Die Digitalisierung hat den Journalismus erfasst. Nachrichtenredakteure und Journalistinnen werden entlassen, Softwareprogramme sollen ihren Job erledigen. Das ist billiger. Aber auch genauso gut?
Themenauswahl: Was bringt die meisten Klicks?
Microsoft kam mit seiner Nachrichtenplattform MSN im Frühjahr 2020 zu dem Schluss, dass journalistische Tätigkeiten auch von einem Algorithmus erledigt werden können. Dieser, so das Kalkül, könne durch Massenauswertung von sozialen Medien sogar besser als menschliche Redakteure erkennen, welche Themen gerade die meisten Klicks bekommen. Die Inhalte wählt der Algorithmus künftig selbständig aus, verziert sie mit einem Foto – und fertig ist der MSN-Artikel.
Allein in Berlin verloren elf Redakteurinnen und Redakteure sowie fünf Freelancer ihren Arbeitsplatz. Durch den Fall MSN erfuhr die breite Öffentlichkeit erstmals, dass auch in Deutschland ausgebildete Journalistinnen und Journalisten ersetzt werden – durch Algorithmen.
„Speed-Journalismus“ – für Vorteile im Börsengeschäft
Finanznachrichten-Agenturen verdienen viel Geld, wenn sie die News schneller als die Konkurrenz bekommen. Denn dann haben ihre Kunden einen Informationsvorsprung und können an der Börse kaufen oder verkaufen, bevor ihre Widersacher ebenfalls von den neuesten Entwicklungen Wind bekommen. Das hat einen neuen, sehr spezialisierten Bereich des Journalismus geschaffen: „den Speed-Journalismus“.
In den Newsrooms der Agenturen sitzen „Speed-Reporterinnen“. Auf Bildschirmen laufen E-Mail-Posteingänge, Twitter-Kanäle, Fernsehsender, Aktienkurse und sich ständig aktualisierende Newsticker hoch und runter. Hochkonzentriert starren die Journalisten auf die Screens vor ihnen. Ähnlich wie Fluglotsinnen arbeiten sie in Schichten, wechseln sich ab.
Das Ziel: Sobald irgendwo eine wichtige Nachricht aufploppt – zum Beispiel in einer Pressemitteilung oder in einem Tweet –, müssen die Speed-Reporter blitzschnell berichten. Im Sekundentakt treffen potenzielle Nachrichten ein. Warntöne, die auf bestimmte Stichworte programmiert sind, vermitteln den Reporterinnen, wohin sie ihre Aufmerksamkeit lenken sollen. Und zwar blitzschnell, in Millisekunden kann eine Information ihren Wert verlieren.
Statistische Wirtschaftsdaten: autonom von Computerprogrammen publiziert
Durch sogenanntes “High Frequency Trading”, also Wertpapierhandel innerhalb von Sekundenbruchteilen, lesen nicht mehr nur Menschen mit, sondern auch Maschinen. Diese können per Texterkennung selbständig Nachrichten auswerten und Kaufentscheidungen treffen.
Um Zeit zu gewinnen, werden bei Finanznachrichtenagenturen wie Bloomberg und Reuters viele Nachrichten, in denen es vor allem um Zahlen wie Gewinne und Verluste oder statistische Wirtschaftsdaten geht, komplett autonom von Computerprogrammen publiziert. Wenn Unternehmen oder Behörden am Morgen neue Statistiken bekannt geben, treffen sie bei den Agenturen auf automatisierte Systeme.
Die sind so programmiert, dass sie auf einer Website oder in per E-Mail verschickten Pressemitteilungen und Geschäftsberichten selbst nach den entscheidenden Stichworten und Informationen suchen. Diese Stichworte fügen sie völlig selbständig in vorgefertigte Meldungen ein. Einige Nachrichten von Reuters und Bloomberg werden veröffentlicht, ohne dass ein menschlicher Reporter sie schreibt oder eine Redakteurin noch einmal drüber schaut.
Wer übernimmt Verantwortung für falsche automatisierte Nachrichten?
Auch wenn die Geschwindigkeit für Bloomberg, Reuters und Co. der treibende Faktor ist: Was, wenn die Maschine irrt und Fake News in die Welt setzt? Dieser Aspekt macht der deutschen Medienwissenschaftlerin Nadine Strauss Sorgen, die in Oxford zum Speed-Journalismus forscht. Denn wer übernimmt die Verantwortung für eine Falschmeldung? Der Algorithmus?
Nadine Strauss plädiert für Richtlinien, die die Verantwortung von Medienhäusern für ihre Nachrichten-Algorithmen regeln. Ein Problem, das die Praktiker jedoch für weniger dringend erachten. Auch Menschen machten schließlich ständig Fehler, wofür dann die Redaktion geradestehen muss.
KI bewältigt große Zahlenmengen
Technik-Enthusiastinnen in den Redaktionen betonen, dass die Automatisierungen nicht dafür da seien, Journalisten zu ersetzen, sondern dafür, ihnen den Job zu erleichtern. Vor allem bei einfachen, zahlenbasierten Meldungen. Das zahlt sich insbesondere im investigativen Journalismus aus, wo es im Zeitalter von Datenleaks immer mehr darauf ankommt, bergeweise Akten und Daten auszuwerten. Denn wenn es, wie im Falle der Panama-Papers oder jüngst der FinCen-Enthüllungen zu den Geldwäsche-Praktiken internationaler Banken, zu Datenleaks kommt, beginnt für Investigativ-Journalistinnen ein Wettlauf gegen die Zeit.
Monitoring: wichtige KI-Anwendungen im Journalismus
Dieses Potenzial der Synergie – das die Newsrooms effizienter macht – sieht auch Nidal Salah-Eddin von der Deutschen Presseagentur dpa. Sich wie ihre angelsächsischen Konkurrenten voll auf autonome Systeme zu verlassen, ist für die deutsche Agentur jedoch keine Option. Dennoch hat die dpa bereits einige Bereiche teilautomatisiert, zum Beispiel ihren bei Nachrichtenredaktionen anderer Medien sehr beliebten Terminkalender. Oder den sogenannten Story-Radar, der Reporter auf interessante Geschichten aufmerksam macht.
Das Monitoring, also das Aufspüren von relevanten Ereignissen und Entwicklungen, ist eines der wichtigsten Anwendungsbereiche von KI im Journalismus. Algorithmen sind in der Lage, das gesamte Internet in Echtzeit zu durchforsten und zu erkennen, wenn es Auffälligkeiten in den Daten gibt. Wenn an einem bestimmten Ort zum Beispiel besonders viele Tweets auf einmal abgesetzt werden, könnte dort ein Unfall oder eine Katastrophe passiert sein.
Pressekodex und Recherche beachtenswerter Themen: Klicks sind nicht alles
Herauszufinden, was Markt und Leserinnen wollen – das ist der wohl wichtigste Anwendungsbereich von KI im Journalismus. Doch zeichnet es gute Journalisten nicht gerade aus, dass sie ihren Leserinnen Inhalte liefern, nach denen diese nicht unbedingt gesucht haben, die aber trotzdem interessant und gesellschaftlich relevant sind? Und ist es nicht die Aufgabe von Redakteuren, selbst randständige, aber beachtenswerte Nachrichten zu veröffentlichen, die gegen jede Konsumlogik gehen?
Immer mehr konkurriert die Journalismus-Branche als Ganzes mit den großen Technologie-Konzernen wie Google, Facebook oder eben Microsoft, dessen Nachrichtenplattform MSN die erste ist, die Journalistinnen fast vollständig durch KI ersetzt hat. Doch sollten journalistisch genutzte Algorithmen nicht auch journalistische Werte reflektieren, wie sie etwa im Pressekodex zu finden sind? Idealerweise wären Journalisten sogar daran beteiligt, diese Technologien zu entwickeln.
Eines der größten Risiken von Künstlicher Intelligenz und dem massenhafter Datensammeln ist, dass Minderheiten zu wenig zu Wort kommen und dass relevante, aber noch wenig beachtete Themen ganz verschwinden. Denn auch das ist die Aufgabe von Journalismus: Dort hinzusehen, wo nicht alle hinsehen und die Welt in ihrer Vielfalt abzubilden. Medien haben eine Wächter-Funktion zu erfüllen, sie sind die „vierte Macht im Staat“.
Bisher keine Kennzeichnungspflicht für automatisch generierte Nachrichten
Durch die zunehmende Digitalisierung und Kommerzialisierung des Nachrichtengeschäftes könnte die große Stärke der Medienlandschaft Schaden nehmen: ihre kunterbunte Vielfalt, die immer auch Meinungsvielfalt bedeutet. Der Deutsche Journalistenband fordert schon seit einigen Jahren eine Kennzeichnungspflicht, doch passiert ist wenig: Die meisten Medien weisen automatisch generierte Meldungen nicht als solche aus.
Kommunikation Konversation mit KI – Wie Maschinen mit uns reden
Das Gespräch mit künstlichen Intelligenzen wird bald alltäglich sein. Diese KIs können sogar mit unserer eigenen Stimme sprechen. Das ermöglicht den digitalen Stimmenklau und Fake News, aber auch das Weiterleben unserer Stimme nach dem Tod.
ChatBots
Informatik Wie KI bessere Antworten liefert – Prompt Engineering
KI-Chatbots wie ChatGPT liefern bessere Ergebnisse, wenn wir besser fragen. Die manchmal kuriosen Techniken des Prompt Engineering zielen auf die internen Mechanismen der Algorithmen. Von Aeneas Rooch (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/ki-prompting | Hörtipp: Mathematik in Zeit von KI – Beweise vom Chatbot | https://www.ardaudiothek.de/episode/das-wissen/mathematik-in-zeiten-von-ki-beweise-vom-chatbot/swr-kultur/13472697/ | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Diskussion Wisch und weg – Wie die Digitalisierung unseren Tastsinn beeinflusst
Früher haben wir Zeitung gelesen und Landkarten entfaltet, heute tasten und wischen wir. Statt feuchtem Gras, klebriger Erde, faltiger Haut und rauem Papier berühren wir vor allem Plastik – wenn wir überhaupt noch etwas anfassen müssen, schließlich gibt es Sprachassistenten. Mit zunehmender Digitalisierung nutzt der Mensch seine Hände und damit seinen Tastsinn auf andere Art. Was macht das mit uns? Und wie gut funktioniert Fühlen in der virtuellen Welt? Marion Theis diskutiert mit Dr. Alexander Achberger - Haptik-Forscher, Universität Stuttgart, Dr. Rebecca Böhme - Neurowissenschaftlerin, Universität Linköping, Dr. Uta Wagener-Praed - Pädagogin und Psychologin, Universität Oldenburg
Diskussion Kollege KI – Wie verändert Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt?
Egal ob Chat GPT, Pflegeroboter oder die KI-gesteuerte Industrieproduktion – schon jetzt setzt jedes siebte Unternehmen KI ein. Bald wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat. Aber statt das Entlastungspotenzial für Arbeitnehmer zu sehen, wächst vielerorts die Angst, dass KI uns die Jobs klauen wird. Wie also sieht die schöne, neue Arbeitswelt mit KI aus? Bietet sie mehr Chancen oder mehr Risiken? Doris Maull diskutiert mit Dr. Christian Rusche – Senior Economist beim Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln; Matthias Spielkamp – Geschäftsführer der Organisation „Algorithmwatch“; Sara Weber – Autorin
Künstliche Intelligenz Testphase: KI-Chatbots kommunizieren mit Usern auf Instagram
Wir schreiben unserem Lieblingsstar eine Direktnachricht bei Instagram. Die Antwort kommt schnell und liest sich wie eine persönliche Nachricht. Das Problem: Der Star hat die gar nicht geschrieben – sondern ein KI-Chatbot. Genau das testet Instagram gerade in den USA.
Netzkultur KI und die Gefühle - wie gut hilft Künstliche Intelligenz gegen Einsamkeit?
Mittlerweile kann sie alles: Künstliche Intelligenz soll unser „persönlicher Begleiter“ werden, uns Arbeit abnehmen, alles ist möglichst genau auf uns zugeschnitten. So stellen sich das zumindest die großen Tech-Unternehmen vor. Aber wie persönlich kann so eine KI tatsächlich werden? Kann sie uns im Jahr 2024 schon eine Art Freundschaft bieten, vielleicht sogar gegen Einsamkeit helfen? Die Programme „Copilot“ oder „Companion“ versuchen, unsere „Freunde“ zu werden.
Forschung Mathematik in Zeiten von KI – Beweise vom Chatbot
Einen mathematischen Satz zu beweisen, bedeutet: Lange herumtüfteln, bis der "Heureka"-Moment kommt. Manchmal dauert das Jahrhunderte. Dank KI wird das künftig wesentlich schneller gehen. Doch sind diese Beweise dann noch nachvollziehbar? Von Christoph Drösser (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/mathematik-ki | Hör-Tipp: Die Schule brennt – der Bildungspodcast mit Bob Blume | https://1.ard.de/die-schule-brennt-podcast | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Wissen Spezial: Künstliche Intelligenz
Die künstlich intelligente Gesellschaft (1/10) Die Geschichte vom denkenden Computer
Seit über 60 Jahren ist von künstlicher Intelligenz die Rede. Heute können Computer und Roboter zwar viel, aber können sie auch denken?
Die künstlich intelligente Gesellschaft (4/10) Kollege Algorithmus
Künstliche Intelligenz schafft mehr Jobs als sie vernichtet. Zumindest vorerst. Langfristig könnte sich der Trend umkehren.
Die künstlich intelligente Gesellschaft (7/10) Aufklärung mit Algorithmen
In sozialen Medien haben Propaganda und Manipulation leichtes Spiel. Ihre Algorithmen können aber auch für Aufklärung und Meinungsfreiheit genutzt werden.