Die Unterscheidung zwischen „sinnlosem Spiel“ und „ernsthaftem Lernen“ ist in der westlichen Kultur tief verwurzelt. Dabei zeigen Studien, dass der Mensch gerade beim Spielen sehr viel lernt.
Freies Spiel – was ist das überhaupt?
Unter freiem Spiel verstehen Pädagogen und Entwicklungspsychologen aus eigener Motivation initiiertes und selbst organisiertes Spiel. Die Voraussetzungen und Bedürfnisse dafür bringen Kinder im Normalfall von sich aus mit. Nicht alle Arten von Spielen sind frei – solche, die sich nach äußeren Vorgaben richten, an welche sich das Kind halten muss, gehören nicht dazu. Das gilt für Lernspiele, Gesellschafts- und Computerspiele genauso wie solche, deren Regeln etwa durch Erwachsene festgelegt sind.
Beim freien Spiel schlüpfen Kinder in unterschiedliche Rollen, ahmen Situationen aus dem Alltag nach und verarbeiten ihre Eindrücke und Erfahrungen. Diese Beschäftigung löst nicht nur Spaß und Glücksgefühle aus, sondern hilft auch, die Persönlichkeit zu entwickeln und wichtige Fähigkeiten für das spätere Leben einzuüben.
Kontrolle, Flexibilität und soziale Kompetenz
Das Ausdenken und Umsetzen eigener Spielideen ermöglicht es Kindern, Kontrolle und „Selbstwirksamkeit“ auszuüben. Sie treffen Entscheidungen und lernen, ihre Emotionen und Handlungen zu steuern. Der spielerische Situationswechsel fördert die Flexibilität, mit der sie später an die Anforderungen der Welt herantreten.
Beim Spielen wird die Fantasie angestoßen, welche in engem Zusammenhang mit abstraktem Vorstellungsvermögen steht. Dies ist in späteren Lebens- und Lernbereichen gefragt, etwa wenn es um mathematisches Verständnis geht. Kinder können beim Spielen nicht nur ihre eigenen Fähigkeiten und Interessen, sondern auch Grenzen ausloten und sich in Ausdauer und Geduld üben – Eigenschaften, die auch für weniger freie Lernsituationen entscheidend sein werden. Dazu kommen wichtige Kompetenzen für das soziale Miteinander.
Freizeitstress und Übervorsicht als Spielverderber
Die Zeit, die Kinder mit freiem Spiel verbringen, hat sich in den vergangenen Jahren drastisch reduziert. Waren es 1990 noch drei Viertel aller Kinder, die nach der Schule draußen spielten, so ist es jetzt nur noch ein Viertel.
Grund dafür ist unter anderem die zunehmende Digitalisierung, die auch den Alltag von Kindern immer mehr bestimmt. Zudem gibt es in der Stadt immer weniger geeignete Grünflächen, während Eltern und oft auch schon Kindern die Freizeit zunehmend abhandenkommt. Verpflichtungen wie Sport- und Musikunterricht lassen wenig Raum für unproduktive Beschäftigung. Darüber hinaus setzt sich ein risikovermeidender Erziehungsstil durch, welcher der eigenständigen Betätigung von Kindern oft vorschnell Grenzen setzt.
Die Entwicklung leidet
Spielmangel oder gar -entzug kann jedoch gravierende Folgen für das spätere Leben haben. Die verringerte Neugier wirkt sich negativ auf Lernerfahrungen und in Folge auf schulische Leistungen aus. Wer über eine mangelnde mentale Flexibilität verfügt, neigt zu schlechterer Emotionsregulierung.
Die Folge sind Überforderung, Angst- oder Aggressionszustände in schwierigen Situationen. Einige Forscher bringen das verringerte Maß an freiem Spiel sogar mit der steigenden Rate an psychisch erkrankten Kindern in Zusammenhang.
Nicht zuletzt werden wichtige soziale Kompetenzen vernachlässigt, die Kinder beim Spiel miteinander, aber auch beim eigenständigen Rollenspiel einüben. Durch den engen Zusammenhang zwischen Spiel und Bewegung leidet nicht nur die kognitiv-emotionale, sondern auch die körperlich-motorische Entwicklung.
SWR 2019
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Richtigstellung
In einer früheren Version dieses Textes hatten wir in der Überschrift das Produkt „tiptoi“ genannt. Dies haben wir entfernt, da die Aussage laut der genannten Studie auf „tiptoi“ gerade nicht zutrifft. Richtig ist: „tiptoi“ sammelt der Studie zufolge keine Nutzungsdaten und erstellt keine Verhaltensprofile von Kindern. Wir bedauern diesen Fehler.