schon im Krieg in Syrien, eine, bei der die Zivilbevölkerung gezielt zermürbt werden soll. Zerstörte Infrastruktur, Folterkammern für Gefangene, vergewaltigte Kinder.
Auch ein Jahr nach der russischen Invasion ist noch nicht abzusehen, wie lange dieser Krieg noch dauern wird – und wie er ausgeht. Russland jedenfalls wird sich so schnell nicht wieder aus der Ukraine zurückziehen, vermutet die ARD-Korrespondentin in Moskau, Christina Nagel:
Laut US-Militär sind seit Kriegsbeginn deutlich mehr als 100.000 russische Soldaten getötet worden. Zuverlässige und unabhängig geprüfte Zahlen gibt es nicht. Es steht jedoch außer Frage, dass die russische Armee, ebenso wie die ukrainische, massive Verluste erlitten hat.
Längst wird spekuliert, ob Putin nach der Teilmobilmachung im September 2022, die er im November 2022 für beendet erklärt hat, bald eine Generalmobilmachung anordnet. Hunderttausende junger russischer Männer haben sich vor der Einziehung versteckt oder sind ins Ausland geflohen. ARD-Korrespondentin Christina Nagel sagt allerdings, Putins Zustimmungswerte seien nach wie vor hoch.
Russische Propaganda wirkt in der Bevölkerung
Die russische Propaganda wirkt. Zum Narrativ, die Ukraine von einem Nazi-Regime befreien zu wollen, ist die Erklärung hinzugekommen, man sei einem Präventivschlag westlicher Kräfte gegen Russland zuvorgekommen. Das behauptete Putin unter anderem anlässlich der traditionellen Militärparade zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai 2022 in Moskau.
Am 21. Februar 2023 hielt Wladmir Putin eine "Rede zur Lage der Nation", in der er u.a. die Wirkung der westlichen Sanktionen herunterspielte.
Aus russischer Sicht gibt es nur ein gesamt-russisches Volk
Die Geschichte der Ukraine und Russlands ist eng verflochten. Aber die Art und Weise, wie diese Geschichte gedeutet wird, könnte verschiedener kaum sein. Die offizielle russische Interpretation lautet: Es gibt kein eigenständiges ukrainisches, belarusisches oder russisches Volk, nur ein gesamt-russisches. In der Ukraine dagegen will die aktuelle Regierung das Nationalbewusstsein stärken und verweist auf historische Quellen, die die Anfänge der eigenen Nation etliche Jahrhunderte zurückdatieren.
Kiewer Großfürst Wladimir I. lässt sich 988 auf der Krim taufen
Auf ein Datum können sich heute beide Seiten einigen: Ihre Geschichte beginnt im Jahr 988 mit der Christianisierung der sogenannten Kiewer Rus, einem großen Gebiet, das weite Teile der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Belarus umfasst. Die Christianisierung gilt als Geburtsstunde der russisch-orthodoxen Kirche. Um die Schwester des byzantinischen Kaisers Basileios II., Anna, zu heiraten, lässt sich der Kiewer Großfürst Wladimir I. auf der Krim taufen.
Wladimir Putin sieht in der Taufe eine Art gemeinsame geistige Quelle der Völker Russlands, von Belarus und der Ukraine. 2016 weiht er im Zentrum von Moskau ein 16 Meter hohes Denkmal für Wladimir I. ein. Zur Einweihung sagt Putin: Fürst Wladimir sei …
Kiewer Rus: Ukrainer und Russen interpretieren Geschichte sehr unterschiedlich
Die Christianisierung der Rus unter Wladimir I. ist für Putin der erste historische Beleg für die quasi-natürliche Einheit von Russland und der Ukraine. Dort allerdings deute man die Ereignisse ab Ende des 10. Jahrhunderts komplett anders, sagt Historiker Frank Golczewski, emeritierter Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg. Russland sei erst im 13. Jahrhundert aus dem Fürstentum Moskau hervorgegangen.
Zarenreich breitet sich von Moskau aus, im ukrainischen Gebiet treten Kosaken in Erscheinung
Während sich das Zarenreich in den folgenden Jahrhunderten von Moskau aus enorm ausbreitet, treten ab dem Ende des 15. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen Ukraine immer mehr die Saporoger Kosaken in Erscheinung. Zunächst in kleineren Gruppen organisiert, schließen sie sich im Laufe des folgenden Jahrhunderts zu immer größeren Verbänden zusammen. Sind sie die ersten Ukrainer?
Kosaken gründen Hetmanat
Das 16. und 17. Jahrhundert ist eine umkämpfte Zeit. Die Kosaken erheben sich gegen den herrschenden polnisch-litauischen Adel. Der wiederum versucht, die Aufstände im Grenzland, altostslawisch Ukraina, niederzuschlagen. Unter der Führung Bohdan Chmelnyzkyjs lösen sich die Kosaken 1648 nach einem Volksaufstand von Polen los und gründen das sogenannte Hetmanat. Den Konflikt mit dem polnisch-litauischen Adel beendet das aber nicht. Auf der Suche nach Bündnispartnern wenden sich die Kosaken an den russischen Zaren Alexei I.
Kosaken und russisches Zarenreich verbünden sich 1654 im Vertrag von Perejaslaw
Die Kosaken und das russische Zarenreich verbünden sich gegen Polen-Litauen. Sie schließen den sogenannten Vertrag von Perejaslaw. Aber wie genau dieses Bündnis ausgesehen hat, das wird unterschiedlich ausgelegt.
Anschluss an Russland – oder Vertrag unter Gleichen?
In Russland heute wird der Vertrag von Perejaslaw verstanden als Anschluss des Kosakenstaates an das russische Reich und gilt damit als Wiedervereinigung der Ukraine mit Russland. Und umgekehrt?
Hauptmann Iwan Masepa wechselt die Seiten und kämpft gegen den Zaren
Mit dem Bündnis zwischen den Kosaken und dem russischen Zarenreich ist der Konflikt trotzdem nicht beigelegt. Bereits wenige Jahre später schließt sich Chmelnyzkyjs Nachfolger den Polen an und spaltet die Kosaken in ein pro-russisch und ein pro-polnisch orientiertes Lager. Ein halbes Jahrhundert danach kommt es zu einem weiteren Streitpunkt in der russisch-ukrainischen Geschichte: Der kosakische Hetman, zu Deutsch: Hauptmann, Iwan Masepa, eigentlich ein treuer Freund von Zar Peter dem Großen, wechselt im Krieg überraschend die Seiten. Er kämpft 1708 mit den Schweden gegen den russischen Zaren.
1709: Schlacht bei Poltawa wird zum Triumph für Zar Peter den Großen
Die entscheidende Schlacht bei Poltawa ein Jahr später ist ein großer Triumph für Zar Peter den Großen. Die Schweden und mit ihnen die Kosaken werden vernichtend geschlagen. Der russische Komponist Pjotr Tschaikowsky hat dem russischen Sieg seine Oper „Mazeppa“ gewidmet.
Kosaken-Hauptmann Masepa flüchtet ins Osmanische Reich, wo er kurz darauf stirbt. In der pro-russischen Erinnerung wird Masepa als Verräter dargestellt. In die ukrainische Geschichte geht er trotz seines Scheiterns als Begründer eines modernen, demokratischen Staates ein.
Russlands Aufstieg zur Großmacht
Während Russland durch den Sieg über Schweden 1709 quasi über Nacht zu einer Großmacht in Europa wird, verliert das kosakische Hetmanat nach und nach an Bedeutung. Es geht schließlich unter Katharina der Großen im russischen Zarenreich auf. Es folgen zwei Jahrhunderte der Unterdrückung des ukrainischen Volks und der ukrainischen Sprache.
Im Jahr 1863 lässt der russische Innenminister Pjotr Walujew wissenschaftliche und religiöse Publikationen auf Ukrainisch verbieten, dreizehn Jahre später folgt dann der Emser Erlass des Zaren Alexander II. Er weitet das Verbot auf alle ukrainischen Publikationen aus.
Unterdrückte ukrainische Bevölkerung hält an kultureller Identität fest
Durch die Erlasse sollen mögliche ukrainische Aufstände präventiv unterdrückt und die ukrainische Bevölkerung eng an das russische Kaiserreich gebunden werden. Doch bei großen Teilen der ukrainischen Bevölkerung bewirkt die Unterdrückung das Gegenteil: Sie pflegen ihre Sprache, die entgegen russischer Propaganda nicht einfach nur ein russischer Dialekt ist. Und sie halten an ihrer kulturellen Identität fest, worauf viele Ukrainer von heute stolz verweisen.
Ukraine erlangt 1917 die Unabhängigkeit – für drei Jahre
Erst im Zuge der Februar- und der Oktoberrevolution im Jahr 1917 und der damit einhergehenden Auflösung des Russischen Zarenreiches erlangt die Ukrainische Volksrepublik ihre lang ersehnte Unabhängigkeit. Allerdings nur für kurze Zeit. Drei Jahre später, nach dem Einmarsch der Roten Armee 1920, wird die Republik bereits wieder aufgelöst und in die Sowjetunion eingegliedert.
Holodomor: bis zu vier Millionen Ukrainer sterben Anfang der 1930er-Jahre
Dort erleben die Ukrainer Anfang der 1930er-Jahre ein nationales Trauma: Den Holodomor – die größte Hungerkatastrophe des Landes. Bis zu vier Millionen Ukrainer sterben – auch weil Diktator Josef Stalin es bewusst darauf ankommen lässt.
Geschichte Was war der Holodomor in der Ukraine?
Das ukrainische Wort Holodomor bedeutet: „Mord durch Hunger“. Zwischen 1931 und 1933 verhungerten rund 4 Millionen Ukrainer – verursacht durch stalinistische Politik.
War der Holodomor Völkermord?
In der Geschichtswissenschaft ist umstritten, ob es sich bei dem Holodomor um einen Genozid handelte. Einige Fachleute argumentieren, dass der Holodomor kein Völkermord gewesen sei, da auch andere Sowjetrepubliken davon betroffen waren und es nicht gezielt die Vernichtung des ukrainischen Volks gegangen sei.
Andere wiederum, darunter mehrere osteuropäische Staaten, aber auch Kanada, Mexiko und Australien, erkennen den Holodomor schon lange als Genozid an. Im Zuge der Solidarisierung mit der Ukraine während des russischen Angriffskriegs sind die EU und auch Deutschland von ihrer ursprünglichen Haltung abgewichen und betrachten den Holodomor nun auch als Genozid. Führende Osteuropa-Experten wie Karl Schlögel werfen Putins Regime vor, auch heute genozidale Ziele zu verfolgen.
Ukrainische Nationalisten kollaborierten mit Nazis – und werden bis heute verehrt
Auch beim Thema Zweiter Weltkrieg vertritt die ukrainische Regierung eine deutliche und zum Teil umstrittene Meinung. Denn obwohl die Untergrundbewegung mit dem Namen: „Organisation Ukrainischer Nationalisten“, kurz OUN, mit den Nazis kollaborierte und an Kriegsverbrechen beteiligt war, werden die Anführer der OUN bis heute verehrt.
2015 wurden Gruppierungen wie die OUN per Gesetzesdekret zu Kämpfern für die ukrainische Unabhängigkeit erklärt. Wer diese Ehrung in Frage stellt, kann Ärger bekommen.
Putin: "Faschisten und Drogenabhängige" in der ukrainischen Regierung
Für die russische Seite sind Gruppen wie die OUN bis heute Faschisten. Der Begriff ist eine der größten Beleidigungen im offiziellen russischen Sprachgebrauch. In seinen Reden bezeichnet der russische Präsident Wladimir Putin die Angehörigen der ukrainischen Regierung als Faschisten oder als Drogenabhängige, spricht von einem illegitimen Nazi-Regime. Mit dem militärischen Einmarsch jetzt will er die Ukraine "entnazifizieren", wie er es nennt. In seiner Fernsehansprache vom 21. Februar 2022 sagt Putin anlässlich der Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk:
Nationalismus in der Ukraine wächst – spätestens seit der Krim-Annexion
Die Regierung des jüdisch-stämmigen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Nazi-Regime zu bezeichnen, ist absurd. Mit Zunahme der russischen Aggression und spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 wächst in der Ukraine allerdings der Nationalismus stark an. Und er wird von staatlicher Seite mitgetragen. So gründete die damalige Regierung von Wiktor Juschtschenko 2007 das Institut zur Nationalen Erinnerung, das die Verehrung ukrainischer Unabhängigkeitskämpfer fördern soll.
Antisowjetische und antirussische Geschichtspolitik der Ukraine als Rechtfertigung für Putin
Diese aggressive antisowjetische und letztendlich antirussische Geschichtspolitik nimmt Wladimir Putin zum Anlass, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. In seiner Erklärung zur Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk geht er auf die Dekommunisierung in der Ukraine ein und nennt die Vertreter der ukrainischen Regierung ironisch dankbare Nachkommen der einstigen Sowjetzeit.
Mit der wahren Dekommunisierung der Ukraine meint Putin, dass die Ukraine die Landesteile zurückgeben müsse, die ihr einst von der Sowjetunion gegeben worden seien. Die Dekommunisierung in seinem Sinne hat Putin mit der Annexion der Krim zum Teil bereits wahr gemacht. Der ehemalige sowjetische Machthaber Nikita Chruschtschow hatte die Krim 1954 der Ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen.
Ukrainische Bevölkerung seit 2014 in zwei Lager gespalten
Die jüngste Phase der ukrainischen Unabhängigkeit beginnt 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion. Seither hat die Ukraine in den vergangenen 30 Jahren mit wirtschaftlichen und innenpolitischen Problemen gerungen. Auf politischer Ebene waren die Akteure lange in ein pro-westliches und ein pro-russisches Lager gespalten, meint der Kiewer Journalist Denis Trubetskoy. Zweimal – 2004 bei der Orangenen Revolution und 2014 auf dem Kiewer Maidan Platz – hätten Proteste auch mithilfe nationalistischer Kräfte zu einer westlich orientierten Regierung geführt. Seit 2014 spalte sich die Bevölkerung jedoch vor allem in ein stark nationalistisches und ein deutlich gemäßigteres pro-ukrainisches Lager.
Als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und das russische Eingreifen im Donbas 2014 haben beispielsweise Schulen in der Ukraine ihren Russischunterricht reduziert. Auch sonst gibt es auf offizieller, rechtlicher Ebene Maßnahmen, die das Russische einschränken sollen. Im Alltag sprechen die Menschen in der Ukraine aber weiterhin ebenso selbstverständlich Ukrainisch wie Russisch.
Ukraines Präsident Selenskyj stammt aus russischsprachiger Familie
Präsident Wolodymyr Selenskyj stammt aus einer russischsprachigen Familie. Als politischer Newcomer wurde der ehemalige Schauspieler bei seinem Amtsantritt 2019 erst von vielen Seiten belächelt. Das hat sich spätestens seit dem Einmarsch Russlands geändert. In Handyvideos meldete er sich aus der umkämpften Regierungszentrale und zählte auf, wer mit ihm die Stellung hält. Tud – alle hier, wir bleiben, sagt Selenskyj.
Geschichte: keine Rechtfertigung für Angriff auf souveränen Staat
Die neue Generation, Kinder und Jugendliche lernten in den Schulen nicht, dass unterschiedliche historische Deutungen manchmal gleichberechtigt sein könnten, meint der Historiker Frank Golczewski. In vielen osteuropäischen Ländern und auch in Russland werde nach wie vor ein alleingültiges, nationales Geschichtsnarrativ vermittelt.
Die Geschichte der Ukraine und Russlands ist lang und kompliziert. Eine einseitige Interpretation der Geschichte sollte aber nicht als Rechtfertigung dienen, ein souveränes Land wie die Ukraine anzugreifen, meint Frank Golczewski:
SWR 2022 / 2023
24.2.2022 Die Nacht, in der Russland die Ukraine angriff
24.2.2022 | Schon in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 ist klar, dass Russland die Ukraine angreifen würde. Am Vorabend haben die russischen Separatisten in den ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk Russland um Hilfe gebeten. Kaum jemand zweifelt daran, dass Putin dies als Begründung nehmen würde, diese Gebiete "befreien" zu wollen, schließlich hatte er sie schon zuvor schon als "autonome Republiken" anerkannt. So kommt es dann auch. Die Entwicklung spiegelt sich in den Radionachrichten. Nachts sind die Informationsradioprogramme der ARD zusammengeschaltet.
Um 4 Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit hatte sich bereits der Sicherheitsrat getroffen, um über die offenbar bevorstehende Invasion zu beraten.
Eine halbe Stunde später bestätigen sich die Befürchtungen. Präsident Putin hat in der Zwischenzeit im russischen Fernsehen eine Ansprache gehalten. Davon handeln die Nachrichten um 4:30 Uhr.
Um 5 Uhr informieren die Nachrichten bereits über erste Explosionen in der ukrainischen Hauptstadt. Im Lauf des Morgens sind auch in den Radioprogrammen erste Augenzeugenberichte zu hören. Wir hören den Journalisten Roman Schnell, der sich zum Kriegsausbruch in Charkiw befand und anschließend Maria Kalus, Mitarbeiterin im ARD-Studio Kiew.
Aktuelle Beiträge zur Ukraine
„Wurden große Worte erfunden, um missbraucht zu werden?“ Michail Schischkin hält Schillerrede 2024
In seiner Schillerrede im Deutschen Literaturarchiv Marbach hat der russische Autor Michail Schischkin auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die mit dem Missbrauch von Sprache, Literatur und Ideen verbunden sind.
Deutschland nach der Trump-Wahl Historiker Kimmage zur zweiten Amtszeit von Donald Trump: Was wird aus dem „Westen“?
Wie positioniert sich Deutschland nach der Trump-Wahl? Der US-amerikanische Historiker Michael C. Kimmage meint, Deutschland sei auf die zweite Amtszeit von Donald Trump nicht vorbereitet.
Diskussion Präsident Trump – Wohin steuern die USA?
Er hat es geschafft: Donald Trump kehrt als amerikanischer Präsident zurück ins Weiße Haus. Sein Sieg über Kamala Harris fiel am Ende deutlicher aus als von vielen erwartet. Während seine Gegner von einem „schwarzen Tag für die Welt“ sprechen, prophezeit Trump seinem Land ein „goldenes Zeitalter“. Wohin steuern die USA? Was geschieht mit der Ukraine, was passiert im Nahen Osten? Worauf muss sich der Westen, muss sich Deutschland in Zukunft einstellen? Claus Heinrich diskutiert mit Katrin Brand - Studioleiterin Hörfunk, ARD-Studio Washington, Sabrina Fritz - Studioleiterin SWR/BR/MDR-Studio Brüssel, Jörg Wimalasena - politischer Korrespondent WELT
Buchkritik Yaroslav Hrytsak – Ukraine. Biographie einer bedrängten Nation
In seiner „Biographie“ der Ukraine erzählt der ukrainische Historiker Yaroslav Hrytsak die Geschichte seines Landes von der Wikingerzeit bis zur Gegenwart.
Rezension von Judith Leister
ISBN 978-3-406-82162-2
Gespräch Elon Musk und „X“ – Wie der Tech-Milliardär versucht, politisch Einfluss zu nehmen
Es gibt immer mehr Hinweise, dass Elon Musk mit „X“ Politik machen will, indem er als eine Art rechtsextremer Gate-Keeper versucht, die Meinungsströme zu lenken.
Diskussion Bündnis ohne den Westen – Was wollen die BRICS-Staaten?
Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – diese fünf namengebenden Gründungstaaten wollen ihr BRICS-Bündnis stärken und erweitern. Beim Treffen im russischen Kasan in dieser Woche werden zwei Dutzend Regierungen dabei sein, die vor allem eines eint: sie gehören nicht zum Westen. Doch was möchten diese politisch und wirtschaftlich so unterschiedlichen Staaten des Globalen Südens darüber hinaus: von der schwindenden Macht des Westens profitieren, die Spielregeln einer neuen Weltordnung mitschreiben? Oder ist das lockere BRICS-Bündnis nur ein Baustein der jeweils interessengeleiteten Außenpolitik? Kann das erweiterte BRICS das Gegenstück zu G7 werden? Claus Heinrich diskutiert mit Prof. Dr. Günther Maihold – Politikwissenschaftler, FU Berlin, Lateinamerikaexperte; Prof. Dr. Eberhard Sandschneider – Politikwissenschaftler, Berlin Global Advisers, Ostasienexperte; Thomas Seibert – Journalist und Autor, Türkeiexperte
Geostrategie Warum ist die Krim für Russland so wichtig?
Seit den Unruhen 2014, dem Sturz von Janukowitsch und der Hinwendung der Ukraine zu EU und NATO ist aus russischer Sicht die Sicherheit ihres Hafens und des Stützpunkts Sewastopol nicht mehr garantiert. Deshalb ließ Putin die Krim annektieren. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.
SWR2 Archivradio
19. bis 25.8.1991 Putsch gegen Gorbatschow – Sowjetunion in Auflösung
19. bis 25.8.1991 | Mit seinen demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen in der Sowjetunion macht sich Präsident Michail Gorbatschow viele Gegner auch in der eigenen Kommunistischen Partei, der KPdSU. Gorbatschow will die Sowjetunion zusammenhalten, aber den nicht-russischen Republiken dabei mehr Eigenständigkeit erlauben. Dies soll in einem Vertrag am 20. August 1991 besiegelt werden. Doch dazu kommt es nicht. Gorbatschow, der in den Tagen zuvor Urlaub auf der Krim macht, wird am 19. August festgehalten, ein selbsternanntes Staatskomitee erklärt in Moskau den Ausnahmezustand. Bei den Putschisten handelt es sich um hochrangige Parteimitglieder, unter ihnen Gorbatschows Vize Gennadi Janajew. Es ist der Beginn einer turbulenten Woche, an deren Ende der Putsch zwar beendet ist und Gorbatschow wieder im Amt, doch das Machtzentrum wird sich zum russischen Präsidenten Boris Jelzin verlagern und die baltischen Staaten sowie die Ukraine werden ihre Unabhängigkeit erklären. | http://swr.li/putsch-gegen-gorbatschow
21.12.1991 Ende der Sowjetunion – Ukraine wird Teil der GUS
21.12.1991 | Nach dem Putsch im August und den Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen sowjetischen Republiken ist die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten. Noch im selben Jahr, kurz vor Weihnachten, wird die Sowjetunion offiziell aufgelöst. Auf der Konferenz von Alma-Ata, dem heutigen Almaty in Kasachstan, schließen sich am 21. Dezember 1991 viele der ehemaligen Republiken, darunter die Ukraine, mit Russland zur sogenannten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zusammen. | http://swr.li/ende-der-sowjetunion
5.12.1994 Russland garantiert Souveränität der Ukraine – ist aber gegen NATO-Osterweiterung
5.12.1994 | Nach dem Ende der Sowjetunion sortiert sich Osteuropa neu. Dabei gibt es große Themen zu klären: Das eine sind Atomwaffen. Die Ukraine, Belarus und Kasachstan besitzen welche – noch aus der Zeit, als sie zur Sowjetunion gehörten. Die Ukraine ist Anfang der 1990er Jahre faktisch die drittgrößte Atommacht der Welt. So viele Atomstaaten – das halten viele für gefährlich. Deshalb kommt es zu einem Abkommen: Die drei Ex-Sowjetrepubliken verzichten auf Atomwaffen, unterzeichnen also den Atomwaffensperrvertrag. Im Gegenzug verpflichten sich die anderen Vertragsstaaten, vor allem die USA und Russland, die Souveränität dieser drei Länder zu achten. Dieses Abkommen läuft im Völkerrecht unter dem Namen „Budapester Memorandum“ – denn es wurde auf dem Treffen der damaligen KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, heute: OSZE) im Dezember 1994 vereinbart.
In der Berichterstattung spielt es damals allerdings kaum eine Rolle, denn andere Themen beherrschen die Konferenz sind strittiger: Da ist zum einen der Jugoslawienkrieg, der nur wenige hundert Kilometer von Budapest entfernt, zum anderen die von den USA beabsichtigte NATO-Osterweiterung. US-Präsident Bill Clinton wirbt in Budapest dafür, Helmut Kohl unterstützt ihn. Russlands Präsident Boris Jelzin ist dagegen. Er befürchtet, so erklärt er 5. Dezember in Budapest, dass die Nato-Osterweiterung die Demokratie in Russland gefährde. Reporter ist ARD-Korrespondent Michael Herde.
27.5.1997 Russland stimmt NATO-Osterweiterung zu
27.5.1997 | Nachdem Russlands Präsident Boris Jelzin sich jahrelang gegen die NATO-Osterweiterung gesperrt hat, wächst das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen. 1997 gibt Jelzin den Widerstand auf. Am 27. Mai des Jahres kommt es zur NATO-Russland-Grundakte. Darin verpflichten sich beide Seiten, die Souveränität aller Staaten zu achten. Russland erkennt an, dass es kein Vetorecht gegen die NATO-Mitgliedschaft anderer Länder hat. Die NATO erklärt wiederum, dass sie keinen Anlass und nicht die Absicht habe, in den neuen osteuropäischen Staaten Atomwaffen zu stationieren. Russland bekommt außerdem umfangreiche Wirtschaftshilfen. Auch soll Russland eng in die NATO-Planungen eingebunden werden. Moskau und wird in die Gruppe der führenden Industrieländer – bis dahin G7, ab dann G8 – aufgenommen. Die Stimmung bei der Unterzeichnung in Paris ist gut, und Boris Jelzin tritt mit einem großen Versprechen auf, das über das Vereinbarte hinausgeht. Aus dem Elysee-Palast berichtet damals Cai Rienäcker.
9. bis 16.8.1999 Putin wird Ministerpräsident – "Russland ist eine Großmacht"
9. bis 16.8.1999 | 1999 ist Russlands Präsident Boris Jelzin schon auf dem absteigenden Ast. Wirtschaftlich ist das Land in einer schweren Krise. Jelzins Amtsführung gilt als zunehmend fahrig, hemdsärmlig und von Alkoholismus geprägt. Ende der 1990er-Jahre hebt er als Präsident eine Handvoll Ministerpräsidenten ins Amt, um sie teilweise nach nur wenigen Monaten wieder zu entlassen. Im August 1999 dagegen holt er einen, der bleiben und ihn ein knappes halbes Jahr später als Präsident beerben wird: Wladimir Putin. Am 9. August 1999 gibt Jelzin diesen Personalvorschlag bekannt.
SWR1 Thema heute greift das Ereignis in einer Hintergrundsendung auf.
Eine Woche später, am 16. August 1999, stimmt auch das russische Parlament, die Duma, dem Personalvorschlag zu. Putin wird Ministerpräsident. Schon damals spricht er von Russland als Großmacht und dass sich das Land seiner Einflusszonen nicht schämen solle.
Am 31. Dezember 1999 erklärt Boris Jelzin seinen Rücktritt und übergibt die Amtsgeschäfte an Wladimir Putin, der damit zunächst kommissarisch Präsident ist. In den vorgezogenen Wahlen im März 2000 bekommt er 52 Prozent der Stimmen. Am 7. Mai 2000 wird aus der kommissarischen Präsidentschaft die reguläre.
27.3.2000 Wladimir Putin – Wie ARD Moskau den frisch gewählten Präsidenten einschätzt
27.3.2000 | Im August 1999 erklärt Russlands Präsident Boris Jelzin, dass er sich Geheimdienstchef Wladimir Putin als seinen Nachfolger wünscht. Putin wird zunächst Ministerpräsident. Am 31. Dezember 1999 tritt Jelzin zurück und Putin übernimmt die Präsidentschaft kommissarisch. Als erste Amtshandlung erlässt er eine Amnestie gegenüber seinem Vorgänger; Jelzin wird somit wegen der schwelenden Korruptionsvorwürfe nicht weiter belangt. Gleich nach Amtsantritt fliegt Putin nach Tschetschenien, um die dort kämpfenden russischen Soldaten zu ehren. Ansonsten ist er die nächsten Wochen damit beschäftigt, die Präsidentschaftswahl am 26. März 2000 zu organisieren sowie seinen eigenen Wahlkampf. Mit Erfolg. Am nächsten Tag wird bekannt: Der 47-jährige Putin ist schon im ersten Wahlgang mit einer knappen absoluten Mehrheit von 52,9 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Jürgen Döschner leitet damals das ARD-Studio Moskau und schildert Putin im folgenden Porträt.
28.5.2002 NATO-Russland-Rat gegründet – "Kalter Krieg vorbei"
28.5.2002 | In den 1990er-Jahren haben sich die NATO und Russland immer mehr angenähert. 1997 vereinbarten sie eine engere Partnerschaft. Sie wird noch enger, als beide Seiten Anfang der 2000er-Jahre den islamistischen Terrorismus als immer stärkere gemeinsame Bedrohung wahrnehmen. Nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 geht die NATO deshalb einen weiteren Schritt auf Russland zu und vereinbart die Gründung eines NATO-Russland-Rates. Russland solle bei Entscheidungen auf Augenhöhe eingebunden werden.
Am 28. Mai 2002 wird der Vertrag in Rom unterzeichnet. Für Russlands Präsident Wladimir Putin, der erst zwei Jahre im Amt ist, ein großer außenpolitischer Erfolg.
Viele andere Beteiligte äußern die Ansicht, dass damit der Kalte Krieg offiziell besiegelt sei. Sogar über eine künftige EU- oder gar NATO-Mitgliedschaft Russlands wird in diesen Tagen gelegentlich spekuliert.
eporter ist ARD-Korrespondent Gerhard Irmler.
12.12.2005 Gerhard Schröder bekommt hoch dotierten Gazprom-Job
12.12.2005 | Am 18. September 2005 hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Bundestagswahl verloren. Am 22. November übergibt er das Amt an Angela Merkel. Keine drei Wochen später, am 9. Dezember 2005, wird bekannt, dass er in den Dienst des russischen Erdgaskonzerns Gazprom wechselt und Aufsichtsratschef des gerade erst gegründeten Konsortiums für die damals neu geplante Ostseepipeline für russisches Erdgas wird. Diesem Konsortium gehören neben Gazprom auch die deutschen Unternehmen E.ON und Wintershall an.
Pikant ist Schröders neuer Job auch deshalb, weil er als Bundeskanzler die Pläne für die Pipeline vorangetrieben hat. Entsprechend harsch fällt die Kritik aus – zunächst bei den politischen Gegnern, aber nach einigen Tagen, am 12. Dezember 2005, zeigen auch immer mehr SPD-Politiker ihr Unverständnis.
An diesem Tag macht SWR3 die Geschichte zum Topthema.
In den folgenden Tagen und Wochen sieht Russland seine Position auch gegenüber der Ukraine gestärkt und erhöht den Gaspreis für die Ukraine. Es kommt zum ersten heftigen Gasstreit zwischen beiden Ländern.
18.3.2014 Putin erklärt nach Annexion: "Die Krim gehört zu Russland"
18.3.2014 | Jahrzehntelang gehörte die Krim zur Ukraine – was für Moskau kein Problem war, solange es die Sowjetunion gab. Und auch danach nicht, solange in Kiew moskautreue Regierungen saßen, die die russische Kontrolle über den Militärhafen Sewastopol nicht gefährden.
Konflikte zwischen der Krim und der Zentralregierung in Kiew gibt es immer wieder, denn die russischsprachige Bevölkerungsmehrheit auf der Halbinsel fühlt sich Russland stärker verbunden als der Ukraine.
Die Ereignisse eskalieren im Februar 2014. In Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, kommt es zu Massenprotesten gegen die prorussische Politik von Präsident Wiktor Janukowitsch. Janukowitsch wird gestürzt und setzt sich nach Russland ab. Der proeuropäische Oleksandr Turtschynow übernimmt als Übergangspräsident Ende Februar die Regierungsgeschäfte, zusammen mit Arsenij Jazenjuk als Ministerpräsident.
Um die gleiche Zeit beginnt Russland mit der Annexion der Halbinsel Krim. Sie ist zunächst als Machtübernahme lokaler russischsprachiger Krimbewohner getarnt, bevor die russische Armee auch nach außen hin sichtbar wird. Am 18. März 2014 feiert Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich die Annexion, die aus seiner Sicht eine Reparatur historischer Fehlentscheidungen darstellt. Seine Rede sorgt für Aufsehen, denn er holt historisch weit aus. Er sagt allerdings auch, dass, entgegen der Befürchtungen des Westens, der Krim nicht noch weitere Regionen folgen werden.
Sein Versprechen, die Ukraine nach der Annexion der Krim nicht weiter anzutasten, bricht er spätestens mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022.