Vom 13. Jahrhundert bis in unsere Zeit war der Nibelungenstoff immer männlich kodiert – brutal viril, auch bei den Nibelungen-Festspielen. Maria Milisavljević ist die erste Frau, die nun ihre Deutung der Sage vor dem Wormser Dom präsentieren darf. „Brynhild“ erzählt die Geschichte als feministische Empowerment-Erzählung und schafft damit eine dringend nötige Aktualisierung einer beachtlichen Heldinnenfigur.
Brunhild bricht aus: neue Perspektiven in Worms
Neue Wege bei den Nibelungen-Festspielen in Worms: In Zusammenarbeit mit Regisseurin Pınar Karabulut liefert Maria Milisavljević eine feministische Lesart der Heldensage, die sich auf die ältesten Quellen des nordischen Stoffes beruft.
Im Zentrum von „Brynhild“, das ab dem 7. Juli vor dem Wormser Dom zu sehen sein wird, steht die Beziehung zwischen der isländischen Königin und dem Drachentöter. Sie sind zwei Menschen, die sich gegenseitig berühren und voneinander lernen wollen, verrät die Autorin gegenüber SWR2 im Interview. Brynhild, wie sie in dieser Fassung heißt, hat großes Vertrauen in ihre Welt, sie ist im Einklang mit ihrer Urkraft.
„Brynhild“-Autorin Maria Milisavljević im SWR2-Interview
Weise Zauberin und Attilas mächtige Schwester
So modern der Ansatz des neuen Wormser Nibelungendramas auch erscheint, Maria Milisavljević orientiert sich für ihre Ausdeutung an den selben Quellen, die Richard Wagner zu seinem „Ring“ inspiriert haben: der „Edda“, dem Nibelungen-Urtext.
Schriftlich fixiert werden die Texte der „Edda“ erstmals im Island des 13. Jahrhunderts, etwa zeitgleich mit der Entstehung des mittelhochdeutschen „Nibelungenlieds“. Die eddischen Verse sind Fragmente verschiedener mytischer Erzählungen über die nordischen Götter und Helden, in denen Brunhild (oder vielmehr Brynhildr) eine bedeutende Rolle einnimmt.
Sie erscheint in diesen Texten als weise Zauberin und Gelehrte, die den Göttervater Odin erzürnt und dafür mit ewigem Schlaf in einem Feuerkreis bestraft wird. Als der Drachentöter Sigurd sie erweckt, ist sie es, die ihn in die Welt des Wissens einführt.
Die etwa zeitgleich aufgezeichnete „Völsungensaga“ macht aus Brunhild sogar eine mächtige Politikerin: Die Kriegerin ist hier die Schwester Attilas, der große Teile Europas und Asiens unterwarf, und damit Fürstin des mächtigsten Reiches der Welt.
Eines haben alle eddischen Erzählungen gemeinsam: Brunhild ist Sigurd von Rang und Ansehen gleich, der eine kann ohne die andere nicht bestehen. Nach Sigurds Tod bleibt für die Fürstin nur eine einzige logische Konsequenz, der Selbstmord, der die beiden bis in alle Ewigkeit vereint.
Ein überkommenes Sinnbild teutonischen Heldenmuts
Wer heute an die Figur der Brunhild denkt, der hat unweigerlich den Walkürenritt aus Wagners Ring im Ohr und die dazugehörigen Opernkostüme vor Augen: Wagners Opern-Brünnhilde ist eine geharnischte Schildmaid mit Lanze, Helm und langen, blonden Locken. Auf ihrem getreuen Ross Grane führt sie die im Kampf gefallenen Recken nach Walhall, in die Ruhmeshalle der Götter.
Der romantisierte Nationalismus des 19. Jahrhunderts machte Brunhild zum Sinnbild teutonischen Heldenmuts: eine Germania, die im Deutschland nach 1945 keinen Platz mehr hatte.
Doch als Siegfried die Götterbotin aus dem Feuerzauber befreit, wird sie zur normalen Sterblichen. Gegenüber Siegfried ist die Heldin nicht mehr kämpferisch, sie erklärt sich zu seinem sittsamen Weib und harrt devot auf seine Rückkehr. Die Kämpferin ist der zurückhaltenden Ehefrau gewichen. Brünnhild ist bereit, sich für ihren Mann und eine neue Weltordnung zu opfern. Die Götterdämmerung ist gekommen.
Die unbeugsame Fremde am Burgundenhof
Noch schlechter ergeht es Brunhild im „Nibelungenlied“. Das Ritterepos, das in Sitten- und Minnevorstellungen dem mittelalterlichen Adelsstand verpflichtet ist, macht aus der Walküre eine isländische Amazonenkönigin. Die Männer des „Nibelungenlieds“ sollen die herrische Brunhild bezwingen und ihrer Rittergesellschaft unterordnen.
Zunächst geschieht das in den Wettkämpfen auf Island, bei denen nur Siegfried sie mit der Tarnkappe besiegen kann, später dann nochmal in der Hochzeitsnacht, in der sie ihren auferzwungenen Mann Gunther kurzerhand an einen Nagel hängt, bevor er sich ihr nähern kann. Die Vergewaltigung durch den übermächtigen Siegfried bricht Brunhilds Willen. Sie wird sich nun in die fürstliche Gesellschaft fügen und verschwindet mit Siegfrieds Tod wortlos aus der Geschichte.
Die Erzählung wendet sich der anderen Königin zu. Kriemhild wird sich für den Tod ihres Mannes bitter an den Burgunden rächen und die gesamte Dynastie auslöschen. Auch sie stirbt zuletzt, weil sie das Schwert gegen die Männer erhoben hat.
Brynhild und Sigurd im Kampf gegen das Patriarchat
Auch das neue Wormser Stück zeigt Brynhild und Siegfried, wie sie durch die Burgunden in Krieg und Machtspiele hineingezogen werden. Die Liebenden versuchen bei Maria Milisavljević, sich aus dem männerdominierten Helden-Narrativ zu befreien und ein Leben jenseits der patriarchalen Gesellschaft, die sie unweigerlich in ihren Untergang führen wird, zu führen.
Liefert die Wormser Inszenierung eine neue Lesart des Epos, die neben dem „Nibelungenlied“ und Wagners überlebensgroßen Opus Magnum bestehen kann? Maria Milisavljević möchte zumindest nicht, dass das Publikum die alten Nibelungen am Eingang der Festspiele abgeben: Nur durch die Reibungen mit dem alten Stoff, so die Autorin, könnten neue Sehgewohnheiten entstehen.
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Rezension von Angela Gutzeit.
Fischer Verlag,256 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-10-032458-0
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