Donaueschinger Musiktage 2012 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2012: "durchbrochene Arbeit"

Stand
Autor/in
Arnulf Herrmann

Der Begriff durchbrochene Arbeit bezeichnet ursprünglich die architektonische Besonderheit der Gotik, massive Bauwerke in feingliedrige Gewebe aufzulösen. Ganz ähnlich wird mit ihm in der Musik die Aufspaltung und Verteilung eines Themas oder Motivs auf verschiedene Instrumente oder Gruppen beschrieben.

Eines meiner Ziele war es, das Orchester in ein äußerst transparentes, kaleidoskopartiges Gefüge ständig wechselnder Bezüge zu verwandeln. So erfolgt z.B. die Aufteilung der Motive auf die verschiedenen Instrumente manchmal im Widerspruch zur inneren Bauweise der Phrasen. Diese wirken in der Folge dadurch seltsam irrationalisiert; einfache Melodie/Begleitungsverhältnisse werden plötzlich mehrschichtig. An anderer Stelle wird ein einzelner Akkord im schnellen Tempo einhundertvierundvierzig Mal sanft oszillierend durch verschiedene Gruppen des Orchesters gejagt: Die völlige Atomisierung – eine Extremform der durchbrochenen Arbeit – überführt das gesamte Orchester dabei in die Funktionalität eines einzigen Instruments. Ganz beiläufig werden so außerdem sämtliche Hierarchien des Apparates aufgehoben.

Jenseits solcher kompositionstechnischen Bezüge transportiert der Begriff durchbrochene Arbeit natürlich auch die Idee des Durchbrechens im buchstäblichen Sinn: etwas bricht durch, bricht sich Bahn. Dies beschreibt ebenfalls einen wichtigen Aspekt des Stückes. Entgegengesetzte Zustände wie die Aufspaltung des Orchesters in klar voneinander getrennte Gruppen, eher kammermusikalische Texturen oder die völlige Parallelführung aller Instrumente bestimmen den Verlauf. Die kammermusikalische Transparenz verdichtet sich zu heftigen Tutti-Blöcken, in denen das Orchester schließlich in Bläser- und Streichergruppe auseinanderreißt.

Die Orchesterbesetzung ist klein, an der Grenze zum Kammerorchester. Die Idee war, insgesamt von einem eher zurückgenommenen, transparenten Klang auszugehen, der das Orchester mit den Möglichkeiten des solistischen Ensemblespiels verbindet.

Stand
Autor/in
Arnulf Herrmann