Wer sein kreatives Potenzial erkundet, erfährt viel über sich selbst, kann Sprachlosigkeit und Isolation überwinden und neue Wege entdcken.Viele Justizvollzugsanstalten nutzen die heilende Wirkung künstlerischer Tätigkeit als zentralen Bestandteil des Strafvollzugs für Häftlinge.
Kunst kann etwas schaffen, das Therapeutinnen und Therapeuten zum Teil in jahrelanger Arbeit nicht erreichen: Das Gestalten von Bildern oder anderen künstlerischen Tätigkeiten hat eine heilende Wirkung.
Sie ermöglichen uns einen Zugang zu unseren inneren Welten. Besonders bei Inhaftierten kann das Wunder bewirken: Es kann sie aus der Isolation holen, neue Wege eröffnen, die Sprachlosigkeit brechen. Durch Kunst kann ein Austausch gestartet werden, der das gegenseitige Verständnis fördert und Menschen dazu bewegt, sich zu öffnen.
Kunst als fester Bestandteil des Strafvollzugs
Frust aushalten, geduldig sein – für viele der Inhaftierten in Justizvollzugsanstalten alles andere als selbstverständlich. Der Weg über die Kunst kann da der Schlüssel sein, Menschen zum Reden zu bringen und ihnen auch ungeahnte Seiten an sich selbst aufzuzeigen. All das kann sich positiv auf den Resozialisierungsprozess auswirken.
Selbstwahrnehmungstraining in der JVA Ludwigshafen
In der Justizvollzugsanstalt in Ludwigshafen spielt die Kunsttherapie seit Jahren eine wichtige Rolle. Immer wieder geht man hier auch an die Öffentlichkeit, um zu zeigen, warum die künstlerische Arbeit mit Strafgefangenen so wichtig ist und welche Möglichkeiten sie mit sich bringt.
Das letzte größere Projekt war ein Workshop mit Kurator Konstantin Adamopoulo. „Manchmal kommt man nur mit Worten nicht mehr weiter“, sagt JVA-Leiter Michael Händel im SWR Interview.
Bei dem Projekt ging es darum, das Selbstwertgefühl zu stärken und das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Das erhöhe die Chancen auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Das Land Rheinland-Pfalz fördert solche Projekte in Gefängnissen.
Es fehlen Ehrenamtliche
Auch aktuell laufe wieder ein Malkurs, der von den Inhaftierten gut angenommen werde. Man könne sich viel mehr solcher Projekte vorstellen, so JVA-Leiter Händel – aber es fehle an Ehrenamtlichen, die sich vorstellen können, solche Kurse in den Gefängnissen anzubieten.
Theaterprojekt für mehr Lebensmotivation
Was geschieht, wenn man Öffentlichkeit und Kunst in Räume bringt, in denen sie sonst kaum existiert? Dieser Frage geht das Theater Konstanz seit mehreren Jahren mit dem Projekt „Theater hinter Gittern“ nach.
Aktuell finden Theater-Workshops in fünf Strafvollzugseinrichtungen in Baden-Württemberg statt. Die Formate reichen von Workshops in internen Schulen bis zu langfristigen Projekten mit einer abschließenden Aufführung am Ende. „Perspektiven“ heißt das Stück, das in der JVA Ravensburg mit den Gefangenen einstudiert wurde, als fester Bestandteil ihres schulischen Alltags – die sieben Schauspieler wollen im Gefängnis ihren Hauptschulabschluss machen.
Die im Theaterprojekt erworbenen Fähigkeiten wie das freie Sprechen, das sichere Auftreten und auch die klare Sprache sind nicht nur im schulischen Kontext von Vorteil. Das Stück handelt vom Leben, von Irrwegen und Schicksalsschlägen, die das Leben und die Berufswahl beeinflussen.
Kunstausstellungen der JVA Zweibrücken
Auch die Justizvollzugsanstalt in Zweibrücken macht immer wieder mit Kulturprojekten auf sich aufmerksam. In der JVA können sich Häftlinge in unterschiedlichen Felder künstlerisch ausdrücken.
Theater, Musik, Fotografie oder Malerei – wichtiger Bestandteil dabei auch die Arbeit mit mehr als 100 weiblichen Häftlingen. Bei „Kunstnachmittagen“ können Besucherinnen und Besucher die Kunst aus dem Gefängnis anschauen und so auch mehr über die Probleme der Menschen hinter den Gitterstäben erfahren.
Wie kommt man überhaupt in so eine Situation, welche Lebens- und Leidenswege stecken hinter den Nummern auf den Gefangenenakten? Solche Angebote für die Häftlinge habe mit dem Arbeitsauftrag der Gefängnisse zu tun, so der Leiter der JVA Zweibrücken, Jürgen Buchholz. Die Menschen in Haft sollen sich mit den Ursachen auseinandersetzen, die sie um ihre Freiheit gebracht haben. Ein Kunstangebot gehöre mit dazu.
Bessere Chancen für jugendliche Straftäter
Genauso sieht es auch Katja Fritsche, sie leitet die zweitgrößte Jugendstrafvollzugsanstalt in Deutschland, die JVA Adelsheim (Neckar-Odenwald-Kreis). Die Notwendigkeit von „Kunst im Knast“ resultiere aus dem Erziehungsziel, das sich das Land Baden-Württemberg im Justizvollzugsgesetzbuch gesetzt hat.
Die Erziehung zu einem straffreien Leben, aber auch dazu, ein gleichwertiger und in allen Bereichen befähigter Teil der Gesellschaft zu sein. Das bedeutet neben dem Erwerbsleben auch die Teilhabe am sozialen Leben, zu dem auch Kunst und Kultur gehören.
Damit sei es Pflicht des Jugendstrafvollzugs, auch sogenannte bildungsferne Gesellschaftsebenen, denen ein Großteil der Inhaftierten entstammt, daran teilhaben zu lassen.
Positive Rückmeldungen aus der Gesellschaft
Die künstlerische Arbeit mit den Jugendlichen sei aber keinesfalls einfach. Viele hätten vorher nie ein Instrument gespielt oder im Theater gesessen. Außerdem sei die Angst zu versagen groß.
Gleichzeitig böte die künstlerische Arbeit die Möglichkeit, positive Rückmeldung zu erfahren, die die Jugendlichen bis zu ihrer Inhaftierung in der Gesellschaft nicht erlebt haben, so Katja Fritsche. Zudem lockere die Kunst die sehr starren Abläufe hinter Gittern auf.
Über die vergangenen Jahrzehnte entstanden hier Kooperationen mit dem Landesjugendorchester, dem Theater Konstanz oder dem Stuttgarter Kammerorchester. Die JVA-Leiterin ist überzeugt: Auftritte und Ausstellungen, die am Ende solcher Ausstellungen stehen, sind Momente, die für immer bleiben und unzählige negative Erfahrungen, die alle Inhaftierte in ihren krisenhaften Leben machen, überlagern.
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