1968 gründet Jil Sander in Hamburg ihre eigene Marke und hebt sich von den Designs ihrer männlichen Kollegen in Paris ab: Nicht dekorativ, sondern funktional ist ihre Mode. Denn sie wollte moderne, berufstätige, unabhängige Frauen einkleiden.
Am 27. November 1943 wurde die deutsche Designerin geboren.
Jil Sander erhält mit 24 einen hohen Kredit und macht sich selbständig
24 Jahren alt ist Heidemarie Jiline Sander, als sie 1968 den Sprung in die Selbstständigkeit wagt. Sie verkauft ihren VW-Käfer und nimmt einen Kredit in Höhe von 200.000 Mark auf. Ihre Idee: Moderne Mode nach Hamburg bringen. Ein schlichtes, aber für die damalige Zeit ungewöhnliches Konzept. Und sie tut das zu einer Zeit, als verheiratete Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes brauchten, um arbeiten gehen zu dürfen. Ihre Boutique eröffnet sie in der Hamburger Milchstraße. Und sie arbeitet an ihrer ersten Kollektion.
Ingeborg Harms, Professorin für Designtheorie an der Universität der Künste Berlin, nennt Sander eine "Nachkriegspraktikerin": 1943 in Wesselburen in Schleswig-Holstein geboren, musste sie die Dinge früh selbst in die Hand nehmen. Und Alfons Kaiser, Modeexperte bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, weiß:
Jil Sander hatte zunächst als Moderedakteurin bei den Zeitschriften "Constanze" und "Petra" gearbeitet. Eine ihrer Aufgaben war es, die neuesten Trends zu präsentieren. In alten Ausgaben der "Constanze" sieht man Frauen im Kleidchen mit Taillengürtel, mit weitem Kragen, Rüschchen, bunten Prints und in kräftigen Farben: Genau das, was Sander nicht wollte.
Einflüsse aus London: weg von Wespentaille und allem Püppchenhaften
Sie sei, so Alfons Kaiser, in ihrer Jugend beeinflusst worden – von den Entwicklungen der 1960er, insbesondere denen aus London mit der Portobello Road oder der Kings Road. Dort hatten ab den frühen 1970ern Malcolm McLaren und Vivienne Westwood einen Kleiderladen.
Jil Sander denkt nach vorne, grenzt sich ab, auch von den Modeschöpfern ihrer Zeit. Besonders von einem Kollegen: Christian Dior. Er hüllte Frauen in meterweise Stoff, schnürte ihnen eine Wespentaille und drehte so mal eben die zarten Fortschritte der Emanzipation um Jahre zurück. "New Look" wurde dieser Stil dann auch noch genannt.
Selbstbewusstsein für Frauen durch funktionale Mode und edle Stoffe
Kleidung, die funktioniert. Aus langlebigen, hochwertigen Stoffen. Mode, die der Trägerin zu mehr Selbstbewusstsein verhilft, weil sie sie kleidet und nicht verkleidet: Das sind die Grundideen.
Angelehnt hat sich Jil Sander mit ihren Enwürfen auch an das Bauhaus mit seinem zeitlos-funktionalem Design. Und Mode-Wegbereiterinnen wie Coco Chanel, die Jil Sander selbst ein Vorbild nennt und die in den 1920er Jahren mit dem Ringelpullover, der luftigen Hose und dem Kurzhaarschnitt die Frauen befreit. Jil Sander denkt global. Und sie greift ihrer Zeit voraus. Sie übernimmt Elemente aus der Herrenmode: Der Anzug, das weiße Hemd, Kleidungsstücke, die sehr androgyn wirken.
Qualität, die man sich leisten können muss
Die studierte Textilingenieurin legt von Anfang an besonderes Augenmerk auf die Qualität der Materialien. Mit dem, was ihr auf Stoffmessen angeboten wird, ist Jil Sander aber selten zufrieden. In Italien findet sie die Stoffe, die ihren Vorstellungen entsprechen.
Allerdings: 2.500 D-Mark für einen Anzug, 900 D-Mark für einen Seidenpullover – Jil Sanders Mode ist Luxus, den sich nur wenige leisten konnten und können. Aber ihr Konzept sei nachhaltig gewesen, sagt Patrick Pendiuk, Modechef der deutschen Vogue:
Weltweit erfolgreiche Geschäftsfrau
120 Boutiquen hat Jil Sander weltweit aufgebaut, 20 Millionen D-Mark Jahresumsatz macht ihre Firma damals. Jil Sander ist Ende 30, die erste deutsche Frau, die ihr Unternehmen 1989 an die Börse bringen wird. Eine Selfmade-Woman. Und je mehr Erfolg sie hat, desto mehr bekommt sie den Sexismus der Männer zu spüren, die mit diesem Erfolg offenbar nicht umgehen können.
1999 verkauft Jil Sander ihr Unternehmen an Prada. Sie soll weiterhin für die Mode ihrer Marke zuständig sein. Aber es klappt offenbar nicht mit der Prada-Familie. Schon nach wenigen Monaten verlässt Jil Sander das nach ihr benannte Label "Jil Sander". Warum? Darüber hat sie sich nie öffentlich geäußert. Auch Prada bewahrt Stillschweigen. Ohne sie als Chefdesignerin fiel es der Marke schwer, das Niveau zu halten. Die Kritiken sind schlecht, die Verkaufszahlen gehen runter. Noch zwei Mal wird Jil Sander zurückkommen, 2003 und 2012. Doch immer nur für kurze Zeit.
In den 2000ern kooperiert sie mit dem japanischen Moderiesen Uniqlo. Unter dem Namen "+J" bringt sie mehrere Kollektionen heraus: Blazer, klassische Blusen, Kaschmirpullover. Auch hier legt sie ihr Augenmerk auf Qualität, Schnitt und Kombinierbarkeit.
Und was bleibt von Jil Sander, die die Mode revolutioniert hat? Alfons Kaiser meint:
Feature Die Ware muss bewegt werden - Über den Wert einer alten Hose
Was tun mit einer alten, sehr wertvollen Designer-Hose, wenn man sie nicht mehr tragen will? – Ein akustischer Streifzug durch die edlen Secondhand-Läden Europas. Von Beate Berger (Produktion: SWR 2024)
Chemie Das Färben blauer Jeans wird umweltfreundlicher
Blue-Jeans werden mit Indigo gefärbt. Doch die Herstellung von Indigo ist für Umwelt und Gesundheit problematisch, weil viel CO2 und Chemikalien freigesetzt werden. Jetzt hat ein Forschungsteam eine neue Methode entwickelt, den Farbstoff herzustellen.
Martin Gramlich im Gespräch mit Sabine Schütze, SWR-Umweltredaktion
Porträt zum 80. Geburtstag Die Mode von Jil Sander – Minimalistisch, nachhaltig, androgyn
Jil Sanders Biografie spannt sich von der Nachkriegszeit bis ins heute. Vor allem für Frauen eine Epoche des gesellschaftlichen Wandels – den die Designerin nicht unwesentlich mitgestaltete. Porträt zum 80. Geburtstag | Von Kristine Harthauer (SWR 2023) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/jil-sander | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: wissen@swr2.de | Folgt uns gern auf Mastodon: https://ard.social/@SWR2Wissen
Diskussion Alles andere als Glamour – Mode in der Fotokunst von Cindy Sherman
Cindy Sherman ist eine der gefragtesten Künstlerinnen unserer Zeit. In ihren gesellschaftskritischen Arbeiten hat sich die Amerikanerin auch immer wieder mit dem Thema Mode befasst und inszeniert sich in den Designer-Klamotten als Clown, Monster, als femininer Mann und maskuline Frau. Die Diversität, die die Fotokünstlerin einfordert, scheint langsam in der Modebranche anzukommen. Welchen Anteil hat ihre Kunst an dieser neuen Pluralität? Marie-Christine Werner diskutiert mit Dr. Dorothee Höfert - Kunsthistorikerin, Mannheim, Monica Menez - Modefotografin und -filmerin, Stuttgart, Vava Vilde – Dragqueen