Bolivianische Großstädte beziehen Trinkwasser aus Gletschern, die rapide schwinden. Jetzt versucht der Andenstaat, Wasser zu sparen, Reservoirs zu bauen, Leitungen zu erneuern. Noch liegt einiges im Argen, und viele Maßnahmen bleiben Stückwerk. Doch die Bolivianer sind zum Erfolg verdammt.
La Paz liegt auf knapp 4.000 Metern Höhe am Rande des Altiplano, der Hochebene in den Anden. Mit seiner Schwesterstadt El Alto zusammen ist es die höchstgelegene Metropolregion der Welt. Hier leben fast zwei Millionen Menschen.
Boliviens Regierung hat begonnen, sich dem Klimawandel und der Wasserfrage zu stellen. Doch sie hinkt dabei vielen der meist indigenen Bewohner der Hochlandstädte hinterher. Die haben sich längst auf ihre Tradition besonnen, gemeinsame Probleme auch gemeinsam anzugehen. Sie stellen auf eigene Faust kommunale Wasserversorgungen auf die Beine. Solche Initiativen geben in Bolivien die Richtung vor bei der Anpassung an den Klimawandel.
Edson Ramirez ist Gletscherforscher an der Universität von San Andrés in La Paz. In seinem Labor fertigt ein 3D-Drucker Gehäuse für Wetterstationen. Gletscher seien weltweit auf dem Rückzug, sagt Ramirez. Die Andengletscher der Cordillera Reál, die La Paz und El Alto mit Wasser versorgen, hätten im Augenblick noch eine Oberfläche von 350 Quadratkilometern. Das sei ein Fünftel der tropischen Gletscher weltweit; im Nachbarland Peru lägen weitere zwei Drittel der tropischen Gletscher.
Regierung schädigt Wasserressourcen
Gletscherwasser trage derzeit bis zu 30 Prozent zur Wasserversorgung von La Paz und El Alto bei, sagt Ramirez‘ Kollege Carlos Olmos, Hydrologe an der Katholischen Universität von La Paz. In den letzten vier Jahrzehnten aber hätten die Gletscher 40 Prozent ihrer Oberfläche verloren. Und bis 2050 dürften sie nochmals gut die Hälfte davon verlieren.
Für die Menschen in La Paz und El Alto ist das ein bedrohliches Szenario: Einige Gletscher haben bereits den Höhepunkt ihrer Schmelzwasserabgabe erreicht; andere werden ihn demnächst erreichen und dann verschwinden – so wie der Chacaltaya-Gletscher 25 Kilometer nördlich von La Paz. Hier lag vor 20 Jahren noch das höchstgelegene Skigebiet der Welt – auf 5.200 Metern Höhe.
Doch Boliviens Regierung schädigt ihre Wasserressourcen, indem sie den Amazonas-Regenwald im Tiefland östlich der Anden abholzen oder abbrennen lässt. Bis 2025 will die Regierung so pro Jahr eine Million Hektar zusätzliche Ackerfläche erschließen. Land, das die Ernährung der inzwischen zwölf Millionen Bolivianer sichern solle. Tatsächlich wird auf den abgeholzten Regenwaldflächen aber vor allem Soja angebaut, das größtenteils exportiert wird – und Coca, ein Genussmittel.
Hälfte des Trinkwassers geht verloren
Mit solchem Raubbau schneidet sich das Land auch ins eigene Fleisch: Rußpartikel der brennenden Regenwälder wehten von der Amazonasregion hinauf zu den Andengletschern, sagt Ramirez. Die Partikel verdunkelten die Eisoberfläche, die dann mehr Sonnenstrahlung absorbiere und noch rascher schmelze.
In den Städten selbst geht fast die Hälfte des Trinkwassers in den uralten Leitungsnetzen verloren; Industrie- und Haushaltsabwässer werden meist ungeklärt in die Flüsse geleitet. Und aus denen wiederum bewässerten Bauern Gemüse und Obst, die dann auf den Märkten der Städte landen.
Der Wasserkrieg
In den 1990er-Jahren privatisierte das Land – unter dem Druck von Internationalem Währungsfonds und Weltbank – die Wasserversorgung großer Städte. Drastische Preiserhöhungen waren die Folge. Und in Cochabamba kam es zum heute legendären guerra de agua, zum Wasserkrieg.
Eine halbe Million Menschen demonstrierten gegen die Privatisierung des Wassers, das für sie ein Geschenk der Natur und ein Menschenrecht verkörperte. Es kam zu Generalstreiks und Straßenblockaden; Coca-Bauern unter dem damaligen Kongressabgeordneten Evo Morales schlossen sich dem Protest an. Präsident Hugo Banzer erklärte den Ausnahmezustand – vergeblich. Die Privatisierung der Wasserversorgung in Cochabamba wurde zurückgenommen; einige Jahre später auch in La Paz und El Alto.
Kleine Organisationen mit großer Wirkung
Im Schatten der ineffizienten Wasserbehörden haben sich derweil lokale Selbsthilfegruppen entwickelt, die oft erstaunlich gut funktionieren. Selbstbewusste Stadtbewohner organisieren sich demokratisch und machen ihr eigenes Ding, weil der Staat ihr Grundbedürfnis nach sauberem Wasser nicht befriedigt.
Wasserprojekte, die auch die nachhaltige Anpassung an den Klimawandel im Blick haben, entwickelt die kleine Hilfsorganisation Red Habitat in La Paz. Ein Netzwerk aus Ingenieuren und Architekten, aus Wasserexperten, Sozialarbeitern und engagierten Bürgern armer Viertel in La Paz und El Alto.
Red Habitat hat 130 Haushalte in Atalaya mit Regenwasserauffanganlagen ausgestattet. Die 200 Euro pro Anlage wurden finanziert vom deutschen Hilfswerk Misereor. Zusätzlich haben sich bereits etliche Nachbarn auf eigene Faust Regenauffanganlagen gebaut.
Auch Boliviens Regierung hat angebissen
120.000 Wohnungen in ländlichen Regionen hat die Regierung bereits mit Regenauffanganlagen ausgestattet. Ohne Red Habitat gäbe es diese Anlagen wohl nicht, meint der Leiter der Organisation.
Demnächst will er den Prototypen einer Anlage vorstellen, die Regen- in Trinkwasser verwandelt. Eine Alternative vielleicht für hunderttausende Bewohner El Altos, die sich bis heute kostspielig aus Tankwagen versorgen. Nur gemeinsam mit kleinen lokalen Wasserinitiativen kann Boliviens Regierung die Wasserversorgung von La Paz und El Alto sichern – in diesen Zeiten des Klimawandels.
Produktion 2019