Stuttgart in der NS-Zeit

Outdoor-Performance: Tänzerin Smadar Goshen verarbeitet ihre deutsch-israelische Familiengeschichte

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Autor/in
Katja Trautwein
Katja Trautwein

Die Stuttgarter Choreografin und Tänzerin Smadar Goshen hat ihre deutsch-israelische Familiengeschichte in einer Performance verarbeitet. Der halbstündige Outdoor-Walk führt vom Pragfriedhof bis hin zur Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ – der Ort, von dem aus die Nationalsozialisten Goshens Urgroßmutter und Tausende weitere Jüdinnen und Juden deportierten.

Smadar Goshen erzählt ihre Familiengeschichte

Über Kopfhörer hört das Performance-Publikum von „Passing“ die Stimme von Choreografin Smadar Goshen, untermalt von Musik. Teils live, teils voraufgezeichnet erzählt sie von ihrer Familiengeschichte: Wie ihr Großvater Sigfried Kahn nach Israel kam und wie seine Mutter, Paula Kahn, alleine in Nazi-Deutschland zurückblieb.

Als ich im November 2019 von Israel nach Stuttgart zog, lebten meine Großeltern nicht mehr. Wenn sie noch gelebt hätten, wäre mein Großvater Siegfried Kahn sicher zutiefst berührt gewesen. Er hat seine frühere Heimat immer geliebt.

Sechs Tänzerinnen und Tänzer in bunten Uni-Hosen und Blusen leiten das Publikum bei leichtem Regen durch den Pragfriedhof.

Choreografin Smadar Goshen
Die Choreografin Smadar Goshen blickt in der Performance „Passing“ in die Geschichte ihrer Familie.

Ein Schicksal von vielen

Goshen, die in ihren Kreationen teils als Tänzerin auftritt, hält sich in „Passing“ zurück. „Meine Geschichte ist bei weitem nicht die einzige. Ich bin Teil von vielen“, sagt sie.

„Daher machte es für mich keinen Sinn, diese Geschichte nur mit meinem eigenen Körper zu erzählen. Ich wollte mit mehr Darstellern zusammenarbeiten, die die Menge repräsentieren.“

Die Tänzerinnen und Tänzer machen auf ihrem Weg immer wieder Halt. Mal verdecken sie ihre Gesichter mit halbdurchsichtigen Vliesen, mal muten einstudierte Tanztheater-Elemente in Kreisformation einem Volkstanz an, mal improvisieren sie mit vorsichtigen, zeitgenössischen Bewegungen, sammeln Steine auf und verteilen sie bedächtig im Publikum.

Sechs Tänzerinnen und Tänzer auf dem Performance-Walk „Passing“
Sechs Tänzerinnen und Tänzer: Johannes Blattner, Fabienne Deesker, Bar Gonen, Martina Gunkel, Selina Koch, Francisco Ladrón de Guevara Rodríguez auf dem Performance-Walk „Passing“ der israelisch-deutschen Choreografin Smadar Goshen.

Endstation alter Nordbahnhof

Ihren Höhepunkt findet die Performance an den Überresten der Gleise des alten Nordbahnhofs. Dort wo Paula Kahn, Goshens Ur-Großmutter, den Zug zum Konzentrationslager in Riga besteigen und in ihren Tod fahren musste.

Rücklings lassen sich die Tänzer immer und immer wieder von der Bahnsteigkante ins Gleisbett fallen. Und enden schließlich auf den Prellböcken der Gleise. Sachte singen sie „All Night Long I Cried“ der israelischen Dichterin Zelda Mishkovsky.

Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ am Nordbahnhof in Stuttgart
Der 30-minütige Spaziergang endet an der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ am Nordbahnhof in Stuttgart.

Publikum ist bewegt

Die Aufführung geht dem Publikum unter die Haut, teils stehen Tränen in den Augen. Die Performance habe sie tief berührt, sagt die Zuschauerin Luciana Mugei. „Ich bin immer noch aufgewühlt. Ich finde es schrecklich, wie viele Menschen von diesem Ort wegtransportiert wurden.“

Die Mauern entlang der Gleisüberreste tragen die Namen der von hier aus deportierten Menschen. Smadar Goshen entdeckte den Ort per Zufall und fragt sich seitdem, ob ihr Umzug von Israel nach Stuttgart Zufall oder doch Schicksal war.

„Es hat meine Erfahrung, hier in Deutschland zu sein, verändert. Es gibt mir das Gefühl, mehr dazu zu gehören, als ich dachte.“

An die Geschichte erinnern

Umgezogen ist Smadar Goshen, weil ihr Lebensgefährte an der Universität Stuttgart ein Studium begann. Nur einmal zuvor war sie mit ihrem Großvater in Deutschland gewesen. Er hatte ihr seinen Heimatort Baisingen im Kreis Tübingen gezeigt und auch in Israel Teile der deutschen Kultur nahe gebracht.

Neben ihrer Aufarbeitung der Frage nach Heimat und Zugehörigkeitsgefühl, will Goshen auch Impulse für die Zukunft setzen, besonders seit dem Angriff der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober.

„Dadurch wird mir klar, wie wichtig es im Moment ist, an die Geschichte zu erinnern. Erstens, an die jüdische Geschichte auf der ganzen Welt. Zweitens, um die Geschichte der Kriege, des Hasses und der Gewalt aus der Perspektive von 80 Jahren zurück zu betrachten.“

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