Bei den Nibelungenfestspielen feiert am 12. Juli 2024 vor dem Wormser Dom das Stück „Der Diplomat“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel seine Uraufführung. Im Fokus des diesjährigen Stücks steht Dietrich von Bern – eine der schillerndsten Heldenfiguren des Mittelalters, die in der Nibelungensage gerne übersehen wird.
Ein Mann, der dem Gemetzel abgeschworen hat
Was den Stoff betrifft, so könne das Nibelungenlied mit den Königsdramen von Shakespeare durchaus mithalten, urteilt Theaterautor Feridun Zaimoglu im Gespräch mit SWR Kultur. Zum zweiten Mal hat er sich für die Wormser Festspiele mit den Ränken am Hofe der Burgunden auseinandergesetzt.
Im Fokus des diesjährigen Stücks steht eine Figur, die bei vergangenen Inszenierungen gerne mal aus der Handlung gekürzt wurde: Der Schauspieler Franz Pätzold schlüpft vor dem Wormser Dom in die Rolle des titelgebenden Diplomaten Dietrich von Bern.
Das neue Wormser Stück „Der Diplomat“ macht Dietrich zur Stimme der Vernunft im Rache- und Gewaltstrudel der Erzählung, erklärt der Autor. Er sei aber alles andere als ein Friedensfürst, eher ein traumatisierter Heerführer, der dem Gemetzel abgeschworen habe. Dietrich bringt Kriemhild aus Worms auf die Etzelsburg und er muss zum Schluss mitansehen, wie sie ihre Brüder zugrunde richtet.
König im Exil am Hof der Hunnen
Nicht nur in Worms ist Dietrich von Bern meistens nur eine Randgestalt. Das Nibelungenlied führt in ein als einen König aus Oberitalien – das Bern in seinem Namen verweist nicht in die Schweiz, sondern auf das heutige Verona – der nach der Machtergreifung seines Onkels mit seinem Gefolge an den Hof des Hunnenkönigs Etzel flieht. Dem Hunnen dient Dietrich als enger Berater.
Als Etzels Gefolgsmann tritt Dietrich in der zweiten Hälfte des Nibelungenlieds auf. Mehr als zwanzig Jahre sind seit der Ermordung Siegfrieds vergangen, doch seine Witwe Kriemhild sinnt noch immer auf Rache. Sie bringt den Hunnenkönig, ihren zweiten Mann, dazu, ihren Bruder König Gunther mitsamt des Wormser Hofes zu einem Fest am den Hunnenhof einzuladen.
Dietrich durchschaut Kriemhilds Ränkespiel von Anfang an. Er reitet den Eingeladenen entgegen und warnt sie davor, weiterzuziehen. Doch die Wormser schlagen seine Warnung aus. Das Festmahl in der Hunnenburg endet schließlich im Blutbad.
Dietrich kämpft auf der Seite der Hunnen und versucht mehrfach, das Blutvergießen zu beenden. Erfolglos: Am Ende stehen Dietrich, sein Erzieher Hildebrand und König Etzel vor den Leichenbergen der Burgunden und der Hunnen.
Der historische Dietrich herrschte in Ravenna
Wie andere Figuren aus dem Nibelungenlied finden sich auch die Spuren Dietrichs in der Zeit der Völkerwanderung. Historisches Vorbild des sagenhaften Diplomaten soll der König der Ostgoten gewesen sein: Theoderich der Große.
Doch an den Hof Attilas, Vorbild für Etzel im Nibelungenlied, flüchtet der historische Theoderich nie: Attila stirbt 453 in seiner Hochzeitsnacht an einem Blutsturz, da ist Theoderich noch ein Säugling oder noch gar nicht geboren. 474 wird er König der Ostgoten.
Nachdem der germanische Offizier Odoaker die Abdankung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus erwirkt, entbrennt zwischen ihm und Theoderich ein Streit um die Vorherrschaft auf der italienischen Halbinsel. Theoderich schlägt Odoaker 493 in der Rabenschlacht vor Ravenna. Seinen Widersacher tötet er der Überlieferung nach mit eigenen Händen.
Theoderich herrscht in Ravenna unter dem Protektorat des oströmischen Kaisers in Konstantinopel und bringt die Stadt zur neuen Blüte: Mehrere Kirchen mit herausragenden Mosaiken und das Mausoleum Theoderichs erinnern bis heute an diese Epoche.
Mündliche Überlieferung macht Dietrich zum Drachentöter
In Ravenna stirbt Theoderich am 30. August 526. Sein Andenken wird über Jahrhunderte in mündlicher Überlieferung erhalten. Die frühesten schriftlichen Spuren der Dietrich-Legenden finden sich im 9. Jahrhundert im Hildebrandslied. Im 13. Jahrhundert wird in Skandinavien die „Thiedrekssaga“ niedergeschrieben, die das Heldenleben Dietrichs von der Geburt bis zum Tod nacherzählt.
Auch hier tauchen die Nibelungen natürlich auf: Bei einem Gelage am Hof der Nibelungen soll Dietrich im Zweikampf gegen den Bannerträger des Königs antreten: Sigurd bzw. Siegfried. Er lässt diesen nach drei Tagen erbittertem Kampf siegen und vermittelt die Heirat mit der Schwester des Königs – ohne zu wissen, dass Sigurd bereits Brunhild das Eheversprechen gegeben hat.
Daneben existieren mehrere fantastische Legenden, in denen Dietrich zum Drachentöter wird oder gegen Riesen, Zwerge und Menschenfresser kämpfen muss.
Die Romantiker feiern Siegfried mehr als Dietrich
Als die deutsche Romantik im 19. Jahrhundert die Helden der germanischen Sagen für sich entdeckt, tritt auch Dietrich von Bern seine kurze Renaissance an. Vor allem der Bonner Dichter und Übersetzer Karl Simrock versucht, die Dietrich-Epik im „Amelungenlied“ genauso populär zu machen wie das Nibelungenlied. Simrock scheitert und Dietrich verblasst im Schatten Siegfrieds.
Bringt nun vielleicht das Wormser Stück die Wende und eine neue Betrachtung der Figur Dietrich von Bern? Angesichts der politischen Lage unserer Tage wäre das wünschenswert: Geschickte Diplomaten taugen vielleicht doch mehr zum Vorbild als taktierende Kriegshelden.
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