Im Flut-Untersuchungsausschuss des Landtag hat ein Sachverständiger sein Gutachten zur Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler vorgestellt. Grundlegende Sachen seien nicht geregelt gewesen, sagte Dominic Gißler.
Der Berliner Professor für Führung im Bevölkerungsschutz kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die Technische Einsatzleitung (TEL) im Kreis Ahrweiler den Herausforderungen der Flutkatastrophe im Juli 2021 nicht gewachsen war. Es habe in Ahrweiler große Mängel beim Katastrophenschutz gegeben. Die Rahmenbedingungen dort seien ungünstig gewesen, heißt es in dem Gutachten, das die Staatsanwaltschaft Koblenz in Auftrag gegeben hatte.
Gutachter sieht Pföhler durch Gutachten nicht entlastet
"Dieses Gutachten ist keine Entlastung von Verantwortung", erklärte Gißler. Der frühere Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und sein Mitarbeiter aus dem Krisenstab seien aufgrund ihrer "verantwortlichen Schlüsselstellung" für das Ergebnis des Einsatzes verantwortlich. Allerdings sei dies keineswegs die Aussage, dass sie schuld seien, betonte der Gutachter in seinem Vortrag vor dem Untersuchungsausschuss.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter gegen Pföhler und ein Mitglied der Einsatzleitung. Es geht um die Frage, ob die beiden beim Schutz der Bevölkerung versagt haben und Menschenleben - etwa durch frühere Warnungen - hätten gerettet werden können.
Schlechtes Zeugnis für die Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler
Im Kreis Ahrweiler habe vor allem ein funktionierendes Führungssystem gefehlt. Damit sei die Einsatzleitung auch nicht angemessen auf solche Ereignisse wie die Flutkatastrophe vorbereitet gewesen, so Gißler. So habe es weder einen Verwaltungsstab gegeben, noch seien ausreichende Führungsleistungen erbracht worden, sagte Gißler etwa mit Blick auf den damaligen Landrat.
"Man hätte Menschenleben retten können"
"Man hätte Menschenleben retten können", so die Erkenntnis des Sachverständigen. Es sei aber unklar, wie viele. "Es gab die Chancen." Er habe aber mit dem Gutachten nicht klären können, wie wirksam die Maßnahmen gewesen wären. So lasse sich nicht sicher sagen, welchen Effekt beispielsweise frühere Warnungen gehabt hätten.
Den damals in der Technischen Einsatzleitung (TEL) anwesenden Personen attestiert Gißler zwar, alles gegeben zu haben. Wegen des mangelhaften Führungssystems sei es jedoch nicht möglich gewesen, dem Maximalereignis - also der Flutkatastrophe - angemessen zu begegnen.
Ermittlungen zur Flutkatastrophe an der Ahr Neues Flut-Gutachten: Strafrechtliche Bewertung schwierig
Der Kreis Ahrweiler war nicht ausreichend auf die Flutkatastrophe 2021 vorbereitet. Das geht aus einem neuen Gutachten hervor, das der Staatsanwaltschaft Koblenz jetzt vorliegt. Schon gibt es erste Überlegungen, die Beweisaufnahme im U-Ausschuss wieder aufzunehmen.
Gutachter kritisiert auch mangelnde Unterstützung durch das Land
In Gißlers Gutachten kommt auch das Land nicht gut weg. Es unterstütze die Kreise in Rheinland-Pfalz beim Katastrophenschutz zu wenig, so der Gutachter. Das gelte etwa für die Erstellung von Einsatzplänen. Jeder Kreis brauche ein Einsatzführungskonzept, das auf die jeweiligen Gegebenheiten angepasst sei.
Nach Meinung des Experten waren die Kreise in diesem Punkt zu sehr auf sich alleine gestellt. Das Land hätte mehr helfen müssen. Das gelte insbesondere auch für den Kreis Ahrweiler. Gißler konnte aber nicht beantworten, ob es hilfreich gewesen wäre, wenn die Aufsichtsbehörde ADD damals die Einsatzleitung übernommen hätte.
Staatsanwaltschaft gab Gutachten in Auftrag Katastrophenschutz im Ahrtal: Gutachter kritisiert Land
Im Gutachten, das die Staatsanwaltschaft zur Flutkatastrophe in Auftrag gab, wird nicht nur der Kreis Ahrweiler, sondern auch das Land kritisiert. Es gebe Fehler im System.
SPD und CDU sehen sich durch Gutachten bestätigt
Die Landtagsfraktionen von SPD und CDU sehen sich durch das Gutachten in ihren bisherigen Bewertungen bestärkt. SPD-Obmann Nico Steinbach sagte, es habe sich bestätigt, dass im Landkreis Ahrweiler die Katastrophenschutz-Bewältigung suboptimal organisiert gewesen sei. Dazu gehöre auch die "fehlende Führungskraft in Form des Landrates vor Ort".
Laut Dirk Herber von der CDU zeigt das Gutachten: "Es gab Chancen, Menschenleben zu retten. Diese Chance wurde vertan." Der Gutachtern habe von einem Systemversagen gesprochen. "Jetzt ist es Sache der Landesbehörden und der Landesregierung unser Land mit einem Katastrophenschutz auszustatten, der mit einer solchen Katastrophe bis in den kleinsten Kreis hinunter umgehen kann", so Heber.
Freie Wähler und AfD wollen weitere Beweisanträge stellen
Für die AfD erklärte Jan Bollinger, dass seine Fraktion noch weitere Beweisanträge stellen wolle. Wenn es nach der AfD gehe, werde die Arbeit des Ausschuss fortgesetzt. Auch der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sprach sich dafür aus, die Beweisaufnahme fortzusetzen.
Wie es mit U-Ausschuss weitergeht ist noch unklar
Laut dem Ausschussvorsitzenden Martin Haller (SPD) ist noch unklar, wie und ob es weitergeht. Die Mitglieder des Ausschusses werden demnach im Laufe des Dezembers klären, "wie und ob es im nächsten Jahr weitergeht". Das hänge davon ab, ob noch weitere Beweisanträge von den Fraktionen eingehen und diese genehmigt werden.
Der Untersuchungsausschuss hatte seine Beweisaufnahme eigentlich Ende April formell beendet. Im Dezember sollte der Abschlussbericht des Gremiums vorliegen und im Landtag diskutiert werden. Dies wird sich nun verzögern.
Dossier: Leben nach der Flutkatastrophe
Bei der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen ums Leben gekommen, davon 135 in der Ahr-Region und einer im Raum Trier. Ein Mensch gilt weiterhin als vermisst.