Dorothy Parker hatte ihre Augen und Ohren überall, auf den New Yorker Straßen, in den Salons, den Theatern, den Kinos und überall dort, wo frisch emanzipierte Frauen, wie sie selbst, ihr neues Selbstbewusstsein ausprobierten. Was sie beobachtete, wurde zum Stoff für ihre Gedichte, gesammelt unter dem Titel „Unbezwungen“.
Dorothy Parker ließ nur selten eine Rechnung offen. Und da sie sich schon mit siebzehn als Dichterin einen Namen gemacht hatte, zahlte sie vornehmlich mit Worten, am liebsten pointiert, witzig und gerne ätzend. Kaum hatte ihre erste Ehe mit einem Börsenmakler genügend Risse bekommen, brachte sie ihre Verachtung für das Geld und seine Besitzer in lustigen Versen zum Ausdruck.
Chronistin des Jazz Age
Dorothy Parker brachte den Zeitgeist der Zwanziger Jahre mit all seinem Glanz auf den Punkt und markierte zugleich mit spitzer Feder seine komischen und bitteren Seiten. Ihre verstreut in Zeitschriften veröffentlichten Gedichte, die nun unter dem Titel „Unbezwungen“ in einem Band versammelt sind, stammen aus den Jahren 1916 bis 1938.
Dem meist spöttischen Blick der Schriftstellerin entging kaum etwas, gleich, ob es sich um Alltagsgeschwätz, Kulturfehden, den Lifestyle der Reichen und Eingebildeten oder den neuen kessen Frauentyp der Flapper mit Bubikopf und kurzen Röcken handelte.
Obwohl nicht alle über ihre Witze lachen konnten, wurde Parkers Ruhm mit dem Superlativ „die geistreichste Frau Amerikas“ gekrönt. Allerdings spielte ihr Humor oft ins Tiefschwarze hinein, genauso wie ihre Melancholie sich mehr als einmal zu Selbstmordversuchen steigerte. Ihr Liebesleben war bewegt und stürzte sie oft genug in einen Tumult aus Glück und Unglück. Das schärfte ihr Gespür für Liebesqualen jeder Art.
Ulrich Blumenbachs Übersetzung ist eine Gratwanderung. Es ist bestimmt richtig, dass er die Reimformen erhalten hat, die für Tonlagen und Rhythmus entscheidend sind. Für diese schwierige Aufgabe hat er oft gute Lösungen gefunden, nicht selten aber knirscht es im Klangbild und im Bedeutungsgefüge recht vernehmlich. Doch da die Gedichte zweisprachig abgedruckt sind, lässt sich das verschmerzen.
Abrechnung mit allem und jedem
Das ganze Spektrum von Parkers Lust an satirischen Abkanzelungen ist in ihren explizit so genannten „Hassversen“ zu bewundern. Da bleibt nichts und niemand verschont, egal ob es sich um Frauen, junge Männer, schlaue Bücher, Partys oder Ferienparadiese handelt.
Es ist erstaunlich und amüsant, wie viele Parallelen zwischen den rasanten Modernisierungen von damals und heute in diesen Gedichten sichtbar werden. Parkers Daseinsgefühl mit all seiner Überreiztheit und Verletzlichkeit lässt sich auch aus gegenwärtiger Sicht sehr gut nachempfinden.
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