Roberto Saviano ist einer der berühmtesten Autoren Italiens. Bekannt wurde er mit seinen Büchern über die italienische Mafia. Zuletzt machte Saviano Schlagzeilen, als er Kritik an der Regierung von Giorgia Meloni übte. Auf der Frankfurter Buchmesse war Saviano nicht Teil der offiziellen Delegation. Er kam dennoch auf Einladung seines deutschen Verlages, war auf der Buchmesse präsent und hat mit SWR Kultur gesprochen.
SWR Kultur: Welche Eigenschaft, welche Charakteristik der Regierung Giorgia Meloni ist aus Ihrer Sicht die größte Gefahr für die italienische Demokratie?
Roberto Saviano: Viele Dinge. Es ist so, dass diese Regierung systematisch Leute angreift und attackiert und es so unmöglich macht, noch frei zu sprechen. Die Situation entwickelt sich hin zu einer autoritären Verwaltung innerhalb eines demokratischen Staates. Das Sicherheitspaket, das die Regierung ausprobiert hat, erschwert es beispielsweise zu protestieren und verhindert, dass man frei sprechen kann. Was die Intellektuellen betrifft, hat Meloni mich zum Beispiel vor Gericht gestellt. Da zeigt sich ein systematischer Angriff auf Intellektuelle, die sich exponieren, indem sie Stellung beziehen. Das versetzt die italienische Demokratie in Alarmbereitschaft.
SWR Kultur: Sie haben auf der Buchmesse gesagt, dass sich die Deutschen auch für die Schattenseiten Italiens interessieren. Interessieren sie sich denn auch für die Schattenseiten Melonis?
Roberto Saviano: Die Deutschen müssen sehr aufmerksam die italienische Situation beobachten. Denn es kann durchaus sein, dass die Zukunft Deutschlands so wird wie die Gegenwart in Italien. Und die Deutschen müssen sehr aufpassen, dass sie nicht in diese Richtung gehen. Europa unterschätzt die Regierung Meloni. Sie halten sie für eine einfache konservative Regierung. Dabei ist es eine rechtsextreme Regierung, die die Institutionen manipuliert. Europa muss also aufpassen, dass das nicht zu anderen herüber schwappt. Im Moment hat Europa noch eine Zukunft, denn Italien zeigt, wozu die extreme Rechte fähig ist.
Italien streicht Mafia-Experten Roberto Saviano aus der Buchmesse-Delegation
SWR Kultur: Die italienische Kultur und vor allem die italienische Literatur hat nach 1945 eine klare antifaschistische Tradition. Wie gefährdet ist diese Tradition?
Roberto Saviano: Sie ist sehr in Gefahr. Denn die Strategie dieser Regierung ist es, nicht den Faschismus in seiner Gesamtheit neu zu bewerten. Sie will antifaschistisch sein. Und antifaschistisch zu sein bedeutet, bestimmte Elemente aus der faschistischen Erfahrung zurückgewinnen zu können, ohne der Komplizenschaft bezichtigt zu werden. Sie nehmen einige Elemente des Faschismus und führen diese in die jetzige Gesellschaft, aber eben, ohne dass es dabei auffällt, dass sie faschistisch sind.
SWR Kultur: Der Jurist und Mafiajäger Giovanni Falcone wurde 1992 ermordet. Das war eine Zeit großer politischer Umwälzungen in Italien, und 1994 war dann Silvio Berlusconi an der Macht. Hat damals etwas begonnen, dessen Ergebnis wir heute erleben?
Roberto Saviano: Falcone hat die Welt verändert und das ist keine Übertreibung. Denn wenn heute irgendwo in der Welt Strukturen von organisierter Kriminalität bekämpft werden, dann nach seiner Methode. Nur leider haben seine Methode und seine demokratische Strenge auch in der Justiz heute in Italien nicht sehr viele Erben.
SWR Kultur: Danke für ihre Zeit!
Roberto Saviano: Ich danke Ihnen!
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