Interventionen 2024

Eine audiovisuelle Reise in Stuttgarts verborgene Unterwelt

Stand
Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt
Onlinefassung
Dominic Konrad

Es ist wie eine Expedition an einen verwunschenen Ort: Die Freie Szene Stuttgart öffnet für ihr Programm „Interventionen 2024“ den denkmalgeschützten Wasserspeicher im Osten der Stadt. Auf knapp 6.000 qm in unterirdischen Hallen können Besucher*innen hier Klangerlebnisse, Performances und Installationen erleben, die den Horizont erweitern.

Kunst in der Stuttgarter Unterwelt

Es fühlt sich an wie eine Expedition ins Unbekannte: Mit einer kleinen Gruppe geht es schmale Stufen hinunter – sozusagen in die Stuttgarter Unterwelt.

Unglaubliche 6.000 qm Säulenhallen verbergen sich hier unter dem dicht bebauten Stuttgarter Osten. Der erste Saal empfängt uns in fast vollständiger Dunkelheit. Der Boden ist feucht, immer wieder tritt man in flache Pfützen – schon unsere leisen, unsicheren Schritte lösen ein Echo aus, das erahnen lässt, wie wenig man von den denkmalgeschützen Hallen in spärlichem Licht erahnen kann. Eine Gänsehaut legt sich schon bei den ersten Klängen der Performance auf meine Haut.

Entfernte, fremde Laute – man irrt ein bisschen durch den Raum – ab und zu signalisieren unsere Guides in der Dunkelheit: Hier geht es nicht weiter. Ich entdecke einen alten Kontrabass, der plötzlich in einem Lichtkegel aufgetaucht ist – die einzelnen Töne, die der Spieler dem Instrument entlockt, hallen 17 Sekunden nach – auf der anderen Seite des Saales wird ein Gong geschlagen.

Interventionen 2024: Ein Gong, von vorne angestrahlt, wirft seinen Schatten in die Säulenhalle des Stuttgarter Wasserspeichers.
Ein Gong, von vorne angestrahlt, wirft seinen Schatten in die Säulenhalle des Stuttgarter Wasserspeichers.

Zwei Frauen mit Masken tauchen aus dem Dunkeln auf

Wieder irrt man dem Geräusch und dem Licht hinterher. Durch den Hall fühlt man sich wie in einem anderen Universum, ein bisschen berauscht. In der Mitte des Raumes entdecke ich in einem durchsichtigen Gefäß Grün: Moos und Gräser befinden sich darin. Plötzlich fühlt sich die Luft um mich noch feuchter an.

„MoorReaktor“ heißt diese erste Performance – dazu erklärt mir der Mann am Kontrabass, Künstler Kurt Holzkämper, wie fasziniert das Künstlerkollektiv von den Räumlichkeiten ist: „Man merkt: Das Ding ist alt, und überall kommt Wasser an ganz ungewöhnlichen Stellen. Das wandert auch, haben wir während der Proben gemerkt. Das ist wirklich wie ein Organ, der Raum macht was, der bewegt sich und arbeitet mit. Man hat das Gefühl, die fünfte Performerin ist der Raum.“

Aus dem Dunkel tauchen zwei Frauen mit Masken und einer Art Geweih auf dem Kopf auf – ganz langsam kommen sie näher und scheinen uns mit ihren Lichtern in den Händen vor sich herzutreiben. Langsam bewegen sie sich zu den Klängen, die von Überall zu kommen scheinen, eine Art Tanz in Zeitlupe. Spannend auch das Spiel mit Licht und Schatten, das durch die wenigen Lichtquellen an den Säulen und der Decke entsteht.

Interventionen 2024: Performerin mit weißer Maske und Äste-Krone betrachtet eine Besucherin.
Performance in der Stuttgarter Unterwelt: Tänzerinnen mit Masken bieten expressive Darbietungen.

Verbindungen aus Klang- und Körperwelten

Meine Gruppe wandert weiter – wieder Treppe hoch in die nächste Säulenhalle des stillgelegten Wasserspeichers. Hier ist die Luft trockener, der Boden auch. Die Säulen, die man im Dunkel erahnen kann, sind schmaler.

Es ertönen metallische Laute. Mal hängt einer der Performer im Blaumann in einer Art Baldachin aus Metallketten, mal entlocken die Künstler einem mannhohen Blech einen Klang, der die ganze Halle fast ohrenbetäubend erfüllt.

Interventionen 2024: Drei Performance-Künstler*innen beugen sich über eine hängende Metall-Badewanne, die von innen rot ausgeleuchtet ist.
Klang-Installation mit hängender Badewanne.

Sie spielen mit ganz unterschiedlichen metallischen Geräuschen, die in der Verfremdung durch das Echo fast unheimlich klingen. Und wieder habe ich Gänsehaut in diesem kalten Dunkel, als die drei Performer gemeinsam singend über einer Art alten Badewanne hängen, die in einer aufwendigen, quietschenden Konstruktion zwischen den Säulen hängt.

Zu ihrer Performance sagt Künstler Lennart Cleemann: „Wir machen quasi so Klangwelten und Körperwelten auf mit diesen Objekten von Betonhimmel, Halbkäfig, Kettendusche – ein bisschen makaber, es passt auch zum Raum. Aber irgendwie sind es auch fröhliche, lustige Objekte. Und schöne auch…“

Atmosphärischer Klangteppich

Für die nächste Performance leiten uns unsere Guides sozusagen nach nebenan – die Halle ist in Blau- und Rottöne getaucht. Ich höre Wassergeräusche, es tropft und rauscht, Videoinstallationen an den Wänden. „2 Ha Ein O“ heißt das audiovisuelle Klangerlebnis hier.

Über den Boden bewegt sich langsam eine Art riesiger durchsichtiger Wasserball – wie ein überdimensionaler Tropfen. Auf dem Boden eine beleuchtete Sprudelflasche, das Licht verwandelt sie in eine ungewöhnliche, blubbernde Skulptur.

Interventionen 2024: In einer beleuchteten Säulenhalle steht eine einzelne, von innen ausgeleuchtete Flasche als Sinnbild für das Wasservorkommen in Stuttgart
Sinnbild für das Wasservorkommen in Stuttgart: Eine einzelne, ausgeleuchtete Flasche soll auf das Wasservorkommen in der baden-württembergischen Hauptstadt hinweisen.

Während auf der einen Seite eine Performerin beispielsweise Gläsern Geräusche entlockt, kommen aus der Dunkelheit hohe Töne von einer Sängerin, die einen atmosphärischen Klangteppich in den Raum legen. Es geht um das riesige unterirdische Mineralwasservorkommen in Stuttgart.

„Dieses Wasser in einer Stadt, das wirklich voll ist. Ich glaube in Stuttgart haben wir das größte Mineralwasservorkommen Europas“, erklärt Künstlerin Monika Golla. „Das ist ein unglaublicher Schatz – der einfach gar nicht da ist. Wenn man da mal drüber nachdenkt nach der Show und das auch positiv besetzt ist, dann bin ich ganz zufrieden.“

Drei Räume – drei völlig unterschiedliche, sehr intensive Erlebnisse

Geräusche, die einen in der Welt oben vermutlich nicht weiter beschäftigt hätten, die Welt hier unten aber in einen verwunschenen und emotionsgeladenen Ort verwandeln.

Und der Wunsch von Performerin Monika Golla: „Wenn es gut läuft, haben wir den Horizont ein bisschen erweitert und die Fantasie angeregt. Aber auch zum Nachdenken angeregt.“ Das ist bei mir auf jeden Fall in Erfüllung gegangen, als ich ganz berauscht zurück in die Realität steige.

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