Buchkritik

James Baldwin – Ich weiß, wovon ich spreche

Stand
Autor/in
Ulrich Rüdenauer

Einer der bedeutenden Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, dessen Wirkung im 21. Jahrhundert sogar noch größer sein dürfte: In dem Band „Ich weiß, wovon ich spreche“, das sieben zwischen 1961 bis 1984 entstandene Gespräche enthält, kann man James Baldwin in eigenen Worten kennenlernen.

Die Wiederentdeckung des 1987 gestorbenen Autors James Baldwin in den letzten Jahren ist ein erstaunliches Phänomen. Der Romancier und Essayist wird vor allem von einer jüngeren Generation gelesen.

Seine Rolle in der Bürgerrechtsbewegung und sein mutiges Auftreten als Schriftsteller machen ihn nicht nur zur Ikone der Black-Lives-Matter-Bewegung, sondern weltweit zu einer Stimme gegen Rassismus. Spricht man mit jüngeren Autor:innen, dann wird das sehr deutlich. Rowan Ricardo Phillips, Lyriker, Übersetzer und Präsident des New York Institute for Humanities, fasste das im Interview kürzlich so zusammen: 

Wenn man an die 70er und frühen 80er Jahre denkt, (...) bin ich mir nicht sicher, ob seine Botschaft und seine Präsenz so sehr durchgesickert sind wie jetzt, wo er im Grunde das Zentrum darstellt, wenn wir an Studien über schwarzes Bewusstsein oder sogar an Schriften über die schwarze Diaspora denken. Baldwin steht dabei im Mittelpunkt. Ungeheuerlich. (...) Baldwin wurde uns in der Schule als Romancier nahegebracht, weniger als Aktivist. Ich denke, das hat sich jetzt völlig geändert, denn Baldwin ist in erster Linie ein Aktivist.] 

Schwarze und Weiße sind aneinander gebunden 

 Seinem Denken, seiner Präsenz als public intellectual, seiner Emphase und Empathie kommt man in seinen Essays nahe – und nicht zuletzt auch in den zahlreichen Gesprächen, die er zu Lebzeiten vor der Kamera oder auf dem Papier geführt hat. Einige davon versammelt nun der Band „Ich weiß, wovon ich spreche“ aus Anlass seines 100. Geburtstages am 2. August. 

Als Schwarzer in diesem Land – und das hat Ralph Ellison sehr treffend formuliert – wirst du eigentlich nie gesehen. Was weiße Leute sehen, wenn sie dich anschauen, ist nicht sichtbar. Was sie sehen, wenn sie dich anschauen, sind ihre Zuschreibungen. Und das sind Qual und Schmerz, Gefahr, Lust und Pein. Sie wissen schon, Sünde, Tod und Hölle – davor fürchtet sich jeder in diesem Land.

Die Gespräche drehen sich um dieses Nicht-gesehen-Werden. Sie drehen sich um die Entwicklung schwarzen Bewusstseins, um die Identität als Amerikaner, um das unverbrüchliche Aneinandergebundensein von Schwarzen und Weißen, um die eigene Rolle als Wortführer, um eine Revolution, die das ganze Land verändern sollte, die Unterdrücker sogar noch stärker als ihre Opfer. Befreit werden müssten, laut Baldwin, nicht die Afroamerikaner, sondern die Weißen selbst. 

Wütende Unbedingtheit 

Von den Schrecken, die sie plagen, von ihrer Unwissenheit, von ihren Vorurteilen und vor allen Dingen von dem Recht, Unrecht zu tun, auch wenn man weiß, dass es Unrecht ist. Die Weißen in den Südstaaten sind, glaube ich, die ärgsten Opfer und die traurigsten Geschöpfe auf der ganzen Welt. Sie wissen, dass es unrecht ist, sie wissen, dass man nicht einen Hund auf ein Kind hetzen oder einen Wasserstrahl auf ein Kind richten kann, ohne sich bewusst zu sein, dass man etwas Unrechtes tut.

 Das Großartige an diesen Gesprächen – ob mit Margaret Mead oder Audre Lorde, mit Nikki Giovanni oder Fritz J. Raddatz – ist die äußerst sorgfältige Auseinandersetzung mit Argumenten, Geschichte und Vorurteilen. Man kann den Sprechenden bei ihrer sorgsamen, tastenden Suche nach Wahrheiten und Erkenntnissen förmlich zuhören, aber auch die wütende Unbedingtheit im Reden spüren.

Baldwin ist ein mitreißender, genauer, immer wieder seine Punkte deutlich und prägnant hervorhebender Intellektueller, der sich selbst gerade in den Diskussionen mit jüngeren Vertretern des Schwarzen Kampfes hinterfragt oder um Verständnis für eigene Positionen wirbt. Die Interviews decken gründlich das öffentliche, gesellschaftliche Engagement Baldwins ab.

Der Schriftsteller, der Künstler, der sich davon nicht trennen lässt, kommt lediglich am Rande vor. Wer ein komplettes Bild dieses Lebens erhalten will, sollte etwa auf die neue Biographie von René Aguigah zurückgreifen – und neben den Essays und Gesprächen Baldwins auch dessen Romane lesen. 

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Ulrich Rüdenauer