Fast 4.000 junge Menschen werden in deutschen Gefängnissen auf die Freiheit vorbereitet. Sport kann helfen, die Rückfallquote zu senken. Das setzt aber einiges voraus.
Was schützt jugendliche Straftäter davor, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis wieder straffällig zu werden? Die Erfahrung: Eine Ausbildung. Und Sport.
Der Sport ist dabei sehr beliebt. Ein paar Fakten:
- Etwa jeder dritte männliche Gefangene in Deutschland nimmt regelmäßig am Sport teil.
- Gesetzlich steht in den Jugendlichen in den meisten Bundesländern mindestens zwei Stunden Sport in der Woche zu.
- Aber: Nur vier Bundesländer haben ein Rahmenkonzept für den Sport im Justizvollzug, an dem sich die Anstalten orientieren können, wie sie den Sport behandlungsorientiert für die Resozialisierung nutzen sollen.
- Manche Gefangenenmannschaften nehmen sogar am regulären Ligabetrieb teil.
Zu den besonders aktiven Gefängnissen gehören die Jugendstrafanstalt Schifferstadt und die Justizvollzugsanstalt Iserlohn. Seit 25 Jahren spielt ein Team der JVA Iserlohn in der Fußball-Kreisliga-C. „Für die Jungs, die in dieser Mannschaft spielen, ist es natürlich ein Highlight“, sagt Olaf Fiedler, der Bereichsleiter Sport in der JVA Iserlohn. „Jeden Sonntag Gegner und Schiedsrichter von draußen zu haben und eine hohe Abwechslung im Vollzugsalltag zu haben.“
Die JSA Schifferstadt spielt in der Basketball-B-Klasse und war Dritter, bis die Saison wegen der Corona-Pandemie abgebrochen werden musste.
Mannschaftssport als Labor für fairen Wettkampf
Im Mannschaftssport können die Gefangenen auch charakterlich viel lernen, sagt Simon Kaiser, Leiter der sportpädagogischen Abteilung in Schifferstadt. „Der Teamsport ist der Sport, der einen befähigt im Umgang mit anderen Menschen zu zeigen, dass man fair kämpfen kann.“
Schließlich müsse man sich auch im Sport an Regeln halten: „Das haben wir draußen auch: Wir haben Gesetze, an die sich jeder halten muss“, sagt der Sportwissenschaftler. „Und so haben wir quasi unseren Laborzustand Sport und hier dürfen sie scheitern und sich auch mal über die Regeln hinwegsetzen. Das bekommen sie dann natürlich von uns zurückgemeldet.“
In der JSA Wittlich fällt die Hälfte der Sporteinheiten aus
Das ist wichtig, sagt auch Klaus-Jürgen Tolksdorf. Nach Angaben des Vorsitzenden der „Landesarbeitsgemeinschaft Sport und Justizvollzug in Hessen“ können sich beim Sport auch schnell alte Rollen verfestigen. „Der Sportübungsleiter muss den Sport als Gegenstand für Diskussionen und für Gespräche nehmen. Dann wird er behandlungsorientiert“, sagt der 71-Jährige.
In Schifferstadt können die Jugendlichen zwar fast an jedem Tag Sport treiben. Das ist aber nicht in jeder Anstalt der Fall: In der JSA Wittlich, der zweiten Jugendstrafanstalt in Rheinland-Pfalz, ist 2019 zum Beispiel die Hälfte der Sporteinheiten ausgefallen. Das hat das rheinland-pfälzische Justizministerium auf Anfrage des Landtagsabgeordneten Matthias Lammert (CDU) mitgeteilt.
Fast jeder dritte Jugendliche landet nochmal im Gefängnis
Eine bundesweite Rückfallstudie aus dem Jahr 2016 zeigt, dass fast jeder dritte jugendliche Straftäter in seinem Leben nochmal im Gefängnis landet (30%). Kann Sport etwas daran ändern? Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden ist davon überzeugt: „Der Sport kann dazu beitragen, den Alltag zu strukturieren. Das ist eines der Hauptprobleme.“
Der Gefängnissport kann auch dazu führen, dass die Jugendlichen nach ihrer Haftstrafe einem Verein eintreten – der ihnen Halt gibt. „Für junge Menschen ist die soziale Bindung außerhalb der Familie das Entscheidende“, so Rettenberger.
„Und wenn ich weiß, dass ich durch eine erneute Straffälligkeit aus diesen Vereinsstrukturen rausfalle, weil ich eventuell wieder in den Strafvollzug muss, aber auch mein Ansehen verlieren würde, das ich mir hart erarbeitet habe, dann sind das Motivationsbereiche, die einen von Rückfällen abhalten können.“
Zusammenarbeit mit Vereinen
In der JVA Iserlohn ist seit 30 Jahren das große Ziel, die Gefangenen nach ihrer Entlassung in Sportvereine zu integrieren. „Denn da sehen sie, dass zum Beispiele Leute draußen fünf, sechs Tage am Stück arbeiten, nach der Arbeit zum Fußballplatz gehen, dann wieder nach Hause fahren, um morgens um sechs Uhr wieder aufzustehen“, sagt Bereichsleiter Olaf Fiedler.
Neben den Werten kann der Sportverein aber auch bei der Job- und Wohnungssuche hilfreich sein: „Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um letztendlich dafür zu sorgen, dass unsere Jugendliche nicht wieder ins Gefängnis kommen“, sagt Fiedler.
Kontraproduktiv: Gefangene bekommen immer seltener Ausgang
Bei dem Übergang in die Freiheit kann außerdem helfen, wenn die Gefangenen bereits vor der Entlassung die Möglichkeit zum Ausgang bekommen – auch im Sport.
Die Anzahl der Gefangenen mit Ausgang ist aber zum Beispiel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren deutlich gesunken. In Baden-Württemberg seit 2003 um 40%. Eine falsche Entwicklung, meint Kriminologe Rettenberger. „Wenn ich etwas in der Therapie mit Straffälligen erarbeiten will, dann muss ich es auch ausprobieren können.“
Dafür brauche es auch den Schritt in die Freiheit. „Wir können uns nicht gegen alles absichern. Wenn wir wollen, dass unsere Interventionsmaßnahmen bei jungen Menschen im Strafvollzug wirken, dann müssen wir auch wieder darüber sprechen, dass wir Lockerungen stärker vorantreiben.“
Und ganz abgesehen davon diskutieren Fachleute zur Zeit darüber, ob es nicht sinnvollere Formen von Strafen gibt als eine Inhaftierung in einem Gefängnis.
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