Fest der Vielfalt und Debatte?

Jedem seine Lieblingsblase - Die Frankfurter Buchmesse als Ort der Selbstbestätigung

Stand
Autor/in
Carsten Otte
SWR Kultur Literaturkritiker Carsten Otte

Angesichts der aktuellen Kriege und gesellschaftlichen Konflikte wirkt die Frankfurter Buchmesse 2004 erstaunlich debattenarm. Das Publikum sucht und findet Bereiche zum Wohlfühlen und Entspannen. Mit Meinungsvielfalt und kritischem Diskurs hat dieses Messekonzept wenig zu tun.

Relax-Zonen für ein sichtlich erschöpftes Publikum

Wenn es stimmt, dass die Frankfurter Buchmesse ein Spiegel oder gar Stimmungsbarometer der Gesellschaft sei, stellt sich beim Rundgang durch die Messehallen, nach dem Besuch diverser Podien und Partys, das unheimliche Gefühl ein, in eine Parallelwelt geraten zu sein – oder genauer formuliert: von einer Blase zu nächsten zu wechseln. Seltsam erschöpft wirkt das Publikum, müde von den Debatten, die anderswo erbittert geführt werden.

Besonders deutlich wird das in der Halle, die dem Genre „New Adult“ gewidmet ist, dem einzigen Buch-Segment, das derzeit steigenden Umsatz vermeldet.

Ritter, Vampire, Drachen, zaubernde Elfen und mysteriöse Schurken treten in den blutrünstigen und bestimmt nervenzehrenden Liebesgeschichten auf; dementsprechend groß sind im „Romantasy“-Areal die Entspannungszonen. Das wichtigste Wort in der New-Adult-Halle lautet: „Relax“! Diese offensichtliche Weltflucht ist fast schon sympathisch angesichts der Verlogenheit, die in anderen Messe-Monaden gepflegt wird.

Ein imperialistisches Narrativ, das nicht weiter auffällt

In der Asien-Halle überragt China alles. Die autoritäre Weltmacht hat den modernsten, vermutlich größten Stand der Messe aufgebaut. Direkt neben dem chinesischen Pavillon wird stolz der Neuzugang im Reich der Mitte zelebriert: „Hong Kong – Our Narrative“ steht da in leuchtenden Lettern geschrieben. Imperialismus wirkt hier wie ein normaler Vorgang.

Auf der Buchmesse ist dieser Auftritt keine grundsätzliche Debatte wert. Die deutschen Journalisten verlassen ihre Wohlfühlzone zwischen Suhrkamp und Hanser-Verlag, S. Fischer und Diogenes eher selten. Alle sind froh, dass in diesem Jahr keine rechtsradikalen Verlage wie Antaios anwesend sind.

Wie aber ist dieser Rückzug einzuschätzen? Hat die Vernunft gesiegt? Oder brauchen die Extremisten die Messe nicht mehr als Ort kulturpolitischer Symbolpolitik und haben sich in ihre leider wachsenden Parallelwelten zurückgezogen, um neue Angriffe auf die Demokratie vorzubereiten?

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Meinungsvielfalt als Phrase

Die Mehrheit der politischen Mitte wirkt indes paralysiert. Die auf der Messe in allerlei Reden stets beschworene Meinungsvielfalt findet oft nur im eng begrenzten Diskurskorridor statt, in dem sich Gleichgesinnte die immergleichen Phrasen vorbeten.

Das ist vor allem bei Veranstaltungen zum Nahostkonflikt auffällig. Da gehört es zum guten Ton, Israel mit den üblichen Schlagworten zu dämonisieren. Wenig ist so erschreckend wie ein kurzer Medien-Check nach eine paar Messestunden. Draußen in der Welt gibt es noch die schrecklichen Konflikte und schmerzenden Kontroversen.

Die Buchmesse ist längst kein Spiegel der Verhältnisse mehr, kein Platz für den Austausch wirklich antagonistischer Positionen. Die Frankfurter Buchmesse 2024 ist ein Ort der Selbstbestätigung, in dem alle eine passende Lieblingsblase suchen – und finden.

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