Im oberschwäbischen Sigmaringen beginnt im Herbst 1944 eine absurde Tragikomödie: Die Nationalsozialisten errichten für wenige Monate eine Art französische Gegen-Hauptstadt.
Im Juni 1940 wird Marschall Philippe Pétain Staatschef des von der Wehrmacht besetzten Frankreich. Pétains Regime aus Nazi-Kollaborateuren, Faschisten und Konservativen residiert zunächst in Vichy in der Auvergne.
Landung der Alliierten zwingt zum Handeln
Am 6. Juni 1944 verkündet General Dwight D. Eisenhower die Landung der Alliierten in der Normandie. Zweieinhalb Monate später befreien die Alliierten gemeinsam mit den Truppen Charles de Gaulles Paris. Philippe Pétain beschließt, sich seinem ehemaligen Schützling de Gaulle auszuliefern. Doch dazu kommt es nicht.
Auf Befehl von Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop wird die gesamte Vichy-Regierung in einer Nacht- und Nebelaktion gewaltsam nach Sigmaringen gebracht. Von dort aus sollen die Kollaborateure – gesteuert von den Nationalsozialisten – die Wiedereroberung Frankreichs vorbereiten.
Drei-Gänge-Menüs auf dem Schloss, Hunger in der Stadt
Für Pétain und seine Entourage auf dem Hohenzollernschloss Sigmaringen gibt es große Betten, eine beeindruckende Bibliothek und jeden Tag ein fürstliches Dreigängemenü, erzählt der Sigmaringer Heinz Gauggel, der die Speisekarten von damals gesammelt hat.
In der Innenstadt – "unten", wo die einfachen Kollaborateure und Hunderte anderer Flüchtlinge hausen – leiden die Menschen Hunger, wie überall in Deutschland. Sie bekommen auf Lebensmittelkarten streng rationiertes Essen, meist das sogenannte "Stammgericht" aus Kraut und Rüben. Sie frieren, weil kein Brennholz da ist. Sie haben Durchfall, sind unterernährt oder ungewollt schwanger.
Während sich in Frankreich Verhaftungen und Hinrichtungen von Kollaborateuren häufen, spielen die Sigmaringer "Collabos" Paris an der Donau: Vorträge in französischer Sprache, französische Kulturveranstaltungen, eine französische Zeitung, Filmvorführungen, Theatervorführungen im alten fürstlichen Theater gegenüber dem Café Schön, wo man sich dann nachmittags traf.
Französische Radiosender mit Durchhalteparolen zum "Endsieg"
Die Vichy-Beamten versuchen in Sigmaringen, die Fassade eines Regierungsalltags aufrecht zu erhalten. Mit Kabinettssitzungen, mit Verlautbarungen und Erlassen. Mit einer japanischen, einer faschistisch-italienischen und einer deutschen Botschaft auf deutschem Boden.
Neben den offiziellen französischen Sendern, sendet auch "Ici la France" täglich in französischer Sprache – ein eigener Sigmaringer Radiosender. Das Programm ähnelt dem, was aus den deutschen Volksempfängern plärrt: Schlager, politische Kommentare, Nachrichten und Durchhalteparolen zum deutschen "Endsieg".
Ende 1944 stehen die alliierten Truppen an der sogenannten "Siegfried-Linie" am Rhein. Ein Liedchen spottet, dass nun bald französische Wäsche zum Trocknen an der Siegfried-Leine hängen werde. Jeden Tag fliegen alliierte Bomber über Sigmaringen und legen die Städte der Umgebung in Schutt und Asche: Ulm, Stuttgart, Pforzheim. Aber auch Nürnberg und München.
Trikolore wird eingeholt – und von de Gaulles Leuten wieder aufgezogen
Die meisten Sigmaringer Franzosen machen sich aus dem Staub. Am 21. April 1945 um vier Uhr morgens holen Beamte der Gestapo schließlich auch die Vichy-Beamten aus dem Schloss und bringen sie in dunklen Limousinen außer Landes.
Die Trikolore auf dem Schlossturm wird eingeholt. Und einen Tag später wird sie wieder aufgezogen. Das sind nun die Franzosen, die unter der Führung Charles de Gaulles und mit Unterstützung der Amerikaner Nazi-Deutschland besetzten bzw. die Nazis vertrieben.
Philippe Pétain stellt sich in der Schweiz französischen Grenzbeamten. Er ist inzwischen 89 Jahre alt. In Paris wird er zum Tode verurteilt. Wegen seines hohen Alters wandelt Charles de Gaulle die Strafe aber sofort in eine lebenslange Verbannungsstrafe um, auf der Atlantikinsel Ile D’Yeu. Alle anderen Vichy-Beamten werden in Frankreich wegen Hochverrats exekutiert.
SWR 2019
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4. bis 5.9.1962 | Deutsch-französische Gipfeltreffen – heute eine Selbstverständlichkeit, doch 1962 eine Sensation. Jahrhundertelang hatte kein französisches Staatsoberhaupt Deutschland besucht. Auch Präsident Charles de Gaulle lässt sich nach seinem Amtsantritt drei Jahre Zeit – zu groß sind das Misstrauen und die Befindlichkeiten in weiten Teilen der französischen Bevölkerung. Doch als er dann kommt, im September 1962, nimmt er sich Zeit: Fast eine Woche dauert seine Tour durch die Bundesrepublik. Sieben Städte in sechs Tagen. Entsprechend groß wird das Ereignis gefeiert. Im zweiten Teil des Audios, etwa ab Minute 26, hören wir de Gaulles Rede in deutscher Sprache im Bonner Hofgarten. Doch die Berichterstattung beginnt schon mit seiner Ankunft am Köln-Bonner Flughafen und dem Empfang durch Staatspräsident Heinrich Lübke. Alles live im Radio übertragen und kommentiert.
Wo immer Charles de Gaulle hinkommt, sind die Plätze voll, so auch im Bonner Hofgarten am 5.9., dem ersten Tag nach der Ankunft. De Gaulle spricht Deutsch – und das frei, ohne Notizen.
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22.1.1963 | Live-Reportage von der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle. Der Vertrag bekräftigt die deutsch-französische Partnerschaft und verpflichtet beide Länder, sich in wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits- und Kulturpolitik abzustimmen. Reporter: Georg Stefan Troller (*10.12.1921)
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