Autorenfilmer der ersten Stunde

Berlinale-Kamera für „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz, der seine Doku „Filmstunde_23“ zeigt

Stand
Autor/in
Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur

Die Berlinale ehrt mit Edgar Reitz einen der Autorenfilmer der ersten Stunde. Mit seinem Serienepos „Heimat“ schrieb er deutsche Filmgeschichte. Dass er auch ein passionierter Film-Lehrer war, ist dagegen weniger bekannt. Für sein Lebenswerk erhielt der 91-jährige Regisseur am 22. Februar die Berlinale-Kamera und zeigte in der Sektion „Berlinale Special“ seine Doku „Filmstunde_23“.

Edgar Reitz lehrt Filmemachen im Gymnasium

München 1968. Voller Begeisterung für sein Metier steht Edgar Reitz vor der 8.Klasse eines Mädchen-Gymnasiums. Der damals 35-jährige Regisseur will den Jugendlichen vermitteln, wie man Filme macht. Reitz erklärt, was es mit Kamerabewegungen, mit dem Schnitt oder der Erzählperspektive auf sich hat. Dann dürfen die Mädchen mit einer kleinen Kamera eigene Kurzfilme realisieren. 55 Jahre später treffen sich die ehemaligen Schülerinnen wieder, schauen sich zusammen mit Edgar Reitz ihre Erstlinge an und kommentieren diese gut gelaunt.

Filmstill aus Filmstunde_23
1968 unternimmt Regisseur Edgar Reitz den ersten Versuch in einem Münchner Mädchen-Gymnasium eine Klasse im Fach "Filmästhetik" zu unterrichten. Die ersten selbst gestalteten Filme entstanden damals mit Super-8-Material.

Doku mit ganz eigenem Zauber

Die Doku „Filmstunde_23“ hat der mittlerweile 91-jährige Edgar Reitz zusammen mit dem Regisseur Jörg Adolph aus seinem Material von damals und dem Treffen 2023 geschnitten. Sie strahlt einen ganz eigenen Zauber aus. Das liegt vor allem an der Ernsthaftigkeit, mit der der Lehrer Edgar Reitz seinen Stoff vermittelt und die sich auf die Mädchen überträgt. Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe, 1968 zwischen Erwachsenen und Jugendlichen noch alles andere als selbstverständlich.

Filmstill aus Filmstunde_23
Es entstand ein Dokumentarfilm über das damalige Projekt, die Super-8-Filme der Schulmädchen und das gefilmte Wiedersehen im Jahr 2023.

Gutes Kino braucht ein sachkundiges Publikum

Überhaupt stellt sich der junge Reitz Schule ganz anders vor. Seine wichtigste Forderung: Filmbildung auf den Lehrplan zu setzen. Leider habe der Film auch 55 Jahre später keinen festen Platz im Bildungssystem, beklagt Reitz im SWR-Interview bei der Berlinale. Kein Wunder, dass es vor diesem Hintergrund mit der deutschen Kinokultur nicht weit her sei, findet Reitz, der in den 60ern als einer der prägenden Autorenfilmer den Neuen Deutschen Film miterfand. Einfach mehr Geld in die Förderung zu stecken, reiche nicht. Entscheidend sei der Anspruch eines kundigen Publikums.

Filmstill aus Filmstunde_23
Edgar Reitz und Jörg Adolph fragen bei den Protagonistinnen von 1968 nach: was haben die Frauen in dieser langen Zeit erlebt und welche Rolle spielte die Kunst des Filmemachens in ihrem Leben?

Edgar Reitz, Regisseur der „Heimat“-Trilogie und Lehrer

Im Rahmen der Berlinale-Premiere von „Filmstunde_23“ wurde Edgar Reitz mit der Berlinale-Kamera für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Die meisten Menschen denken dabei wohl an sein 50-stündiges Serienepos „Heimat“.Reitz selbst versteht die Weitergabe von Filmwissen als ebenso wichtigen Teil seines Schaffens: in theoretischen Schriften, in Büchern, aber vor allem in der persönlichen Begegnung, sei es mit den Studierenden an seinen selbst gegründeten Filminstituten in Ulm und Karlsruhe oder eben wie in „Filmstunde_23“ mit den Mädchen der 8.Klasse.

Film sei eine gesellschaftliche Aufgabe, so Reitz. Und der stelle er sich nach wie vor: als Lehrer und als Regisseur.

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