Die Berliner Künstlerin Patricia Thoma bietet in verschiedenen Justizvollzugsanstalten in Deutschland Comic-Workshops für Inhaftierte an. In Stuttgart-Stammheim beschäftigten sich die Häftlinge mit Blick auf die besondere RAF-Geschichte des Gefängnisses mit dem Thema Gewalt – für sie eine erschreckend alltägliche Erfahrung. Die Ergebnisse der Comic-Workshops zeigt das Stuttgarter Stadtpalais.
Persönlichkeit der Häftlinge im Mittelpunkt
Im Foyer des Stuttgarter Stadtpalais ist einiges los. Mütter mit ihren Kindern, die durch die Halle wuseln, kleinere Besuchergruppen. Und jetzt ist auch Heval dabei, 16 Jahre alt, Deutscher mit kroatischen Wurzeln. Sein Selbstportrait, fast in Lebensgröße, hängt in der Eingangshalle.
Es sollte eine Begegnung auf Augenhöhe sein, meint Künstlerin Patricia Thoma. Ihr war es wichtig, zwischen Gesellschaft und der Justizvollzugsanstalt eine Verbindung zu schaffen. „Die Straftäter werden von der Gesellschaft auf ihre Tat reduziert. Aber das hat mich nicht interessiert. Ich wollte den Häftlingen ihre Persönlichkeit zurückgeben, ihr Gesicht. Die Normalität im Gefängnis zeigen.“
Comic handelt von der RAF-Geschichte Stammheims
Patricia Thoma kommt aus Müllheim in der Nähe von Freiburg, hat an der Stuttgarter Kunstakademie studiert, lebt und arbeitet heute als Illustratorin in Berlin. Mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sie schon so manche Comic-Workshops veranstaltet, die sich mit komplexen Fragestellungen auseinandersetzen. So zum Beispiel mit dem Thema Menschenrechte am Goethe-Institut in Ramallah.
In dem zweitägigen Workshop in der JVA Stuttgart-Stammheim machte sie die Insassen mit der Geschichte des Gefängnisses vertraut, in dem sich die RAF-Häftlinge Ensslin, Bader und Raspe vor gut 45 Jahren das Leben nahmen. „Die meisten wussten gar nichts darüber. In dem Comic haben wir dann die Mitarbeitenden befragt, was sie uns erzählen können. Die Geschichte des Comics geht tatsächlich um die Geschichte von Stammheim.“
Über Generationen vererbte Gewalt
Terror als Mittel, um eigene Ziele und Vorstellungen durchzusetzen – die Beschäftigung mit der RAF hat die 20 Teilnehmer des Workshops dazu gebracht, ihr eigenes Verhältnis zu Gewalt und Härte zu reflektieren. In dem Comic kommt ein Stuttgarter Häftling zu dem Schluss: „Wenn Du die Tränen Deiner Mutter siehst, weißt Du, dass das am Ende nichts bringt“.
Trotzdem: Gewalt ist eine Erfahrung, die alle Häftlinge oft schon von klein auf gemacht hätten, beobachtete Illustratorin Patricia Thoma in ihrem Workshop: „Bestrafung war immer wieder Thema. Die wurden von ihren Eltern bestraft, oft mit körperlicher Gewalt. Diese Gewaltspirale setzen sie fort. Das war für mich eigentlich kaum auszuhalten.“
Häftlinge fühlen sich oft chancen- und wertlos
Schlecht, manchmal gar nicht ausgebildet, meist auch ohne Schulabschluss kommen die Inhaftierten in der Regel aus sozial schwachen Familien mit niedrigem Einkommen. Vielfach genügt ein Drogendelikt oder ein Diebstahl, um in die Kriminalität abzurutschen.
Das Gefühl, chancenlos, nichts wert zu sein, bestimmt die Empfindung vieler Häftlinge, weiß Künstlerin Patricia Thoma. In ihrem Workshop haben einige von ihnen zum ersten Mal einen Stift in der Hand gehabt und erstaunt festgestellt, dass sie tatsächlich – wenngleich mit Hilfestellung - zeichnen können.
Die eigene Straftat wird verdrängt
So bietet die Ausstellung im Stuttgarter Stadtpalais den Häftlingen eine Chance, ihre Geschichte zu erzählen. Die Opferperspektive sollte dabei aber auf keinen Fall unter den Tisch fallen, betont Patricia Thoma:
„Ich habe die Jugendlichen gefragt: Wie ist es mit der Aufarbeitung der Straftat, funktioniert ein Perspektivwechsel? Es ist tatsächlich so, dass das im Gefängnis fast keine Rolle spielt. Die verdrängen das, haben nichts mit ihrem Opfer zu tun und beschäftigen sich auch nicht mehr damit.“
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