Johann Sebastian Bach zählt heute neben Beethoven und Mozart zu den bekanntesten Komponisten weltweit. Seine Musik fasziniert Menschen über alle Sprach- und Landesgrenzen hinweg – und das trotz ihrer Kunstfertigkeit und Komplexität. Was macht Bach so unverwechselbar?
DNA der Musikgeschichte
Johann Sebastian Bach: Neben Beethoven und Mozart zählt er heute zu den bekanntesten klassischen Komponisten weltweit. Und Bach-Forscher behaupten: Seine Stücke seien Teil der DNA der Musikgeschichte.
Sein bekanntestes Werk? Bei Bach ist das schwer zu sagen. Das Weihnachtsoratorium? Oder doch eher das C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier? Die h-Moll-Messe vielleicht? Oder die Goldbergvariationen? Nein, die d-Moll-Toccata für Orgel! Oder doch die Matthäuspassion?
Treffpunkt Klassik mit Bach-Experte Michael Maul
Es ist nicht einfach bei Bach. Fest steht: Bach beackert fast alle musikalischen Gattungen seiner Zeit. Er schreibt Präludien und Fugen, Fantasien und Toccaten, Suiten und Partiten, Konzerte, Motetten und Kantaten, Passionen, Oratorien und Messen – nur Opern nicht. Und das alles mit Techniken, die in der Barockzeit gang und gäbe sind: Imitation und Polyphonie, Generalbass und Kontrapunkt – ganz schön traditionell, dieser Bach!
Bach stammt aus einer Musiker-Dynastie
Und auch Bachs Leben passt in althergebrachte Überlieferungen. Er stammt aus einer Familie, die schon seit Generationen Musiker hervorgebracht hat: Komponisten und Kantoren, Stadtpfeifer und Organisten, Ratsmusiker und Singmeister. Auch sein Vater ist Musiker.
Als Bachs Mutter stirbt – und kurz darauf auch sein Vater –, ist Johann Sebastian knapp zehn Jahre alt. Er verlässt Eisenach, seine Geburtsstadt, und zieht zu seinem Bruder, einem Organisten. In Lüneburg geht er auf eine Klosterschule.
Erste größere Kompositionen entstehen erst, als er etwa fünfzehn ist. Und als Komponist ist er Autodidakt. Er studiert die Werke Anderer und sagt: „Ich habe fleißig sein müssen. Wer eben so fleißig ist, der wird es ebenso weit bringen können.“
Vor allem in Leipzig wird's gesanglich
Mit 18 bekommt er seine erste Anstellung als Organist in Arnstadt. Vier Jahre später wird er Organist in Mühlhausen. Schon mit Mitte zwanzig hat er den Ruf, einer der besten Organisten weit und breit zu sein.
Der Hoforganist von Versailles will sich in einem Wettstreit mit ihm messen. Aber als er Bach hört, ergreift er angeblich die Flucht. Bach macht weiter Karriere und wird Organist am Hof in Weimar. In diesen Jahren entsteht der größte Teil seiner Orgelwerke. Aber Bach ist auch ein hervorragender Geiger.
Also wird er als Kapellmeister nach Köthen berufen und übernimmt danach das Collegium Musicum in Leipzig. So entsteht in dieser Zeit der größte Teil seiner Kammermusikwerke und seiner Konzerte. Und wäre Bach schließlich nicht Thomaskantor in Leipzig geworden: Es gäbe ganz sicher nicht den Großteil seiner Vokalmusik.
Moderne und Tradition vereint
Das alles aber würde Bach noch lange nicht zu einem außergewöhnlichen Komponisten machen. Traditionell ist sein Lebensweg, und zeittypisch ist die Fülle an Werken: in all ihrer Unterschiedlichkeit und Funktionsgebundenheit. Was aber macht Bach so unverwechselbar?
Über 30.000 Bücher sind bislang über ihn geschrieben worden, alle auf der Suche nach dem Geheimnis seiner Musik. Was Bach auszeichnet vor all den Zeitgenossen: Sein künstlerischer Einfallsreichtum im Konstruieren musikalischer Formen; seine Tiefsinnigkeit beim Vertonen religiöser Texte; sein unbedingter Wille, anspruchsvolle und modernste Musik zu schreiben.
Was er von seinen Vorgängern vorfindet, entwickelt Bach weiter, steigert es in seinem Formen- und Ausdrucksreichtum. Mit seiner Lust an der Innovation führt Bach die Tradition – über alles Zeitgenössische hinaus – zu neuen Höhen!
Nur 10 Prozent überliefert
B-A-C-H: allein sein Name ist Musik. Rund eintausend Werke sind von Bach überliefert. Die Bach-Forschung aber geht davon aus, dass das nur ein Zehntel seines Gesamtschaffens gewesen sein muss. 90 Prozent seiner Kompositionen sind uns bislang also noch unbekannt! Wie konnte Bach da noch Zeit bleiben fürs eigene Musizieren? Und Zeit für seine Familie? Von seinen 20 Kindern aus zwei Ehen erreichen immerhin 10 Kinder das Erwachsenenalter.
Bach musiziert und unterrichtet, er komponiert und probt. Und in den letzten 27 Jahren seines Lebens, als Leipziger Thomaskantor, bringt er nahezu jeden Sonntag eine Kantate zur Aufführung. Ein Leben wie im Rausch. Das Leben eines Workaholics? 1750, mit 65 Jahren, stirbt Bach: erblindet und entkräftet, vermutlich an Diabetes und einem Schlaganfall.
Renaissance seit dem 19. Jahrhundert
Und man vergisst ihn schnell nach seinem Tod. Es ist die Zeit der Vorklassik, des „Sturm und Drang“: Eine Aufbruch-Stimmung sondergleichen. Die Kritiker meinen, Bachs Musik würde „die Annehmlichkeit“ fehlen. Er würde seinen Stücken „durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entziehen und ihre Schönheit durch allzu große Kunst verdunkeln“.
Nach ihrer Renaissance im 19. Jahrhundert zählt Bachs Musik heute wieder zur allergrößten. Sie fasziniert Menschen über alle Sprach- und Landesgrenzen hinweg – und das trotz ihrer Kunstfertigkeit und Komplexität! Und nicht nur Bach-Chöre in aller Welt jauchzen und frohlocken und preisen Bach. Er ist längst – wie seine Musik – ein universelles Phänomen geworden.
Porträt „Bach-bekloppt“: Der Bach-Forscher und Bach-Vermittler Michael Maul
Michael Maul bezeichnet sich selbst als „Bach-bekloppt“. Und er ist tatsächlich einer der prominentesten Experten, was Leben und Werk von Johann Sebastian Bach betrifft. Im Rampenlicht steht er als Musikwissenschaftler, Buchautor und vor allem als medienwirksamer Intendant des Bachfestes Leipzig. Claus Fischer zeichnet ein Porträt von Michael Maul.
Musikgespräch „Apotheose des Cello-Repertoires“: Manuel Fischer-Dieskau über Bachs Cello-Suiten
Für eine Videoproduktion hat der Cellist Manuel Fischer-Dieskau die Bach-Sonaten aufgenommen. Er spielt auf einem Violoncello Piccolo, das eine zusätzliche Saite besitzt.
Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd Bach rekonstruiert: Das Barockensemble Il Gardellino mit dem Passionsoratorium
Der Cembalist, Dirigent und Bachforscher Alexander Grychtolik präsentiert mit dem belgischen Orchester Il Gardellino ein Passionsoratorium, das Bach 1725 plante und wahrscheinlich nie zur vollständigen Aufführung brachte. Teile davon sind allerdings in seiner Matthäuspassion erhalten, die nur wenige Jahre später entstand. In einer Rekonstruktion und Ergänzung zu einem vollständigen Werk versucht Alexander Grychtolik nachzuvollziehen, wie das vollständige Passionsoratorium geklungen haben könnte. Im Unterschied zu den bekannten Bach-Passionen steht hier die menschliche Anteilnahme am Leiden Jesu im Mittelpunkt.
Miriam Feuersinger, Sopran (Zion)
Jana Pieters, Sopran (Maria)
William Shelton, Alt (Seele)
Daniel Johannsen, Tenor (Evangelist)
Jonathan Sells, Bass (Petrus)
Tiemo Wang, Bass (Jesus)
Barockensemble Il Gardellino
Leitung: Alexander Grychtolik
Johann Sebastian Bach:
Passionsoratorium BWV Anh. 169, als Fragment rekonstruiert und vervollständigt von Alexander Grychtolik
(Konzert vom 5. August 2023 in der Augustinuskirche Schwäbisch Gmünd)