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Die Frankfurter Paulskirche – Wiege der deutschen Demokratie

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Autor/in
Joachim Meißner
Joachim Meißner
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Candy Sauer

In der Frankfurter Paulskirche versammelten sich am 18. Mai 1848 liberale, radikaldemokratische und monarchietreue Abgeordnete, um eine freiheitliche Verfassung und einen geeinten deutschen Nationalstaat zu beschließen. Die Kirche gilt seither als Symbol der ersten deutschen Demokratiebewegung.

Frankfurter Paulskirche – "Wiege der Demokratie"

Die Männer der Paulskirche traten für revolutionäre Ziele ein – Frauen durften 1848 das Parlament weder wählen noch dafür kandidieren: Die Abgeordneten wollten die Fürsten der über 40 deutschen Kleinstaaten entmachten, eine geeinte Nation schaffen und eine Verfassung ausarbeiten, an die sich die Regierenden zu halten hatten. Ein für die damalige Zeit mutiges und ehrgeiziges Unterfangen.

Die zeitgenössische Darstellung zeigt den liberalen Politiker Heinrich Freiherr von Gagern (Mitte), den Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung 184849, stehend inmitten von Abgeordneten des Parlaments
Die zeitgenössische Darstellung zeigt den liberalen Politiker Heinrich Freiherr von Gagern (Mitte), den Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, stehend inmitten von Abgeordneten des Parlaments

Dessen Tragweite konnten die meisten der 384 Abgeordneten wohl noch gar nicht überblicken, als sie am 18. Mai 1848 vom Frankfurter Römer, dem Rathaus im Zentrum der Stadt kommend, in die benachbarte Paulskirche einzogen.

Franz Wigard, Professor für Stenografie und als Abgeordneter für Dresden selbst Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, schildert in seinem „Stenographischen Bericht“ den Einzug der Abgeordneten:

"Von der Treppe des Römers bildete die Frankfurter Stadtwehr Spalier bis zur Kirche und empfing den Zug mit den üblichen militärischen Ehrenbezeigungen. Der laute Vivatruf des Volkes mischte sich mit dem der Stadtwehr, aus den Fenstern wurden Tücher geschwenkt, und große schwarz-roth-goldne Fahnen wehten zur Feier des Tages aus den meisten Häusern der Stadt."

Römerberg im Fahnenschmuck 1848: "Feier zur Eroeffnung der Nationalversammlung" am 18. Mai 1848 (Stahlstich, koloriert, von Carl Juegel (1783 - 1869))
Römerberg im Fahnenschmuck 1848: "Feier zur Eroeffnung der Nationalversammlung" am 18. Mai 1848 (Stahlstich, koloriert, von Carl Juegel (1783 - 1869))

Ziele der Revolution: nationale Einheit und bürgerliche Freiheit

Die schwarz-rot-goldenen Fahnen sind ein Bekenntnis der Frankfurter zu den Zielen der Revolution: nationale Einheit und bürgerliche Freiheit. Frankfurt war als Sitz des ersten deutschen Parlaments gewählt worden, weil die Freie Reichsstadt keinem Fürsten unterstand, hier lebten selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger.

Außerdem lag die Messestadt verkehrsgünstig in der Mitte Deutschlands und bot mit der Paulskirche zudem einen Raum, der die erwartete Zahl von annähernd 600 Abgeordneten fassen konnte. Den Sakralraum hatte die evangelische Kirche den Politikern abgetreten. Kurzerhand wurde das Kirchenschiff zu einem Parlamentssaal umfunktioniert: Eine Darstellung der Germania verdeckte die Orgel. Das Rednerpult ersetzte die Kanzel. Die Wand dahinter war mit einem Doppeladler bemalt und der Saal war mit schwarz-rot-goldenen Flaggen geschmückt.

Sitzung der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main: Architektonisch war die Paulskirche in Frankfurt als Parlamentsgebäude wenig geeignet: Die Akustik war schlecht und es fehlten geeignete Nebenräume und Toiletten
Sitzung der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main: Architektonisch war die Paulskirche in Frankfurt als Parlamentsgebäude wenig geeignet: Die Akustik war schlecht und es fehlten geeignete Nebenräume und Toiletten

Paulskirche: großer Raum, keine Infrastruktur

Allerdings blieb die Paulskirche architektonisch betrachtet eine Kirche und kein Parlament, wie Peter Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, betont. Und er zählt die Defizite auf:

  • lange Nachhallzeit der Kirche war ungeeignet für Diskussionen
  • keine Heizung, weshalb die Decke abgehängt werden musste, um das Luftvolumen zu reduzieren
  • keine Zimmer für Fraktionsgespräche
  • keine Gasträume
  • keine Toiletten

Aber immerhin: Ein nationales deutsches Parlament hatte es zuvor noch nie gegeben. Da mussten die frisch gewählten Mandatsträger eben ein bisschen frieren – und improvisieren.

Auch in den Sitzungen konnte es ungeordnet und chaotisch zugehen. Mitunter gab es im Parlament und in den Ausschüssen handfesten Streit und einen solchen Lärm, dass die Redner ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen konnten. Denn über die politischen Ziele für ein vereintes Deutschland waren sich die Abgeordneten keineswegs einig.

Das Interesse an der Arbeit des Parlaments war groß, der Andrang enorm. Zugang zur Empore hatten auch Frauen – natürlich getrennt: rechts saßen die Männer, links die Damen.

Überzeugte Demokraten und Republikaner fehlen in der Paulskirche

Ein Hort überzeugter Demokraten und Republikaner war die Paulskirche nicht. Das lag weniger daran, dass beispielsweise nur ein Arbeiter und nur wenige kleine Landwirte vertreten waren. Vielmehr bildeten jene Abgeordneten die größte Gruppe, die gegen ein allgemeines Wahlrecht waren. Das galt für die Monarchisten, aber auch für die Liberalen.

Der Heidelberger Historiker Frank Engehausen erklärt, dass es ein Kennzeichen des Liberalismus im 19. Jahrhundert gewesen sei, mit dem allgemeinen Wahlrecht zu fremdeln:

"Der Grundgedanke war, dass man eine bestimmte persönliche Qualifikation braucht, um dieses wichtige Wahlrecht ausüben zu können. Entweder Männer von Besitz oder von Bildung sollten dem Parlament angehören. Das war die Vorstellung, die die deutschen Liberalen auch in der Revolution 1848 zu verwirklichen versucht haben."

Ein Volk, das politisch mitwirkte, war den führenden liberalen Köpfe nicht geheuer. So empfand es auch Georg Waitz, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und der rechten Zentrums-Fraktion:

"Keine Staatsordnung, möge sie sein wie sie wolle, monarchisch oder republikanisch, wird bestehen (…), wenn die Entscheidung aller politischen Fragen in die Hände der großen Masse (…) gelegt wird."

Demokraten setzen sich gegen konstitutionellen Liberalismus nicht durch

Gab es überhaupt Demokraten in der Versammlung der Paulskirche, also Politiker, die für eine demokratische Agenda einstanden, mit der wir uns heute identifizieren können? Ja, sagt der Historiker Frank Engehausen:

"Menschen wie Robert Blum, Karl Vogt oder andere aus den Fraktionen Donnersberg und Deutscher Hof, die eben für Demokratie standen, für Republik und wo man sagen könnte, das Programm, das der Deutsche Hof im Juni 1848 für seine Mitglieder aufgestellt hat, das könnte ich auch unterschreiben. Da sind sozusagen alle Essentials drin, die wir heute in unserem politischen System haben und die auch berechtigterweise Konsens sind heute."

Der Naturwissenschaftler Karl Vogt (1817 - 1895) um 1868. Vom 20. Mai 1848 bis zum 18. Juni 1849 war er Abgeordneter für Gießen in der Frankfurter Nationalversammlung. Dort zählte er zur radikaldemokratischen Fraktion "Deutscher Hof".
Der Naturwissenschaftler Karl Vogt (1817 - 1895) um 1868. Vom 20. Mai 1848 bis zum 18. Juni 1849 war er Abgeordneter für Gießen in der Frankfurter Nationalversammlung. Dort zählte er zur radikaldemokratischen Fraktion "Deutscher Hof".

Warum aber konnten sich diese Politiker nicht durchsetzen?

"Das Problem ist, dass diese Männer eine eklatante Minderheit in der Paulskirche gewesen sind. Die haben das Gefühl gehabt, sie kämpfen gegen Windmühlenflügel und sind in ihrem Ton gegen die Paulskirchen-Mehrheit immer schärfer gewesen. Im Grunde steht für die Paulskirche, da sind wir jetzt wieder bei Heinrich von Gagern, dieser konstitutionelle Liberalismus, der uns heute nichts mehr sagt."

Mehrheit der Abgeordneten will Monarchie mit Kaiser als Staatsoberhaupt

Die meisten Abgeordneten wollten zwar weitreichende Veränderungen, die Monarchie ganz abschaffen wollten sie aber nicht. Eine Mehrheit war für ein kaiserliches Staatsoberhaupt aus Preußen mit einer den Monarchen bindenden Verfassung.

... aber Friedrich Wilhelm IV. lehnt empört ab, das Parlament löst sich auf

Doch selbst dieser politische Kompromiss zugunsten der konstitutionellen Monarchie war für den König indiskutabel. Als im April 1849 eine "Kaiserdeputation" nach Berlin reiste, um dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserwürde anzutragen, lehnte der empört ab. Die Krone, schreibt er, sei verunehrt:

"… mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen (…) tragen?!"

Die Kaiserdeputation der Frankfurter Nationalversammlung trägt am 3. April 1849 unter Führung von Eduard Simson König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Würde eines Kaisers der Deutschen an. Der leht empört ab. (Zeitgenössischer Holzstich, koloriert. Neuruppiner Bilderbogen)
Die Kaiserdeputation der Frankfurter Nationalversammlung trägt am 3. April 1849 unter Führung von Eduard Simson König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Würde eines Kaisers der Deutschen an. Der leht empört ab. (Zeitgenössischer Holzstich, koloriert. Neuruppiner Bilderbogen)

Die Folge: Das Nationalparlament löste sich auf. Einige Abgeordnete flohen nach Stuttgart und formierten hier ein "Rumpfparlament". Doch württembergische Truppen beendeten das demokratische Experiment endgültig. Die Gegenrevolution trat ihren Siegeszug an und hielt an der alten, monarchischen Ordnung fest.

Paulskirche erzielt Teilerfolge für die Demokratie

Und die Paulskirche? Nur ein demokratisches Strohfeuer? Aus heutiger Perspektive ließe sich schnell urteilen: Das Parlament ist in allen Belangen gescheitert: keine nationale Einheit, keine gemeinsame Verfassung. – Doch diese Sichtweise greift zu kurz, sagt der Heidelberger Historiker Frank Engehausen. Er sieht wichtige Wegmarken und findet:

"Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts ist ein solcher Meilenstein gewesen und dann einfach durch ihre Existenz. Es ist das erste deutsche Nationalparlament gewesen. Ein Parlament, das sich selbst demokratischen Spielregeln hat unterwerfen müssen. Und dadurch, dass es unter diesen demokratischen Spielregeln mehr als ein Jahr existiert hat, war es ein Vorbild für alles, das da später gekommen ist."

Das Parlament hat bewiesen, dass parlamentarische Arbeit mit Hunderten Volksvertretern auf nationaler Ebene möglich ist. Dass es sich, trotz aller Gegensätze, immer wieder zu Mehrheitsbeschlüssen durchringen kann. Dass es demokratische und freiheitliche Normen erarbeiten kann, hinter die nur autoritäre Herrschaftssysteme und menschenverachtende Diktatoren zurückfallen können. Es hat erstmals gezeigt, dass auch Menschen aus armen Verhältnissen, wie der Abgeordnete Robert Blum, sich politisch einbringen können – gegen eine von Klassendünkel beherrschte Standesgesellschaft. Und: Das Parlament in der Paulskirche hat die Grundlage geschaffen für weitere Entwicklungen hin zur Demokratie.

"Die Hinrichtung Robert Blums in der Brigittenau am 9. November 1848" (kolorierte Lithographie. 1848): Blum, geboren 1807 in Köln, war Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und stammte aus ärmlichen Verhältnissen. In der zweiten Phase der Revolution beteiligte er sich in Wien am Oktoberaufstand 1848 gegen kaiserlich-österreichische Truppen. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde er nach einem Standgerichtsurteil hingerichtet.
"Die Hinrichtung Robert Blums in der Brigittenau am 9. November 1848" (kolorierte Lithographie. 1848): Blum, geboren 1807 in Köln, war Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und stammte aus ärmlichen Verhältnissen. In der zweiten Phase der Revolution beteiligte er sich in Wien am Oktoberaufstand 1848 gegen kaiserlich-österreichische Truppen. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde er nach einem Standgerichtsurteil hingerichtet.

Zukunft der Paulskirche – eine moderne Erinnerungsstätte?

Als am 18. März 1944 alliierte Flugzeuge Frankfurts Innenstadt bombardierten, zerstörten sie auch die Paulskirche. 1948 wurde sie wieder aufgebaut. Seit 1951 wird hier der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.

Doch der Ruf der Paulskirche ist verblasst. Hilft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier? Er will die Kirche zu einer modernen Erinnerungsstätte machen.

Frankfurter Paulskirche

18.5.1948 Wiedereröffnung der Paulskirche – Festrede von Fritz von Unruh

18.5.1948 | 1848 und 49 wurde in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung abgehalten. Sie schuf eine Verfassung und bildete das vorläufige Parlament des kurzlebigen Deutschen Reichs, das nach der Deutschen Revolution 1848 entstanden war. Nachdem die Nationalversammlung am Widerstand Preußen jedoch scheiterte, wurde das Gebäude zunächst wieder als Kirche genutzt.
1944, bei einem britischen Luftangriff im Zweiten Weltkrieg brannte die Paulskirche völlig aus. Nach dem Krieg war sie eines der ersten historischen Gebäude, die wieder aufgebaut wurden. Allerdings anders als vorher. Ihrem Innern sieht man seitdem kaum noch an, dass es sich mal um eine Kirche gehandelt hat. Der rasche Wiederaufbau ermöglichte es, dass die Paulskirche zum 100. Jahrestag der Nationalversammlung am 18. Mai 1948 wiedereröffnet werden kann. Viele Rundfunksender übertragen die Feierstunde live. Nach der Begrüßungsrede von Frankfurts Oberbürgermeister Walter Kolb hält der Schriftsteller und Maler Fritz von Unruh eine Festansprache. In deren Verlauf erleidet er jedoch einen Schwächeanfall und muss seinen Vortrag unterbrechen. Das Orchester übernimmt (dieser Part ist in der Aufnahme gekürzt). Zur Überraschung der geladenen Gäste tritt Unruh anschließend nochmals ans Rednerpult und führt seinen Vortrag zu Ende.

9.6.1833 Die Paulskirche in Frankfurt wird eingeweiht

„Kein anderes Gebäude in Deutschland verdient eher den Titel `Wiege der Deutschen Demokratie´“. (John F. Kennedy)

SWR2 Zeitwort SWR2

Revolution 1848

Geschichte Die Badische Revolution 1848 – Auftakt zur liberalen Demokratie

"Völkerfrühling" nennen Historiker die Aufstände in Europa im März und April 1848. Besonders rebellisch waren die Bürger in Baden. Sie kämpften gegen Unterdrückung und für Freiheit.

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Gregor Papsch diskutiert mit
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Dr. Jörg Bong, Publizist und Schriftsteller, Frankfurt
Prof. em. Dr. Wolfram Siemann, Historiker, München

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