Die dunkle Seite der digitalen Liebe. Martina Hefter gewinnt mit ihrem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ den Deutschen Buchpreis.
In schlaflosen Nächten chattet Juno mit Love-Scammern
Wenn Juno nicht tanzt, hilft sie ihrem schwerkranken Mann, den Alltag zu bewältigen. Jupiter sitzt im Rollstuhl und kann sich kaum noch bewegen. Nachts ist die schlaflose Künstlerin stundenlang im Internet unterwegs. Oft chattet sie mit Love-Scammern, also mit Leuten, die Liebe vorspielen, aber doch nur an das Geld ihrer Opfer denken. Die Ansprache der oft in Afrika lebenden Betrüger, die einsamen Herzen im reichen Westen hinterherjagen, ist weder variantenreich noch originell.
Die schlaue, manchmal überhebliche Juno spielt mit den Kriminellen, auch wenn sie sich durchaus nach den Liebesgeschichten sehnt, die ihr phrasenreich angeboten werden. Nachdem sie mal wieder einen Fake-Account enttarnt hat, lernt sie den Menschen hinter dem Decknamen kennen.
Benu ist anders, durchschaut nicht nur die Sehnsüchte der Erzählerin, sondern auch die eigenen Lebenslügen. Es kommt zu einer Annährung auf Distanz, die zum Nachdenken über alte und neue Formen des Kolonialismus führt.
Literatur Martina Hefter erhält Deutschen Buchpreis 2024 für „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“
Martina Hefter erhält für den Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ den Deutschen Buchpreis 2024. Hefters Roman übe eine ganz eigene Anziehungskraft aus, so die Jury.
In einer Nacht durchgelesen
„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ ist Literatur, die im wahrsten Sinne des Wortes vom Herumirren im Internet abhält. Das Buch lässt sich flugs in einer Nacht durchlesen. Allein deshalb verdient es jede Auszeichnung.
Der Deutsche Buchpreis für Martina Hefter ist zudem ein großer Erfolg für den Stuttgarter Klett-Cotta Verlag, der unter der Leitung von Tom Kraushaar seit Jahren viel Zeit, Energie und Geld in die Stärkung seiner Belletristik-Sparte steckt. In diesem Jahr stand Klett-Cotta sogar mit zwei Titeln auf der Shortlist.
Gelungene Online-Dialoge
Die Buchpreis-Jury hat sich für einen Text entschieden, der weder inhaltlich noch formal allzu sehr herausfordert, verwundert oder gar verstört. Hefters Buch bietet eine flotte Dialogvariante der seit Jahren beliebten Autofiktion. Die Tonlage changiert gekonnt zwischen ernst und komisch. Autorin und Protagonistin wissen, was eine gute Performance ist.
Martina Hefter hat an dem Text „nur etwas länger als ein Jahr gearbeitet“, heißt es im Nachklapp. Diese marktkonforme Effizienz unter Literaten ist fast schon unheimlich.
Das Thema, das journalistisch oft bearbeitet wurde, lässt sich leicht vermitteln, ist in der deutschsprachigen Literatur aber ein Novum. Tatsächlich bieten die gelungenen Online-Gespräche zwischen dem Love-Scammer und der Nachtschwärmerin das literarische Kunststück, die Smileys und anderen Emoticons in Sprache zurückzuübersetzen.
Die Buchkritik von Wolfgang Schneider
Buchhandel und Publikum werden begeistert sein
„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ ist ein Internet-Roman für fast alle. Damit entspricht die Auswahl passgenau den Kriterien für den Deutschen Buchpreis, der ins Leben gerufen wurde, um „über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autorinnen und Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch“.
Handel und Publikum werden über diese Entscheidung begeistert sein. Es wäre wohl schwieriger gewesen, das sprachexperimentelle, tausendseitige Karl-May-Kriege-und-Kino-Werk „Die Projektoren“ von Clemens Meyer dementsprechend zu bewerben – wobei das Buch gewiss zu den Favoriten auf der Shortlist gehörte.
Eine spannende Zusammenstellung Die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2024: Verspielt, wild, politisch
Die Jury des Deutschen Buchpreises bleibt sich treu und setzt auf Überraschungen, eine durchaus spannende Zusammenstellung – die die Versäumnisse bei der Auswahl der Longlist nicht wettmacht.
In politischer Hinsicht verpasste Chance
Die Jury hätte auch die Chance gehabt, Ronya Othmanns Meilenstein des dokumentarischen Erzählens, nämlich ihren herausragenden Roman „Vierundsiebzig“ über die Völkermorde an den Jesiden auszuzeichnen. Das wäre nicht nur in literarischer, sondern auch in politischer Hinsicht mutiger gewesen. Doch das erschütternde Prosawerk, das sich nicht zuletzt mit den Grenzen der Sprache befasst, hat auch ohne Buchpreis bereits Literaturgeschichte geschrieben.
Einmalig aber war auch die Vergabe des Buchpreises an Martina Hefter, die nach Frankfurt mit dem Mann an ihrer Seite angereist war, der sich nur im Rollstuhl fortbewegen kann. So wirkte die Preisverleihung wie die Fortsetzung des ausgezeichneten Romans in die Realwelt.
Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 Wenig Überraschung bei den Verlagen, dafür bei den nominierten Titeln
Zum 20-jährigen Jubiläum des Deutschen Buchpreises wählte die Jury diese Romane auf die Longlist. Unter den Nominierten sind bekannte Namen wie Nora Bossong und Michael Köhlmeier.
Gespräch Deutscher Buchpreis 2024 | Martina Hefter: „Ich möchte etwas weitergeben“
Man hat ihr die Überraschung angesehen: der Autorin Martina Hefter bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises für den besten Roman des Jahres.
Kristine Harthauer im Gespräch mit Martina Hefter
Buchkritik Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Tagsüber hilft die Tänzerin Juno ihrem schwerkranken Partner, in den Nächten chattet sie mit einem Love-Scammer aus Nigeria. Martina Hefter erzählt eine Dreiecksgeschichte ganz neuer Art, in der es nicht nur viel um Tanz geht, sondern die bei aller existentiellen Schwere selbst ein leichtfüßiger Tanz mit vielen Themen und Motiven ist.
Rezension von Wolfgang Schneider
Deutscher Buchpreis 2024 –Die anderen Bücher der Shortlist
Buchkritik Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner
Ein junger Schäfer, eine urdeutsche Landschaft und Gespenster, die aus der Vergangenheit auftauchen. Markus Thielemanns Roman „Von Norden rollt ein Donner“ steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und überzeugt durch seine Atmosphäre.
Rezension von Christoph Schröder
Buchkritik Clemens Meyer – Die Projektoren
„Die Projektoren“ erzählt – auf über 1.000 Seiten – von Krieg, Gewalt und Verrohung, von alten und neuen Nazis, von Utopien, Hoffnungen und Phantasien, alles miteinander verbunden durch das Kino und die Verfilmungen der Romane von Karl May.
Rezension von Niels Beintker